Kanzleramt: Ausmaß der BND-Spionage war seit 2008 bekannt
Nicht erst seit dem Jahr 2013, sondern schon seit 2008 soll das Bundeskanzleramt gewusst haben, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) auch Partnerstaaten und verbündete Institutionen überwacht hat. Das zeigen interne Dokumente, die dem Spiegel vorliegen.
Die Überwachungsaktivitäten, die der BND unter eigener Regie und nicht als Handlanger der NSA durchgeführt haben soll, betrafen demnach die Vereinten Nationen (VN) und die Europäische Union. So soll das Bundeskanzleramt den deutschen Geheimdienst in einem Schreiben vom November 2008 aufgefordert haben, bei der zielgerichteten Spionage die „Zugangskennungen von Funktionsträgern von VN und EU automatisiert zu löschen“.
Innerhalb des BND wurde dann offenbar diskutiert, ob dieses Verbot auch für die Fernmeldeaufklärung gilt – also das Abfangen und Auswerten des internationalen Datenverkehrs, der mit Hilfe von Selektoren wie IP-Adressen und Telefonnummern nach bestimmten Inhalten durchsucht wird.
Einem schriftlichen Vermerk vom Februar 2009 zufolge lautete das Ergebnis dieser Diskussion allerdings: Nein. Wenn das Bundeskanzleramt gewollt hätte, dass Vertreter von der EU und den Vereinten Nationen nicht mehr per Fernmeldeaufklärung überwacht werden, hätte das explizit verboten werden müssen. Denn dem Bundeskanzleramt sei laut dem internen Vermerk damals „bekannt“ gewesen, dass der BND solche Überwachungsmaßnahmen durchführt.
Widerspruch zur offiziellen Lesart des Kanzleramts
Diese Vermerke widersprechen allerdings der offiziellen Lesart von Bundeskanzleramt und BND. Demnach hat das Kanzleramt als Aufsichtsbehörde erst im Jahr 2013 erfahren, dass hauseigene BND-Selektoren auch auf verbündete Staaten und Institutionen abzielen. Und letzte Woche erklärte ein BND-Mitarbeiter im NSA-Ausschuss, dass der Geheimdienst bis zum Sommer 2013 nur darauf geachtet habe, keine deutschen Staatsbürger bei der Überwachung des internationalen Datenverkehrs zu erfassen. Für ausländische Bürger und verbündete Institutionen und Staaten galt das aber nicht.
Die entsprechenden Überwachungsaktivitäten sollen dabei sogar „vom Auftragsprofil gedeckt“ sein. Laut dem Zeugen war es zwar nicht „auftragskonform“, wenn etwa das französische Außenministerium in Paris abgehört wird. Eine französische Botschaft in einem mittelöstlichen Krisenstaat könnte aber durchaus ein legitimes Ziel sein, wenn der BND keine andere Möglichkeit habe, um an relevante Informationen aus einer solchen Region zu gelangen.
Offiziell wurde die Überwachung von verbündeten Staaten aber erst im Herbst 2013 eingestellt. Da erteilte BND-Präsident Gerhard Schindler die Anweisung, dass die entsprechenden Selektoren vollständig deaktiviert werden sollen. Unklar ist aber immer noch, inwieweit diese Entscheidung mit den NSA-Enthüllungen zusammenhängt. Im Oktober 2013 wurde bekannt, dass der amerikanische Geheimdienst auch das Handy von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) überwacht hat. Die Kanzlerin reagierte dann mit dem Kommentar: „Spionage unter Freunden – das geht gar nicht.“