Ägypten ist vom Internet abgeschnitten
Auf behördliche Anordnung hin haben die Internet-Service-Provider Ägyptens eine halbe Stunde vor Mitternacht jegliche Erreichbarkeit von Webseiten unterbunden. De facto ist momentan keine in Ägypten gehostete Seite mehr erreichbar. Derartiges war zuvor noch nie geschehen.
Somit können weder Webseiten aus Ägypten im Ausland beziehungsweise ausländische Webseiten in Ägypten abgerufen werden, was wohl auch der eigentlichen Intention dieser Maßnahme – der Unterbindung der Kommunikation und Koordination von Protestaktivitäten ägyptischer Bürger – entsprechen wird. Um 23:34 Uhr MEZ respektive 00:34 Uhr Ortszeit zogen die Internet Provider des Landes rund 3.500 Border-Gateway-Protocol-Routen aus dem sprichwörtlichen Verkehr und unterbanden selbigen somit nahezu vollständig. Wie heise online zu entnehmen ist, waren um 03:00 Uhr MEZ nur mehr für ungefähr 11 Prozent der ägyptischen Netzinfrastruktur BGP-Routen verfügbar (327 von vorher 2.903). Zudem gab es einen einzigen Service Provider, der diese Maßnahmen anscheinend kaum umgesetzt hatte – Noor Data Networks. Ob das mit dem wirtschaftlichen Hintergrund des Kunden dieses ISP – dazu gehört unter anderem die ägyptische Börse, deren Server heute früh noch erreichbar waren, es momentan aber nicht mehr sind – zusammenhing oder schlichtweg die Anordnung nicht umgesetzt wurde, ist momentan nicht klar.
Eine derartige Maßnahme wurde in dieser umfassenden Weise bisher noch nicht beobachtet. Bis heute hatten sich Regierungen nur darauf beschränkt, selektiv bestimmte Seiten zu blocken (Tunesien) oder aber die Geschwindigkeit des Internets ansich auf eine sehr niedrige Ebene herunterzusetzen (Iran). Wie sich diese Vorgehensweise der ägyptischen Administration auf die Wirtschaft des Landes – ein nicht unbeachtlicher Teil jener verwendet das Internet mittlerweile als (Teil-)Basis ihrer geschäftlichen Aktivitäten – auswirkt, ist nicht absehbar.
Jedenfalls spricht dieses rigoriose Durchgreifen für eine steigende Nervosität innerhalb der Regierung Ägyptens, die in den momentan stattfindenden Protesten wohl eine immer größer werdende Gefahr für die eigene Machtposition zu sehen scheint. Dazu passt es auch gut ins Bild, dass Dienste wie Twitter, Facebook oder der Google-Chat schon seit Dienstag geblockt werden.
Laut heise online soll mittlerweile aus Kreisen der Sicherheitskräfte durchgesickert sein, dass die Polizei gegebenenfalls auch mit Waffengewalt jegliche Art von Demonstrationen verhindern will. In Kairo sollen Polizeifahrzeuge in großer Zahl auf den Straßen stehen und auf größeren Plätzen der Stadt auch gepanzerte Mannschaftstransporter im Einsatz sein.
Die Oppositionsparteien und Protestorganisationen haben indes an die Bevölkerung Aufrufe ergehen lassen, sich nach dem Freitagsgebet (für Muslime) beziehungsweise dem Kirchgang (für Christen) weiterhin an den Protestaktivitäten beteiligen. Diesem Aufruf folgten Augenzeugenberichten zufolge zu Mittag hunderttausende Menschen in Kairo, Alexandria, Al-Arisch, Assuan, Ismailija, Luxor oder Kena aber auch in anderen Landesteilen wie etwa Minia, Mansura und Manufija. Diese zu zerstreuen versuchten sowohl in die Luft feuernde Soldaten als auch mit Tränengas und Wasserwerfern operierende und Schlagstöcke schwingende Polizeieinheiten. Die Protestierenden widersetzten sich jedoch diesen Bestrebungen, bewarfen die Ordnungskräfte stattdessen unter anderem mit Steinen und zündeten angeblich sowohl Polizeiwachstuben als auch Büroräumlichkeiten der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) an. Es gibt auch Berichte von Polizeiangehörigen, die sich ihrer Uniformen entledigten und sich den Demonstranten anschlossen. Die geschätzte Zahl der Verhaftungen soll mittlerweile auf insgesamt über 1.000 Personen, der Blutzoll auf acht Menschenleben angestiegen sein.
Ebenfalls zur Mittagszeit soll der inzwischen von Wien nach Kairo gereiste Mohammed El Baradei im Kairoer Bezirk Giza festgesetzt worden sein. Al Jazeera berichtete, dass er und eine unbekannte Anzahl an Demonstranten nach dem Freitagsgebet durch Sicherheitsorgane am Verlassen der Moschee durch Einkesselung der selben gehindert worden sein soll. Die Polizei soll auch gegenüber Journalisten handgreiflich geworden sein und Kamerateams ihrer Aufnahmen beraubt haben.
Auch sollen sich die in Ägypten tätigen Telekommunikationsfirmen bei einem geheimen Treffen darauf verständigt haben, dass im Falle der Eskalation der Demonstrationen sämtliche Kommunikationskanäle unterbrochen werden sollen. Die Regierung hat unterdessen schon begonnen Mobilfunkanbieter anzuweisen, ihre Netze in bestimmten Landesteilen abzuschalten. Das teilte der britische Telekomkonzern Vodafone in einer Stellungnahme mit. Da dies mittels rechtlicher Anweisungen erfolge, sei man gezwungen, sich diesen zu beugen, betonte der Konzern weiter.
Die deutsche Bundesregierung gab derweil ihre Unterstützung für ein Mehr an Demokratie bekannt, Außenminister Westerwelle forderte die ägyptische Regierung zu einem Gewaltverzicht auf.