Watch Dogs im Test: Nichts für schwache Rechner
3/4Tolle Spielwelt, abwechslungsreiches Gameplay
Fairerweise muss aber gesagt werden, dass der anfänglich schleppende Verlauf der Handlung auch dem Open-World-Charakter von „Watch Dogs“ geschuldet ist. So verlegt sich das Spiel frühzeitig darauf, den Spieler nicht zu stark zu gängeln: Statt gleich in die dichte Erzählung einsteigen zu müssen, darf der Spieler immer wieder aussteigen und sich in der fiktiven, abwechslungsreichen Zukunftsversion von Chicago umsehen. Hier findet es sich also wieder, das alte Spannungsfeld von maximal-dichter Erzählung und maximaler Freiheit, das von „Watch Dogs“ aber gut aufgefangen wird.
Wer voll in die Handlung einsteigen möchte, kann deswegen direkt zu den jeweiligen Kampagnen-Schauplätzen düsen, und wird – so denn die Rahmenbedingungen und Begriffe eingeführt sind – mit einer überwiegend dichten, wenn auch nicht immer spannenden Erzählung belohnt.
Ein solches Vorgehen wäre aber schade, weil das Ubisoft-Chicago einiges zu bieten hat. Da ist zunächst die Spielwelt, die mit ihren unterschiedlichen Umgebungen zu Erkundungstouren einlädt. Wir fahren durch tiefe Wolkenkratzerschluchten, schleichen durch verdreckte dunkle Gassen, besuchen Verwandte im bürgerlichen Speckgürtel, flanieren an der Flusspromenade entlang, observieren in grünen Parks und infiltrieren zwielichtige Industriegelände. Dazu stehen die unterschiedlichsten Autos und Motorräder bereit; für längere Distanzen kann bei Bedarf zudem ein Ticket der Hochbahn gelöst werden.
Außerdem laden auch externe Reize zu Erkundungstouren ein. Wie von der Konkurrenz gewohnt, kann man auch in „Watch Dogs“ bei Waffenläden anhalten oder das Outfit des Helden in einem der vielen Shops aufmotzen. Wirklich nötig ist das zwar nicht, da Aiden die Waffen, die er auf seinem Weg findet, automatisch in seinem Arsenal abspeichert – für einen kleinen Boxenstopp reicht es aber allemal. Darüber hinaus kann Aiden an Pokertischen Platz nehmen, bei Mini-Spielen in ein echtes SciFi-Setting abtauchen, das Aufkommen von mysteriösen Boxen erforschen oder aber nach den letzten Gimmicks für das eigene Inventar fahnden. Dazu hackt Aiden am besten den ctOS-Übertragungsturm des jeweiligen Bezirks (typisch Ubisoft Montreal), denn so erhält er Zugriff auf die meisten interessanten Orte.
Und auch an Action mangelt es abseits der Kampagne nicht, wobei ganz konkret das Setting einfließt. So verfügt Aiden über Zugang zum sogenannten Profiler von ctOS, sodass er auf seinen Streifzügen durch die Stadt immer wieder auf Orte hingewiesen wird, an denen Verbrechen verhindert werden können oder den Gangs von Chicago ein Schnippchen geschlagen werden kann. Diese optionalen Kurzmissionen weisen meist einen ähnlichen Charakter auf, sodass Aiden beispielsweise in einem Zielgebiet nach dem potentiellen Opfer und Täter scannt und dann eingreift oder aber ein Zielgebiet von Mafiosi säubert. Trotzdem gefällt uns das Gesamtangebot an optionalen Tätigkeiten – sie sorgen dafür, dass man Aiden immer wieder gerne weg von den Hauptmissionen und hin zu Erkundungstouren steuert.
Die eigentliche Kampagne ist eingebettet in zahlreiche Videosequenzen, die den Spieler auch nach längeren Nebenmissionen thematisch schnell wieder „on track“ bringen. Auch hier hat das Setting direkten Einfluss auf das Gameplay: Aiden erkundet per gehackter Kamera die Aufstellung seiner Gegner, lässt Trafos explodieren, um die ctOS-Schergen von Weitem auszuschalten, und lenkt sie mit gefakten Chatnachrichten, plötzlich losgehenden Alarmanlagen und sich bewegenden Gabelstaplern von ihren Aufgaben ab.
Auch bei den vielen Verfolgungsjagden durch die Stadt kann der Spieler auf die Vorzüge von ctOS zurückgreifen. Drängelnde Polizei- und Gangster-Autos können per Knopfdruck von plötzlich hochschießenden Pollern oder einer in alle Richtungen auf grün schaltenden Ampel gestoppt werden. Bei Bedarf kann Aiden auch eine der Brücken über den Fluss hinter sich hochziehen, kurzzeitig Helikopter außer Kraft setzen und den Funkverkehr und Scans stören.
Die Hack-Möglichkeiten sind also vielfältig und haben einen spürbaren, weitreichenden Einfluss auf die Spielmechanik. Komplex ist die Angelegenheit aber nicht, sondern ziemlich casual: Sieht man von kleineren, simplen Mini-Hackspielen ab, beschränkt sich die Interaktion darauf, dass man rechtzeitig „Q“ drückt, um ein anvisiertes Objekt zu „hacken“. Etwas mehr Facetten hätten dem Kernelement von Watch Dogs gutgetan.
Es ist auch diese Vielfalt der Möglichkeiten, die den Spieler in den ersten Minuten ein wenig erschlägt. Allerdings ist es auch nicht überraschend, dass sich die Mechaniken auf Dauer dann doch wiederholen. Wenn der Protagonist zum zigsten Mal auf der Straße Geld oder Songs aus dem Smartphone von Passanten zieht, wenn er zum zigsten Mal Gegner unter einen Lastenkran lockt, um per Hack die Ladung auf sie stürzen zu lassen, wenn er im Rückspiegel schon wieder sieht, wie ein Polizeiauto an den abrupt hochgefahrenen Pollern hängengeblieben ist, dann setzt natürlich so etwas wie Routine ein.
Es wäre aber ungerecht, Watch Dogs daraus einen Strick zu drehen. In der spielerischen Verarbeitung des Settings findet sich eine große Stärke von Watch Dogs. Denn auch wenn sich die Mechaniken auf Dauer doch merklich wiederholen: In dieser Hinsicht setzt sich der Titel deutlich von seinen Open-World-Konkurrenten ab. Löblich, dass das Hacker-Setting nicht nur Schablone ist, sondern sich auch auf das konkrete Spielen auswirkt!
Integrierter Multiplayer
Gut gefällt auch der Mehrspielerpart, der nahtlos in die Offline-Spielwelt von Watch Dogs integriert ist. Wer zwischendrin Lust auf ein Spiel gegen einen menschlichen Gegner verspürt, kann immer mal wieder Herausforderungen stellen oder akzeptieren. Bei diesen klinkt sich beispielsweise ein Gegner in die eigene Spielwelt ein: In einem Zielgebiet gilt es dann, diesen feindlichen Hacker in einer Menge von NPCs zu identifizieren („Assassin's Creed“ lässt grüßen), woraufhin nicht selten eine wüste Schießerei mitsamt Verfolgungsjagden entsteht.
In weiteren Standard-Modi können menschliche Spieler sich mit Waffengewalt oder in Wettrennen gegeneinander messen. Und auch eine App darf nicht fehlen: Über die ctOS-Companion-Anwendung (iOS, Android) können Spieler indirekten Einfluss auf das Spielgeschehen von Dritten nehmen, indem sie in Online-Spiele mit Straßensperren, Polizeiwagen und Helikopter-Einsätzen eingreifen.
Auch wenn schnell deutlich wird, dass der Multiplayer nur Beiwerk ist: Die Integration ist geglückt und lädt tatsächlich immer wieder dazu ein, dass eigene Spiel kurzzeitig zugunsten eines Wettkampfes zu verlassen.
Fordernde Technik
Technisch sorgt „Watch Dogs“ für ein Wechselbad der Gefühle. Auf der einen Seite steht eine gelungene Grafik, die zwar nicht immer hochauflösende Texturen, dafür aber wechselndes Wetter und Tageszeiten und eine bis in die letzte Ecke animierte Metropole bietet. Besonders gut gefällt uns dabei, dass Chicago dadurch wirklich lebendig wirkt: Wo Aiden auch geht und steht trifft er auf zahlreiche Passanten, die nicht nur stumpf herumstehen oder -laufen, sondern sich streiten, flirten, Musik machen, in Autos einsteigen, einkaufen gehen oder aber nach dem Weg fragen. Die Stadt lebt. Gut so!
Auf der anderen Seite sorgt die Technik wegen ihrer bescheidenden Performance für jede Menge Frust. Die extremen, vorab viel kritisierten Hardware-Empfehlungen bewahrheiten sich nämlich, sodass man selbst mit einem Highend-System kaum in den Genuss kommt, „Watch Dogs“ in voller Pracht durchgehend flüssig zu spielen.
Auf unserem Testsystem wollte der Titel auf „Ultra“-Details in einer Auflösung von 1.920 × 1.080 überhaupt nicht rund laufen. Während sich die Bilderraten in geschlossenen Räumen relativ konstant bei 45 Bildern pro Sekunde bewegten, fielen die FPS in der Open-World auf 10 bis 15, was insbesondere bei wilden Verfolgungsjagden unspielbar ist. Die Bewegung durch die offene Spielwelt ist dabei so fordernd, dass für uns selbst auf mittleren Details nur 25 bis 30 Bilder pro Sekunde drin waren, wobei auch eine leicht verringerte Auflösung keine großen Vorteile brachte. Allerdings kam während unseres Tests noch der Catalyst 14.4 zum Einsatz und nicht der neue, für Watch Dogs optimierte Catalyst 14.6 Beta.
Benchmarks mit unterschiedlichen Grafikkarten von Nvidia und AMD sowie unterschiedlichen Auflösungen, Kantenglättungsmodi und CPU-Geschwindigkeiten haben wir separat durchgeführt. Hierfür kommt unser Grafikkarten-Testsystem mit einem auf 4,4 GHz übertakteten Intel Core i7-4770K sowie 16 GB RAM zum Einsatz. Als Treiber verwenden wir den Catalyst 14.6 Beta beziehungsweise den GeForce 337.88. Als Testszene nutzen wir einen 25 Sekunden langen Lauf durch die Stadt bei schönem Wetter.
Einzelheiten und eine Analyse der Ergebnisse finden sich in der Meldung „Watch Dogs: Grafikkarten- und CPU-Benchmarks“.
Ein kleines Ärgernis ist in puncto Technik auch, dass die Menüführung und auch die Ingame-Oberfläche überhaupt nicht an die Vorteile der Maus- und Tastatursteuerung des PCs angepasst wurden. Schon bei der umständlichen Bedienung des Waffenrades merkt man deswegen sofort, dass „Watch Dogs“ als Multi-Plattform-Titel vor allem für die Konsolen entwickelt wurde.
Ohne Fehl und Tadel ist dagegen die Sound- und Sprachumsetzung. Zu passenden Ambiente-Klängen und einer guten musikalischen Untermalung gesellt sich eine nahezu einwandfreie deutsche Synchronisation – so soll es sein.