NSA-Ausschuss: Assange bietet sich als Zeuge für NSA-Spionage an
WikiLeaks-Chef Julian Assange bietet sich dem NSA-Ausschuss des Bundestags als Zeuge an. Dann könnten die Abgeordneten auch einen Einblick in die Liste mit den Telefonnummern von deutschen Politikern und Regierungsmitarbeitern erhalten, die die NSA über Jahrzehnte hinweg im Visier hatte.
Erschwert wird die Befragung allerdings, weil Assange nach wie vor in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt. Ähnlich wie bei Edward Snowden ist eine direkte Anhörung im NSA-Ausschuss also nicht möglich. Daher erklärte Assange im Gespräch mit dem Spiegel: „Ich würde mich freuen, wenn die Abgeordneten zu mir kämen, um ihre Fragen zu stellen.“ So könne er etwa weitere Auskünfte über die Überwachung von deutschen Politikern und Regierungsmitarbeitern geben.
In den letzten Wochen hatte WikiLeaks mehrere Abhörprotokolle sowie eine Liste mit Selektoren veröffentlicht. In diesem Fall sind es Telefonnummern, von denen etwa zwei Dutzend aus dem engsten Umfeld von Kanzlerin Merkel stammen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Die Liste beinhaltet demnach die immer noch aktuellen Durchwahlen von Merkels Büroleiterin Beate Baumann, dem Kanzleramtsminister Peter Altmaier sowie dem Geheimdienst-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche. Ebenfalls betroffen sind der CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder und der ehemalige Kanzleramtsminister Roland Pofalla. Zudem ist die Telefonnummer von Merkels Vodafone-Handy enthalten, dass die Kanzlerin bis zum Jahr 2013 genutzt hat. Darüber hinaus hatte Wikileaks eine Liste mit Telefonnummern veröffentlicht, die etwa das Finanz-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium betreffen. Insgesamt umfasst die Liste nun 125 Selektoren.
Neben Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Umfeld soll der amerikanische Geheimdienst auch schon in den Amtszeiten von Gerhard Schröder und Helmut Kohl spioniert haben. Zu den ältesten Einträgen zählt die Nummer von Johannes Ludewig, der bis 1994 – also unter Altkanzler Helmut Kohl – die Wirtschaftsabteilung im Kanzleramt leitete. Während der Amtszeit von Gerhard Schröder soll es die NSA auf die Anschlüsse abgesehen haben, die sich dem damaligen Kanzleramtsminister Bodo Hombach und dem für die Aufsicht der deutschen Geheimdienste zuständigen Ernst Uhrlau zuordnen lassen.
Welche Inhalte für die NSA interessant sind, zeigen derweil die Abhörprotokolle, die aus den Jahren 2009 und 2011 stammen. Eines vom Februar 2009 beschreibt etwa Merkels Haltung zur Finanzkrise im Vorfeld eines G20-Gipfels.
Zögerliche Aufklärung als bekanntes Dilemma
Das Angebot von Assange dürfte vor allem bei den Oppositionsparteien auf offene Ohren stoßen. Diese forderten bereits, dass die Bundesregierung angesichts der jüngsten Enthüllungen nun endlich weitergehende Schritte einleiten müsse. „Kanzlerin Merkel hat in den letzten Wochen gezeigt, dass sie weder Willens noch im Stande ist, die versprochene Aufklärung zu leisten“, erklärte etwa der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz.
Ob das tatsächlich der Fall ist, bleibt allerdings abzuwarten. Trotz des Vorwurfs, dass die Bundesregierung seit Jahrzehnten ein Spionage-Ziel der US-Geheimdienste ist, hielt sich das Kanzleramt bedeckt. „Eine abschließende Bewertung [ist] derzeit nicht möglich“, weil ein „Nachweis der Authentizität fehle“, sagte etwa ein Sprecher auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung. Immerhin: Zwischenzeitlich wurde der US-Botschafter zum Gespräch geladen. Weitere Maßnahmen scheint das Kanzleramt derzeit aber nicht geplant zu haben. Nach Kenntnissen der Süddeutschen Zeitung soll vielmehr Gleichgültigkeit vorherrschen. „Man wundere sich in dieser Sache über nichts mehr“, heißt es laut dem Bericht in Regierungskreisen.
Und es ist genau diese zurückhaltende Art, die nicht nur die Opposition empört, sondern auch die US-Regierung verwundert. So berichtete der Spiegel in der letzten Woche von einem internen Vermerk des Bundesnachrichtendienstes (BND) aus dem Jahr 2013, laut dem die US-Geheimdienste „harte Reaktionen“ erwartet hätten, als die Handy-Spionage gegen Kanzlerin Merkel bekannt wurde. Man habe mit „kurzzeitigen temporären Einschränkung der Kooperation“ oder der „Ausweisung von US-Personal“ gerechnet. Denn genau das wäre laut dem BND-Vermerk der Fall, wenn deutsche Geheimdienste in einer ähnlichen Weise die US-Regierung ausspionieren würden.