Netzneutralitätsleitlinien der US-Regulierungsbehörde
Nach lang anhaltender Diskussion über die Natur der Netzneutralitätsleitlinien hat die dafür zuständige Federal Communications Commission (FCC) ihre Rahmenregelung für diese Thematik beschlossen. Dieser stellt einen Kompromiss aus den vielen Positionen, welche in dem Beschluss vorhergehenden Disput vorkamen, dar.
Der Beschluss – er ist hier im Wesentlichen als DOC-Datei abrufbar – wurde von dem fünfköpfigen Gremium – ihm gehören zwei Republikaner, zwei Demokraten und der ebenfalls den Demokraten zugehörige Leiter der FCC, Julius Genachowski, an – mit drei zu zwei Stimmen abgesegnet. Während die Republikanische Vertreterschaft des Gremiums ihre scharfe Ablehnung kund tat, befand Genachowski, dass man einen Kompromiss kreiert habe, der sowohl kleinen Firmen und Start-Ups Innovationen ermögliche, andererseits aber auch die Bedürfnisse großer Konzerne – etwa Errichtung kostenpflichtiger Zusatzdienste oder Netzausbau – berücksichtige. Die Regelung ermögliche den Schutz der "Grundwerte des Internets" und der Verbraucher, wenn die Normen denn auch konsequent und restriktiv um- und durchgesetzt werden. Sowohl Genachowskis Kollege Michael Copps als auch Mignon Clyburn, die ebenfalls der FCC angehört, teilten seine positive Sicht der Dinge.
Der Beschluss selbst entspricht im Großen und Ganzen dem Anfang Dezember vorgelegten Entwurf von Julius Genachowski. Inhaltlich erfolgte eine Festschreibung der momentan ohnedies praktizierten Vorgangsweise. Diese sieht nun nach wie vor eine allgemein geltende Verpflichtung der Netzbetreiber vor, „rechtmäßige Inhalte“ bei deren Verbreitung nicht zu behindern und von jeglicher „unangemessener Unterscheidung“ von Datenpaketen eines legitimen Netzverkehres Abstand zu nehmen. Genachowski hatte ursprünglich das Vorhaben forcieren wollen, dass das aus dem Telefonnetz bekannte Prinzip des „offenen Netzes“ auf die zu regelnde Thematik – de facto das Internet – übertragen werden sollte. Damit wären die Internetprovider, so wie die Telefonanbieter schon bisher, unter ein durchaus striktes Regelwerk gefallen.
Da dieses Vorhaben den Republikanern als auch den großen Breitbandanbietern jedoch absolut nicht zusagte, sah sich der FCC-Chef dazu gezwungen, diesen entgegenzukommen. Das bedeutet in concreto, dass zumindest theoretisch die Möglichkeit besteht, nutzungsabhängige Preise für Datenverkehr einzuführen, sofern die Anbieter darlegen können, dass derlei Ungleichbehandlungen durch einen Nutzen für die Allgemeinheit gerechtfertigt sind. Damit bleibt aber dennoch weiterhin unklar, was etwa im Falle von Video-Plattformanbietern geschehen kann und soll, wenn Provider von diesen Diensten wegen deren Bandbreitenintensität ein eigenes „Wegegeld“ verlangen. Die Regulierung soll jedoch nicht für Dienste wie Internet-TV oder E-Health gelten, die allerdings als Preis für diese „Freiheit“ unter intensiver Beobachtung stehen sollen. Des Weiteren sieht der Rahmenbeschluss vor, dass beim Mobilfunk das erwähnte „offene Netz“ zwar nur bedingt gelten solle, jedoch das Blockieren von Voice-Apps der Konkurrenz auf jeden Fall untersagt ist.
Des Weiteren will sich die FCC die Ausgleichsfunktion des Wettbewerbes zunutzemachen und daher Transparenz als oberstes Gebot forcieren. Diese soll etwa dann durchschlagen, wenn Anbieter bestimmte „Datenverkehrsoptimierungstechniken“ einsetzen, um ihre Infrastruktur effizient zu nutzen oder eine bestimmte Servicequalität sicherzustellen. In solchen Fällen müsste dann der Anschlussprovider seinen Kunden exakt über diese Vorgänge in Kenntnis setzen.
Die oben erwähnte Zufriedenheit der demokratischen Gremienmitglieder ist bei den Demokraten jedoch nicht überall so ausgeprägt. Al Franken, Senator aus Minnesota, meint etwa im Vorfeld in seinem Blogeintrag bei der Huffington Post, dass diese Regelung, so wie sie nun verabschiedet wurde „schlimmer als gar keine Regelung“ sei. Sie würde großen Firmen wie Verizon oder Comcast ermöglichen nach Gutdünken Inhalte entweder zu verlangsamen oder, wie ab nun im Mobilfunk theoretisch möglich, gänzlich zu sperren. Auch kritisiert er, dass Gerüchten zufolge Genachowski bei den CEOs der großen Anbieter um deren öffentliche Zustimmung gebuhlt haben soll, mit entsprechenden Auswirkungen auf das Erscheinungsbild des Beschlusses. Insgesamt sei das Werk mit grundlegenden Konzeptionsfehlern versehen und somit weit hinter den Erwartungen zurückliegend. Auch diverse Thinktanks und Organisationen, die für ein „offenes Netz“ eintreten, finden das neue Regelwerk wenig erquicklich und sprechen teils von einem neu aufkommenden „Zweiklassennetz“, teils davon, dass die FCC die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Großkonzerne über das Wohl der Allgemeinheit, von Internetunternehmen und lokalen Gewerbetreibern gestellt habe. Auch wird moniert, dass diese Regelung die Offenheit und Meinungsfreiheit des Internets gefährde und ineffektiv sei.
Ebenso besteht die Sorge um den Verbraucher, der dadurch auf der Strecke bleiben könnte. Zwar hat sich das Dienstags beschlossene Regelwerk ausdrücklich der App-Sperrproblematik angenommen, indem das Blockieren von Voice-Apps untersagt wurde, auf andere Apps scheint sich dieses Verbot nach jetzigem Kenntnisstand jedoch nicht zu beziehen. Auch die restlichen Kritikpunkte scheinen nicht sonderlich beachtet worden zu sein.
Gänzlich verschieden zu den soeben genannten Betrachtungspunkten ist die Sichtweise der Republikaner. Sie sprechen den beschlossenen Maßnahmen jegliche Notwendigkeit und gesetzliche Legitimation ab und sorgen sich vielmehr um das Wachstum und die vermeintliche Innovationskraft der großen Anbieter. Ein texanischer Senator brachte bereits einen Adaptionsvorschlag ein, welcher die FCC eines Großteiles ihrer aktiv regulativen Möglichkeiten berauben würde. Sein Kollege Greg Walden, seines Zeichens Kommunikationsunterausschussvorsitzender in spe, tat ebenso kund, dass aufgrund dessen, dass die Behörde ihre Befugnisse weit überschritten hätte, der Gesetzgeber seine Möglichkeiten gänzlich ausschöpfen werde, um diese Regelung rückgängig zu machen.
Wurde zuvor von den Provider-Konzernen erwartet, dass einige unter ihnen gegen das Regelwerk Klage erheben würden; vermutlich auch dadurch ermuntert, dass ein Berufungsgericht schon einmal in seinem Urteil einer Klage gegen Regelungen des FCC stattgab, so zeigen diese nun mehr oder minder intensiv ausgeprägte Zustimmung zu dem vorliegenden Beschluss, wenngleich auch vereinzelt Bedenken über das rechtliche Fundament bestehen.
Mittlerweile ist das 194 Seiten starke Regelwerk hier abrufbar. Im Wesentlichen wurden die Regelungen für Anbieter von über Festnetz realisiertem Internet verschärft, jene für Anbieter von mobilem Internet hingegen bleiben verhältnismäßig liberal.