Von der Leyen denkt an weitere Internetsperren
Noch bevor das umstrittene Zugangserschwerungsgesetz in Kraft treten konnte, äußerte sich die Bundesfamilienministerin zu weiteren Netzsperren, etwa nationalsozialistische Internetseiten betreffend. Ihrer Meinung nach drohe das Internet zu einem rechtsfreien „Chaosraum“ zu werden, weshalb weitergehende Debatten notwendig seien.
Die Bundesfamilienministerin wurde dazu am Wochenende vom Hamburger Abendblatt gefragt, weshalb keine Internetseiten, die Nazi-Propaganda verbreiten oder Gewalt gegen Frauen verherrlichen, gesperrt werden sollen. Von der Leyen betonte daraufhin die Wichtigkeit des Vorgehens gegen Kinderpornografie im Netz, räumte aber auch ein, dass weitere Debatten nötig seien: „Doch wir werden weiter Diskussionen führen, wie wir Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenwürde im Internet im richtigen Maß erhalten. Sonst droht das großartige Internet ein rechtsfreier Chaosraum zu werden, in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen kann. Wo die Würde eines anderen verletzt wird, endet die eigene Freiheit. Welche Schritte für den Schutz dieser Grenzen notwendig sind, ist Teil einer unverzichtbaren Debatte, um die die Gesellschaft nicht herumkommt.“
Obwohl das Bundesfamilienministerium diese Aussage nachträglich gegenüber Welt Online relativierte, sehen Kritiker des Zugangserschwerungsgesetzes ihre Befürchtungen bestätigt. Demnach ist Ursula von der Leyen dem Gedanken nicht abgeneigt, die einmal etablierte Sperrinfrastruktur auch für andere Themengebiete zu verwenden. Dies wird auch durch das Dementi vom heutigen Tage unterstrichen. So heißt es zwar, die Bundesfamilienministerin hätte keineswegs eine Ausweitung der Internetsperren oder ein anders geartetes konkretes Vorgehen gegen weitere rechtswidrige Inhalte als Kinderpornografie angekündigt. Andere Deutungen seien nicht durch den Wortlaut des Interviews gedeckt. Von der Leyen begrüße allerdings die durch das Interview angestoßene gesellschaftliche Debatte über die Freiheit und Grenzen des Internets.
Dass über Derartiges gar nicht diskutiert werden müsse, konstatiert dabei Uwe Vetter des law blogs. Er stellt dabei fest, dass das Mobben, Beleidigen und Betrügen nicht nur im Internet möglich ist. Auch im wirklichen Leben könne man, „zum Beispiel Angesicht zu Angesicht, per Brief, Fax oder Telefon“, anderen schaden. „Aber egal, wie man es macht – es ist strafbar und wird verfolgt. Auch im Internet.“ Mehr noch sieht er ein Problem darin, dass von der Leyen in der Menschenwürde plötzlich einen Auftrag des Staates sieht. Die per Grundgesetz jedem Bürger eingeräumte Menschenwürde sei eigentlich ein Abwehrrecht gegen den Eingriff des Staates. „Frau von der Leyen münzt das Abwehrrecht gegen den Staat in einen Handlungsauftrag des Staates um. Plötzlich ist die Menschenwürde ein Grund für staatliches Eingreifen – der Staat schützt die Menschenwürde seiner Bürger, indem er Dritten den Mund zuhält oder durch Stoppschilder dafür sorgt, dass sie im Internet nicht mehr gelesen, gesehen und gehört werden können.“
Auch Vertreter der Linken und Grünen äußerten sich nach dem neuerlichen Vorstoß kritisch. Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur geht noch weiter und wirft der Bundesministerin erneut das Hantieren mit falschen Zahlen vor. So verwies von der Leyen in ihrem Interview mit dem Hamburger Abendblatt darauf, dass auch ihre Kritiker ihr nicht sagen könnten, was der Staat machen solle, wenn Kinderpornografie in einem „fernen Land“ gehostet werde. Tatsächlich, so der AK Zensur, befindet sich ein Großteil der Kinderpornografie im Netz allerdings auf Servern in den USA, Westeuropa und auch Deutschland. Dies stellte der Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft bereits im März dieses Jahres fest.
Noch ist das Zugangserschwerungsgesetz nicht rechtsgültig. Allerdings haben sich die fünf größten deutschen Provider dazu verpflichtet, eine den Gesetzesvorschriften ähnliche Sperrinfrastruktur einzurichten und ab Oktober auch einzusetzen. Dem Zugangserschwerungsgesetz selbst hängt dabei bereits ein Organstreitverfahren an, dass die Korrektheit des Gesetzgebungsverfahrens klären soll. Weitere Klagen wurden bereits angekündigt. Auch steht eine Unterzeichnung des Gesetzes durch Bundespräsident Horst Köhler noch aus.
Vielen Dank an unseren Leser Lutz Neumann
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