NSA-Ausschuss: Kanzlerin Merkel wusste von nichts
Es ist das große Finale für den NSA-Ausschuss: Die Beweisaufnahme endet heute, als letzte Zeugin wird Kanzlerin Angela Merkel (CDU) befragt. Doch die Regierungschefin bleibt auf der bekannten Linie. Ausspähen unter Freunden geht immer noch nicht, vom Ausmaß des BND-Skandals wurde sie selbst überrascht.
Es ist die Vorgeschichte, die diese Anhörung brisant macht. Auf dem Höhepunkt der NSA-Enthüllungen im Herbst 2013 erklärte Merkel: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“ Zuvor war herausgekommen, dass die NSA auch ihr Handy im Visier hatte. Es war eine Aussage mit politischer Sprengkraft. Denn in den letzten Jahren wurde allmählich bekannt, wie tief der BND in die Überwachungsmaschinerie der NSA verstrickt ist und sogar in eigener Regie befreundete Staaten ausspionierte. Überwacht wurden etwa auch Gespräche von der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton. Ausspähen unter Freunden ging also sehr wohl.
Merkel wusste angeblich von nichts
Merkel selbst erklärte nun laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org: „Ich wusste das nicht.“ Im Oktober 2013 meldete die BND-Spitze zwar ins Kanzleramt, dass der BND auch NSA-Selektoren – als IP-Adressen oder Telefonnummern – geschaltet hat, die auf Institutionen in befreundeten Staaten abzielten. Vom damaligen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla wurde sie zu dieser Zeit aber noch nicht informiert. Deswegen wiederholte sie ihren dahin schon allseits bekannten Satz auch noch bis ins Jahr 2014. Aufgedeckt wurde das Ausmaß der BND-Spionage demnach ab dem März 2015, erst dann habe sie sich „erstmals mit dem Begriff Selektoren befasst“, so Merkel. Dabei ging es aber auch nur um die NSA-Selektoren, von den BND-Selektoren habe sie sogar erst im Oktober 2015 erfahren.
An ihrem politischen Leitmotiv hält sie aber fest, Spionage unter befreundeten Staaten wäre also Zeitverschwendung. „Wir leben nicht mehr im Kalten Krieg“, so Merkel. Besser wäre es, sich auf „das Wesentliche“ wie den Anti-Terror-Kampf zu konzentrieren. Das so etwas vor Verhandlungen wie bei G20-Treffen nützlich sei, halte sie zudem für „absurd“.
Das Kanzleramt bleibt damit bei der bekannten Linie: Verantwortlich für den Skandal waren Mitarbeiter im BND, die politische Aufsicht wurde erst spät informiert. Ohnehin hält sich die Kanzlerin zurück, wenn es um konkrete Einschätzungen geht. Ihre Aufgabe wären politische Vorgaben und Richtlinien, nicht die technischen Details, mit denen sei sie nicht vertraut. Das gilt sowohl für den Selektoren-Skandal im BND als auch Programme wie Prism und Tempora.
Angesichts der Enthüllungen im Sommer 2013 erklärte Merkel, wenn die NSA in Deutschland flächendeckend überwacht, gehe es um eine Grundsatzfrage. Freiheit und Sicherheit würden sich zwar immer in einem Spannungsverhältnis befinden, es müsste aber die Balance gewahrt werden. Das bedeutet: Auf deutschem Boden müsse auch deutsches Recht eingehalten werden. Zumal der Schutz der Bürger auch wichtiger sei als ihr Handy, so Merkel. Dass es mutmaßlich durch die NSA überwacht wurde, beschreibt sie im Ausschuss fast schon beiläufig. Sie kommuniziere falls nötig ohnehin verschlüsselt.
An der Kooperation mit der NSA hält Merkel derweil fest. Deutsche Geheimdienste müssten etwa im Anti-Terror-Kampf Informationen mit anderen Diensten austauschen. Selbst die Präsidentschaft von Donald Trump ändere daran nichts.
Defizite statt Skandal
Erstaunlich an den Aussagen ist nun, dass die Bundesregierung demnach nicht ahnte, in welchem Ausmaß die NSA – und zwar zusammen mit dem BND – die globale Internet-Kommunikation überwacht. Trotzdem will Merkel auf Nachfrage der Linken-Abgeordneten Martina Renner nicht von einem „Versagen“ deutscher Behörden sprechen.
Die Fehler beim BND sind ihrer Ansicht nach ohnehin keine politischen. Vielmehr waren es „technische und organisatorische Defizite“, die man nun beseitigt hätte. Problem erkannt und verbannt, so lautet schon seit geraumer Zeit die Linie, die das Kanzleramt vertritt.
Selbst wenn die Abgeordneten im NSA-Ausschuss immer noch an dieser Version zweifeln. Hinweise auf die BND-Spionage habe es etwa schon 2008 gegeben, lautet der Vorwurf. Interessant ist zudem, dass offenbar ausländische Geheimdienst-Offizielle besser Bescheid wussten als die Verantwortlichen im Kanzleramt. Konstantin von Notz verwies etwa auf die Aussage vom amerikanischen Geheimdienst-Koordinator James Clapper, der im Oktober 2013 erklärte: Was NSA macht, tun auch britische, französische oder eben deutsche Geheimdienste. Im Kanzleramt sickerte diese Erkenntnis – zumindest laut der Linie der Bundesregierung – erst im März 2015 durch.
No-Spy-Abkommen und Snowden-Befragung
Viel Raum nahmen auch nochmal die Fragen zu dem No-Spy-Abkommen ein, das der damalige Kanzleramtsminister Pofalla im August 2013 als großen Wurf präsentierte, um den NSA-Skandal „zu beenden“. Viel geblieben ist davon nicht, die Verhandlungen verliefen zunächst stockend und scheiterten dann im Frühjahr 2014 dann endgültig. Aus internen Vermerken ging hervor, dass die Chancen ohnehin gering waren. Selbst in in der Chefetage des Kanzleramts war das Medienberichten zufolge schon im August 2013 klar. Nun erheben die Abgeordneten immer noch den Vorwurf, die Öffentlichkeit sei damals bewusst getäuscht worden. Merkel selbst hält sich allerdings erneut bedeckt. Verantwortlich für das Abkommen wären die zuständigen Stellen im Kanzleramt, sie habe von den Details nicht viel mitbekommen. Das war damals die Aufgabe von Pofalla.
Knapp äußerte sich Merkel auch zu einer Befragung von Snowden, die seit Jahren geplant war, am Ende aber nicht zu Stande kam. Eine Aussage per Video wäre möglich gewesen, ansonsten verwies die Kanzlerin auf Gutachten aus dem Auswärtigen Amt und dem Bundesjustizministerium. Die besagten: Es bestehen keine Voraussetzungen für ein Asyl von Snowden in Deutschland.
Konsequenzen aus den NSA-Enthüllungen
Eine Konsequenz aus den NSA-Enthüllungen ist, dass deutsche Geheimdienste bei der Spionage-Abwehr nun einen 360-Grad-Blick haben, der auch verbündete Geheimdienste wie die NSA umfasst. Entschlossen hat sich das Kanzleramt zu diesem Schritt, nachdem der Fall Markus R. aufgeflogen ist – ein ehemaliger BND-Mitarbeiter, der Informationen an die CIA durchstecke. Aus seinen Dokumenten ging allerdings auch hervor, dass der BND etwa Gespräche von der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton überwacht hat.
Dass befreundete Staaten künftig nicht mehr ausspioniert werden, soll nun etwa das neue BND-Gesetz verhindern, so Merkel. Interessant ist allerdings: Entschuldigt hat sie sich nicht, dass der BND etwa das amerikanische und französische Außenministerin oder Institutionen in Israel überwacht hat. Bei Treffen der Regierungschefs waren die Geheimdienst-Aktivitäten aber anscheinend auch kein Thema.
Darüber hinaus habe die Bundesregierung auch bei allen Sicherheitsbehörden die Mittel aufgestockt, sodass man nun aufrüsten kann. Aktuell mangelt es aber noch an Fachkräften, die wären aktuell nur schwer zu rekrutieren. Ebenso arbeite die Bundesregierung daran, sowohl den politischen Betrieb als auch die Wirtschaft von Hacker-Angriffen zu schützen. Dazu zählt etwa die Cyber-Sicherheitsstrategie, aber auch die Arbeit des BSI. Nun wären „die Weichen richtig gestellt“, nun müsse die Bundesregierung die Strategie weiter an die technische Entwicklung anpassen.
Abgeschlossen ist das Kapitel NSA-Skandal also noch nicht, so Merkel. Selbst wenn die Beweisaufnahme im NSA-Ausschuss nun vorbei ist.