Urteil: Online-Durchsuchungen teilweise gestoppt
Heute früh empfing das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Öffentlichkeit zur „Urteilsverkündung in Sachen Online-Durchsuchung“. Laut Urteil des Gerichts seien Online-Durchsuchungen demnach prinzipiell zwar erlaubt, jedoch nur im Fall einer existenziellen Bedrohung für ein überragend wichtiges Rechtsgut.
Hierfür müsste demnach Gefahr für ein Menschenleben oder den Bestand des Staates bestehen. Darüber hinaus wird nun generell eine richterliche Anordnung benötigt, ehe eine heimliche Online-Durchsuchung bei einem Verdächtigen stattfinden dürfe. Des Weiteren wurde zum ersten Mal seit 1983 – damals wurde das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung eingeführt – ein neues Grundrecht definiert: Das „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“. Dieses sei aber auch nicht schrankenlos, hieß es in Karlsruhe. Auslöser für das Verfahren war eine Sammelklage eines Journalisten, eines Mitglieds der Linkspartei und dreier Rechtsanwälte, zu denen auch der frühere Innenminister Gerhart Baum (FDP) zählt, gegen das Verfassungsschutz-Gesetz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen: Dies gestattete die Installation einer Spionagesoftware auf den Computern mutmaßlicher Schwerverbrecher und Terroristen. Da diese Software dazu geeignet wäre, Passwörter abzufangen, Festplatteninhalte auszulesen, verschlüsselte Gespräche abzufangen, und all dies über das Internet an die ermittelnden Behörden weiterzugeben, etablierte sich der Begriff „Online-Durchsuchung“. Nach der heutigen Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts ist § 5 Absatz 2 Nummer 11 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2006 mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes unvereinbar und somit nichtig. Die Vorschrift wahre insbesondere nicht das Gebot der Verhältnismäßigkeit und es fehle an hinreichenden gesetzlichen Vorkehrungen, um Eingriffe in den geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zu vermeiden.
Das Gericht wies den Verfassungsschutz somit in enge Schranken und machte die heimliche Recherche auf Rechnern von Verdächtigen nur noch in Ausnahmefällen möglich. Wie sich das Urteil in der Praxis auswirken wird, bleibt jedoch abzuwarten. Das Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalens zumindest, soviel ist sicher, wird überarbeitet werden müssen. Das Urteil gilt als wegweisend für eine künftige bundesweite Regelung der Online-Durchsuchung. Die Diskussionen um den „Bundestrojaner“ werden demnach anhalten.
Der Hightech-Verband BITKOM begrüßt das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung. „Das Gericht hat unsere Auffassung bestätigt, dass es für heimliche Zugriffe auf Computer besonders hohe rechtliche Hürden geben muss“, kommentierte BITKOM-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder in Berlin. Ein grundsätzliches Nein sei aber nicht zu erwarten gewesen. Die Meinung der Bevölkerung gegenüber Online-Durchsuchungen ist uneinheitlich. 48 Prozent der Deutschen lehnen sie ab, 46 Prozent sind mit der Methode einverstanden und 4 Prozent sind unentschieden. Das ergab eine repräsentative Umfrage von Forsa im Auftrag des BITKOM. Dabei wurden mehr als 1.000 Bürger ab 14 Jahren befragt. Im September letzten Jahres sprachen sich bei einer Studie im Auftrag der ARD noch 58 Prozent – und somit eine Mehrheit der Deutschen – für Online-Durchsuchungen aus.
Eine Durchsuchung von Zentralrechnern (Servern) der E-Mail-Anbieter im Rahmen der Online-Durchsuchung lehnt der BITKOM ab. Jeder Nutzer könne seinen Mailverkehr problemlos über ausländische Anbieter abwickeln. Auch sollten in Deutschland tätige Software-Hersteller nicht verpflichtet werden, für die Sicherheitsbehörden standardisierte Schnittstellen einzubauen – zum Beispiel in Virenschutzprogramme. Kriminelle könnten ohnehin mit einem Mausklick auf ausländische Anbieter von Virenscannern und Firewalls ausweichen. Zudem müssten Anbieter auf dem deutschen Markt Nachteile befürchten, weil eine Sicherheitssoftware mit offizieller Hintertür wenig attraktiv sei. Magnus Kalkuhl, Virus Analyst bei Kaspersky Lab, geht davon aus, dass das Urteil „auf unsere Arbeit als Antiviren-Unternehmen keinen Einfluss haben wird“. Da ein staatlich finanzierter Trojaner mit den gleichen Methoden arbeiten muss wie die Spyware von Malware-Schreibern, würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit von proaktiven Schutzmaßnahmen (Code-Heuristik, verhaltensbasierte Heuristik etc.) als potentiell gefährlich gemeldet.
Das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu Online-Durchsuchungen kann für weitere Einzelheiten online eingesehen werden.