„NSA-Überwachung verstößt gegen Menschenrechte“
Die Internet-Überwachung durch die NSA und dem britischen GCHQ verstößt gegen internationales Recht, dementsprechend kann vor den Vereinten Nationen (UN) oder dem Europäischen Menschengerichtshof Klage erhoben werden. So lautet das Fazit der Rechtsexperten bei einer Anhörung des NSA-Untersuchungsausschusses im EU-Parlament.
Die Überwachungsprogramme von NSA und GCHQ wären „vollständig unvereinbar mit den meisten grundsätzlichen Menschenrechtserklärungen weltweit und den Datenschutzschutzbestimmungen in der EU“, sagte Dowe Korff, Rechtsprofessor an der London Metropolitan University. Mit Programmen wie Prism und Tempora hätten die Dienste einen „geheimen Überwachungsstaat“ aufgebaut, der weder von den politischen noch von den juristischen Instanzen angemessen kontrolliert werde. Das bedroht laut Korff die Privatsphäre und Autonomie in einer demokratischen Gesellschaft, Wirtschaftsspionage oder politische Überwachung könnten nicht mehr ausgeschlossen werden.
Dass die NSA zusammen mit den Partnerdiensten den globalen Datenverkehr erfasst und Verbindungsdaten für mehrere Jahre speichert, verstößt auch nach Ansicht des früheren UN-Sonderberichterstatter Martin Scheinin gegen den Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen. Dieser umfasst auch den Schutz der Privatsphäre von Individuen. Die Enthüllungen von Edward Snowden würden aber zeigen, dass mit dem massenhaften Sammeln von Metadaten zu viele persönliche Informationen erfasst werden, die in vielen Fällen den Zugriff auf konkrete Inhaltsdaten erleichtern. Nach Ansicht von Scheinin wären staatlichen Behörden völkerrechtlich nicht auf der sicheren Seite, wenn diese sich darauf berufen lediglich Metadaten zu speichern.
Mit diesem Argument haben Sicherheitspolitiker bislang stets darauf verwiesen, dass so die rechtlich vorgeschriebene Verhältnismäßigkeit gewahrt werde. Immerhin würden keine Inhalte direkt abgehört werden und es müsse abgewogen werden zwischen der Freiheit auf der einen und der nationalen Sicherheit auf der anderen Seite. Nach Ansicht des Londoner Rechtsprofessors Korff reiche dieses Argument aber nicht aus, um Verstöße gegen internationale Verpflichtungen zu rechtfertigen. Immerhin werde mit dem Anzapfen zentraler Internet-Knotenpunkte und Glasfaserkabel die Souveränität von Staaten verletzt.
Generell verdeutlichen die Enthüllungen, dass ein Konflikt zwischen nationalen und supranationalen Recht besteht. Auf nationaler Ebene werden die Rechte der Geheimdienste zwar in vielen Staaten begrenzt, allerdings gelten diese Einschränkungen oftmals nur für die eigene Bevölkerung – im Falle der NSA also für US-Bürger. Die UN unterscheide aber praktisch nie zwischen Rechten von Bürgern und denen von Ausländern, sondern betrachte generell alle Menschen, erklärte Scheinin. Daher sprachen sich sowohl Scheini als auch Korff dafür aus, juristisch gegen die Geheimdienst-Überwachung vorzugehen.
In der Praxis lauern auf diesem Weg allerdings diverse Hürden. So erklärte Bostjan Zupancic, Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dass Überwachungsprogramme wie Tempora seiner Ansicht nach zwar gerichtlich angreifbar sind, die Kläger müssten aber zunächst den nationalen Rechtsweg ausschöpfen. Klagen vor Verfassungsgerichten wären ohnehin vielversprechender, diese könnten verfassungswidrige Gesetze direkt einkassieren. Der Einfluss des Gerichtshofs für Menschenrechte ist hingegen beschränkt, zumal dieser sich nur mit den Kooperationen von europäischen Geheimdiensten und der NSA befassen könnte. Die NSA selbst liegt als US-Dienst außerhalb seiner Zuständigkeit.
Dementsprechend richtet sich auch die Klage, die drei britische Menschenrechtsorganisationen bereits Anfang Oktober vor dem Straßburger Gerichtshof eingereicht haben, gegen die britische Regierung und den Geheimdienst GCHQ. Vor dem EU-Untersuchungsausschuss erklärte Nick Pickles, Direktor von der beteiligten Organisation Big Brother Watch, dass die nationalen Kontrollinstanzen versagt haben. Gerichte hätten sich für nicht zuständig erklärt, während der Geheimdienst-Ausschuss im britischen Parlament das Tempora-Programm nicht untersuche. Constanze Kurz, Sprecherin vom Chaos Computer Club (CCC) und ebenfalls an der Klage vor dem Straßburger Gerichtshof beteiligt, sagte im Rahmen der EU-Anhörung, dass juristische Schritte alleine nicht ausreichen. Von EU-Regierungen forderte sie Maßnahmen wie „digitale Nichtangriffspakte“. Außerdem müsste es für Geheimdienste Konsequenzen haben, wenn diese die digitale Kommunikation unterwandern, indem etwa Verschlüsselungstechnologien systematisch ausgehebelt werden.