Studie fordert unabhängige Überprüfung von Copyright-Gesetzen

Andreas Schnäpp
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Eine vor Kurzem veröffentlichte Studie der London School of Economics and Political Science (LSE) befasst sich mit Online-Piraterie und fordert eine unabhängige, evidenzbasierte Überprüfung der Gesetzeslage in Abwägung der Interessen aller Beteiligter. Lobbyvertreter der MPAA reagierten darauf mit harscher Kritik.

Anlass für die Studie ist der Digital Economy Act (DEA) aus dem Jahr 2010, welcher unter anderem bei Urheberrechtsverstößen ähnlich dem jüngst entschärften französischen Hadopi-Gesetz automatisierte Warnungen sowie Strafen und bei wiederholten Vorfällen auch das Sperren des Internetzugangs vorsieht. Obwohl das Gesetz seit dem 8. April 2010 offiziell in Großbritannien rechtskräftig ist, werden die für Internetsperren relevanten Abschnitte noch kontrovers diskutiert und nach Schätzungen nicht vor 2015 implementiert.

Die Forscher der LSE kamen zu der Feststellung, dass sich die Äußerungen der Industrievertreter über drastische Umsatzeinbußen in der Musikindustrie durch Piraterie nicht nachvollziehen lassen: Es komme zwar zur Stagnation in einzelnen Teilbereichen, im Großen und Ganzen sei jedoch weltweit gesehen ein Umsatzwachstum innerhalb der letzten Jahre anhand der verfügbaren Zahlen erkennbar.

LSE: Umsatztrend in der Musikindustrie
LSE: Umsatztrend in der Musikindustrie

Im Jahr 2013 sei der Online-Umsatz mit Musik in Großbritannien zum ersten Mal größer als der von CDs und Vinyl zusammen gewesen, was der ganzen Industrie gesteigertes Einkommen beschert. Dies deute darauf hin, dass die Plattenfirmen schlichtweg zu spät auf den digitalen Zug aufgesprungen sind und schon viel früher Wachstum miterleben hätten können, sofern sie sich „früher an die digitale Umgebung angepasst hätten statt die digitale Kultur in ihr veraltetes Geschäftsmodell zu zwängen“.

LSE: Digitaler Umsatz in der Musikindustrie
LSE: Digitaler Umsatz in der Musikindustrie

Andere Bereiche der Kreativ-Branche hätten sich viel früher auf die digitale Kultur eingestellt und könnten nun Rekordumsätze verbuchen. Als Beispiel wird die Filmindustrie mit dem Rekordjahr 2012 genannt, in dem ein weltweiter Umsatz von 35 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet werden konnte – ein Wachstum von 6 Prozent im Gegensatz zum Vorjahr. Die Spiele-Industrie hingegen soll bis 2017 auf einen Gesamtumsatz von 87 Milliarden US-Dollar anwachsen mit einem geschätzten Wachstum von 6,5 Prozent.

Innerhalb der Kreativ-Branche gebe es eine Vielzahl von Ansichten, wie man am besten mit dem Sharing-Verhalten der Nutzer umginge, um neue Einkommensquellen zu generieren. Das bereits existierende Copyright-Vollstreckungs-Regime“, wie die Forscher es bezeichnen, eigne sich für viele dieser neuen Einkommensquellen nicht als Grundlage. Die Forscher verweisen auf alternative Produktions- und Vertriebsformen wie Crowdfunding sowie Musik im Rahmen der „Creative Commons“-Lizenz. Allein 2005 bis 2011 sei die Nutzung von CC-Lizenzen von 50 Millionen auf 450 Millionen angestiegen. Die Behauptung, dass Menschen nur dann kreative Werke produzieren, sofern sie dafür auch das exklusive Urheberrecht erhalten, ignoriere all jene Praktiken, die auf dem Teilen und Kollaborieren sowie einfachem Zugang zu kreativen Werken beruhen, so die Forscher. Als erfolgreiches Beispiel auf diesem Gebiet wird die Plattform Indaba genannt, mit derer Hilfe Nutzer Zugang zu unter CC-lizenzierten Werken erhalten und diese frei in ihren Remixes verwenden dürfen.

Ferner fordern die Forscher man solle Lehren aus der jüngsten Vergangenheit ziehen: 2012 kritisierte der französische Kulturminister, dass die 12 Millionen Euro Kosten für das mittlerweile gescheiterte Hadopi-Sanktionierungssystem sinnvoller angelegt werden könnten, wenn man stattdessen das Geld für die Entwicklung legaler Plattformen verwende. Im Juli dieses Jahres belegte eine Studie, dass bessere legale Angebote illegale Kopien verdrängen.

Das größte Problem seien jedoch die verhärteten Fronten zwischen beiden Seiten: Unabhängige Studien müssten sich auf die ihnen zugänglichen Zahlen beschränken, woraufhin diese dann von Lobbyisten angegriffen werden, da die Studien laut deren Aussagen über nicht ausreichende Einblicke in die Industrie verfügen würden. Im Gegenzug geben die Lobby-Verbände dann eigene Studien in Auftrag, die unabhängige Studien wiederum entkräften sollen. Regierungen müssten sich meist mit den von der Kreativ-Branche finanzierten Studien zufriedengeben und diese als die „besten verfügbaren Fakten“ akzeptieren, weil Gegner kaum bis gar keinen Zugriff auf Methodiken oder finanzielle Grundlagen bekämen.

So ist es nicht verwunderlich, dass die MPAA in einem Blogpost auf die veröffentlichte Studie der LSE reagiert und dabei die Glaubwürdigkeit der Studie sowie derer Autoren anzweifelt. Auf die Feststellung, dass die Kreativ-Branche sich überhaupt nicht im Rückgang befinde und Piraterie dementsprechend keinen ernstzunehmenden Schaden anrichte, entgegnet die MPAA: „Um die Auswirkung von Piraterie isoliert zu betrachten, ist eine kompliziertere Analyse notwendig. Man muss die Gegenfrage stellen „Wie hoch wären die Verkaufszahlen, wenn gar keine Piraterie existiere?" – kurz daraufhin wird auf eine Studie verwiesen, die von der MPAA selbst in Auftrag gegeben und „großzügig finanziert“ wurde.

Damit verfällt die MPAA in altbekannte Muster, die Dr. Bart Cammaert, einer der Autoren der Studie, in einem Interview mit Torrentfreak kritisiert. Die Copyright- und Filesharing-Debatte werde seiner Ansicht nach auf eine höchst ideologische Weise geführt. Der Zweck der Studie sei nie gewesen die Behauptung aufzustellen, dass Online-Piraterie keinerlei negative Effekte habe, sondern darauf hinzudeuten, dass die Industrie Tatsachen verfälscht darstellt. Eines der Hauptziele sei gewesen die oftmals als Fakten dargestellten Behauptungen der Lobbyisten anhand einer Liste und Dokumentation der Gegenargumente gegenzuprüfen und damit zu verdeutlichen, wie wichtig eine unabhängige Überprüfung der Gesetzeslage und der von der Industrie vorgeschlagenen repressiven Lösungsmaßnahmen ist.

Abschließend kommen die Forscher zur Empfehlung den Digital Economy Act sowie damit verbundene Gesetzgebung einer Überprüfung durchzuziehen, die die Interessen von Internetnutzern, Kreativ-Branche und Internetanbietern in gleichem Maße berücksichtigt. Die digitale „Sharing“-Kultur und neue Produktionsformen in das alte Copyright-Modell zu zwängen sei „realitätsfremd“ und würde Innovation und Wachstum in der heutigen Online-Kultur unterdrücken. Die Forscher fordern zudem, dass sich strafrechtliche Verfolgung nicht an Filesharing-betreibende Einzelpersonen richten solle, sondern man Urheberrecht-verletzende Firmen oder gewerbsmäßige Urheberrechtsverletzer stärker fokussieren müsse. Stärker ausgeprägte „fair use“-Rechte sowie Ausnahmen für Privatkopien hätten den Effekt, die Balance bei der Interessenverteilung des Urheberrechts wiederherzustellen. Erstere sind im deutschen Rechtsraum beispielsweise überhaupt nicht vorhanden, was dazu führt, dass deutsche Internetnutzer beim Erstellen von Blogs, YouTube-Videos oder ähnlichen Medienformen relativ leicht in Abmahn-Situationen geraten können ohne sich dessen bewusst zu sein.

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