Hitman im Test: Profikiller für Tüftler
2/4Episodisch gut?
Wie schon beim Vorgänger lief auch beim neuen Hitman die Entwicklung nicht ganz reibungslos. Zunächst wurde die Veröffentlichung von Sommer 2015 auf das Frühjahr 2016 verschoben. Dann ließ Square Enix durchblicken, dass der Titel nicht komplett, sondern episodisch erscheinen würde.
Die Entscheidung wurde kontrovers diskutiert, bedeutet für die Spieler aber erstmal keine Nachteile. Wer zunächst nur hineinschnuppern möchte, kann für 12,99 Euro über Steam das „Intro Pack“ kaufen, das neben der ersten Folge in Paris auch den Prolog beinhaltet. Die danach folgenden fünf monatlichen Episoden können dann für je 9,99 Euro erworben werden, was einen Gesamtpreis von rund 63 Euro bedeutet. Wer sich gleich für einen Season-Pass entscheidet, kriegt für die üblichen 49,99 gleich das komplette Paket, kann zwischendurch aber auch nicht mehr aussteigen.
Sandbox statt Script-Action?
Umso entscheidender ist der erste Eindruck, den Hitman mit dem Prolog und der in Paris angesiedelten Startmission hinterlässt. Dazu lässt sich zunächst sagen, dass die Entwickler von IO Interactive einen anderen Weg gehen, als noch mit Absolution. Eingefleischte Fans der Reihe hatten nicht ohne Grund kritisiert, dass der erste Reboot zu linear verlief. Aus diesem Grund setzt das neue Hitman auf große Gebiete: Sandbox statt Script-Action – so lautet das Versprechen.
Ein Spielplatz ersetzt den Schlauch
Das erste Areal, eine große Fashionshow in der französischen Hauptstadt, ist deshalb als Spielplatz mit Dutzenden von Möglichkeiten ausgestaltet. Beim ersten Spielen werden wir in persona von Agent 47 am Haupteingang ausgesetzt. Das Ziel lautet, zwei führende Verkäufer von brisanten Geheimnissen auszuschalten, die zugleich die Organisatoren des Spektakels sind. Der Clou ist, dass wir dabei nach Belieben vorgehen können: Wann, wo und wie die beiden Ziele erledigt werden, bleibt völlig dem Spieler überlassen. Die Optionen sind tatsächlich vielfältig. Klaviersaiten, Pistolen, Rattengift, Sprengstoff, der Einsatz der Hände – Agent 47 steht das komplette Repertoire zur Verfügung, wobei sich mit etwas Geduld auch tatsächlich viele dieser und anderer Möglichkeiten anwenden lassen.
Allerdings fangen bei der konkreten Umsetzung schon die Probleme an. Zwar ist das Areal in Paris tatsächlich einigermaßen groß, das besagte Versprechen – Sandbox statt Script-Action – wird aber nur bedingt eingelöst. Verfolgt man die Zielpersonen nämlich etwas länger, wird deutlich, dass sie einer immer wiederkehrenden Logik folgen. Das Opfer im Obergeschoss der prunkvollen Location etwa läuft von einer Informationsauktion zum Getränkestand, von dort in einen privaten Raum, dann auf einen Gang zu einem Plausch und dann wieder in den Auktionssaal. Dieser zu leicht durchschaubare Rythmus führte bei unserem ersten Durchspielen dazu, dass wir die Zielperson zwei Stationen vor dem Getränkestand einfach außer Augen ließen, einen Barkeeper betäubten, seine Kleidung stahlen und uns dann pünktlich zum Eintreffen des Opfers am Getränkestand aufhielten, um dort ihren Champagner zu vergiften.
Scripte gibt es weiterhin
Eine weitere, nicht unproblematische Eigenschaft sind die durch und durch gescripteten „Opportunities“. Dabei handelt es sich um besondere Zugänge zu den Zielpersonen, die Agent 47 beispielsweise durch das Belauschen von Gesprächen erfahren kann. Der prominenteste Fall einer solchen Möglichkeit ist in Paris das Top-Model Helmut Kruger: Ein guter Freund einer Zielperson, der mit „All-Access“-Zugang für die Fashionshow ausgestattet und Agent 47 zufällig wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Sich für diese Person auszugeben, ist denkbar einfach: Wir folgen Kruger nach einem Fotoshooting im Außenbereich an eine ruhige Stelle, überwältigen ihn und bemächtigen uns seiner Kleider. Komisch: Obwohl die Wachen später den betäubten Kruger finden, fällt niemandem auf, dass wir an seiner Stelle fast gleichzeitig über den Laufsteg gehen.
Doch auch sonst offenbart diese „Opportunity“ zum Ziel gleich mehrere Probleme von Hitman. Erstens haben wir auf diesem Wege praktisch wirklich fast überall Zugang. Der erwähnte Lauf über den Catwalk ist da noch ein lustiger Nebeneffekt. Problematisch ist, dass der große Thrill der Reihe, die Vermeidung des Kontakts mit den vielen Sicherheitskräften, so außer Kraft gesetzt: Kruger ist für sie quasi Gott. Zweitens reagiert die mit Kruger befreundete Zielperson völlig unsinnig: Sie begrüßt uns trotz der innigen Freundschaft nicht, lässt uns aber trotzdem nah an sich heran. So nah, dass wir ihre geheimsten Gespräche belauschen können. Gleiches gilt für die zweite Zielperson, die offiziell nicht mal mit Kruger befreundet ist. Trotzdem können wir uns problemlos neben sie stellen und zuhören, wie sie sich mit einem Vertrauten über die Geschäfte unterhält.
Mit der Kruger-Tarnung können wir sogar noch mehr Schindluder treiben. Wir folgen der befreundeten Zielperson in die Nähe der Waschräume. Als sie mit ihrem Vertrauten ein Gespräch führt, schmeißen wir eine Münze in das Badezimmer: Die Zielperson läuft irritiert in den Raum, während der Vertraute draußen bleibt, Agent 47 alias Kruger aber ebenfalls eintreten lässt. Im Raum zücken wir eine Schere, erledigen, was zu erledigen ist, springen aus dem Fenster, und haben noch genügend Zeit – der Vertraute geht offenbar auch nach Minuten nicht nachsehen, wo seine Chefin bleibt – die zweite Zielperson durch einen in aller Öffentlichkeit getätigten Schraubenzieher-Wurf zu erledigen, um dann durch einen gutbewachten Nebeneingang, ohne dass einer der vielen Sicherheitskräfte eingreifen würde, zu verschwinden.
Diese Absurdität ist leider kein Einzelfall. In einer Übungsmission des Prologs können wir eine Yacht ohne große Umschweife in der Kleidung einer Person betreten, die mit dem Opfer einen Termin hat. Dadurch lässt sich die Zielperson problemlos ansprechen und in eine ruhige Ecke locken. Wir platzieren Sprengstoff, laufen mitten im Gespräch raus, zünden im Vorbeigehen bei den Wachen – und können trotz des klaren Zusammenhangs problemlos wieder abtauchen.
Hoher Wiederspielwert – zum Glück
Man kann diese Kritik als Jammern auf hohem Niveau abtun. Doch das wäre zu einfach, denn gerade ein Spiel wie Hitman lebt entscheidend von der Atmosphäre, von der Aufregung, von dem Druck, schnell und gewieft ans Ziel zu gelangen, weil andernfalls eine Heerschar von Sicherheitsleuten anrückt.
Wer will, ist in Minuten durch
Als kleine Einschränkung lässt sich dazu sagen, dass uns ja niemand zwingt, die leichten Spielarten der „Opportunities“ wahrzunehmen. Tatsächlich gibt es viele versteckte Möglichkeiten zu entdecken, sodass der Wiederspielwert erhöht wird. Das ist wichtig, weil man die Missionen des Startpakets in wenigen Minuten abschließen kann, wenn man den direkten Weg wählt. Hitman wendet sich also explizit an Tüftler, die immer neue Optionen ausprobieren möchten. Passend dazu werden Herausforderungen angeboten: Töte die Zielperson, während du diese und jene Verkleidung trägst, nutze diese und jene Methode und so weiter. Diese für XP-Jäger gedachte Mechanik ist ein nettes Gimmick, aber ebenfalls nicht unproblematisch, weil der Spieler beim Blick auf die Herausforderungen erfährt, was alles möglich ist.
Weiter erhöht wird der Wiederspielwert durch den bekannten Contracts-Modus, bei dem das Vorgehen des Spielers genau mitgeschrieben und danach in eine Mission für Andere umgewandelt wird. Der Modus hat trotz seines Alters kaum an Charme eingebüßt: Wenn wir zum Beispiel nach einem bestimmten Modell im Backstage-Bereich als Zielperson fahnden und uns wundern, wie der Spieler sein Opfer auf diese und jene Art ausschalten konnte, kommt trotz der mittlerweile bestens bekannten Umgebung Spielspaß auf.
Eskalationen machen das Leben schwer
Gut gefällt auch der neue Escalation-Modus, bei dem die Missionen immer weiter erschwert werden. Aus einer relativ einsamen Zielperson wird so Stück für Stück eine bestens bewachte, immer schwerer zugänglichere Zielperson – ein weiteres Zugeständnis an all jene, die Hitman wegen des Gameplays und der Herausforderung und nicht so sehr wegen einer dichten Erzählung spielen wollen.
Mit „Elusive Targets“ hält schließlich ein Modus Einzug, bei dem die Echtzeit eine kleine Rolle spielt. Hier werden vom Entwickler immer mal wieder besondere Ziele auf den bereits veröffentlichten Karten freigeschaltet, die nur maximal drei Tage zur Verfügung stehen und eigene kleine Rahmengeschichten mitbringen.