Videoüberwachung: Innenministerium will auf Gesichtserkennung verzichten
Eigentlich plante das Bundesinnenministerium, 135 Bahnhöfe sowie 14 Flughäfen mit automatischen Gesichtserkennungssystemen auszustatten. Die Ausweitung der Videoüberwachung mit biometrischen Daten ist aber äußerst umstritten, nun hat das Innenministerium die Passage aus dem Gesetzentwurf gestrichen.
Die automatischen Gesichtserkennungssysteme sind – respektive waren – ein Teil des neuen Bundespolizeigesetzes, das Ende 2019 publik wurde. Im ursprünglichen Gesetzentwurf hieß es noch, bei zentralen Verkehrsknotenpunkten – also den 135 Bahnhöfen und 14 Flughäfen – soll ein automatischer Abgleich mit biometrischen Daten bei der Videoüberwachung möglich sein. Am Donnerstag verschickte das Innenministerium einen neuen Entwurf an die weiteren Ressorts, dort fehlt nun die entsprechende Passage.
Wie der Spiegel berichtet, hat die Kritik der letzten Wochen offenkundig Spuren bei Innenminister Horst Seehofer hinterlassen. Demnach habe der Spiegel aus seinem Umfeld erfahren, er befürchte eine schwindende Akzeptanz in der Bevölkerung für die Videoüberwachung, wenn die biometrische Gesichtserkennung eingeführt werde. Nach wie vor sei Seehofer aber für eine Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum.
Die Frage ist nur, ob Seehofer dauerhaft bei der Haltung bleibt. Auf Twitter übermittelte sein Sprecher die Aussage, der automatische Datenabgleich wäre „keine Nebensächlichkeit“. Daher müsse man nun „im parlamentarischen Raum entscheiden, wie wir weiter damit umgehen“, so Seehofer.
Massive Kritik aus der Zivilgesellschaft
Massiv war in den letzten Wochen die Kritik an den Plänen. So hatte sich das Bündnis „Gesichtserkennung stoppen“ gegründet, zu dem Organisationen wie der Chaos Computer Club (CCC) und Bürgerrechtsorganisationen wie die Digitale Gesellschaft zählen. Die Vorwürfe lauten im Kern: Die Gesichtserkennungs-Technologie ist ein massiver Eingriff in die Grundrechte und zudem fehlerhaft.
Verwiesen wird dabei stets auf die Testläufe am Berliner Bahnhof Südkreuz. Kritiker werfen dem Innenministerium vor, Ergebnisse beschönigt zu haben. Angesichts der veröffentlichen Zahlen wären pro Tag mehrere Hundert Personen fälschlicherweise erfasst worden. Hinzu kommt der grundsätzliche Protest gegen die Technologie. CCC-Sprecher Dirk Engling bezeichnete die automatische Gesichtserkennung etwa als einen „weiteren Baustein“ für „den maschinenlesbaren Menschen“.
Grüne fordern komplettes Verbot
Auch politisch bleibt der Vorstoß von Seehofer umstritten. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte die ursprünglichen Pläne bereits abgelehnt. Und den Grünen reicht der aktuelle Verzicht nicht aus, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz fordert ein komplettes Verbot. In einer Stellungnahme erklärt er: „Die Bundesregierung muss den Einsatz sogenannter 'intelligenter Videoüberwachung' und automatisierter Gesichtserkennung umgehend gesetzlich ausschließen. Darüber hinaus muss sie sich auf europäischer Ebene für ein EU-weites Verbot einsetzen.“
Insbesondere mit Blick auf die EU gibt es bereits entsprechende Gedankenspiele. Das geht aus einem Arbeitspapier der EU-Kommission hervor, über das etwa die Nachrichtenagentur Reuters vor kurzem berichtete. Demnach existiert die Idee, automatische Gesichtserkennung bis zu fünf Jahre aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Noch ist das aber nicht final, zunächst geht es bei dem Vorstoß um Feedback.
Für die Grünen reicht es aber nicht aus, wenn nur der Staat auf biometrische Videoüberwachung verzichtet. „Ein solches, klares gesetzliches Verbot muss sich sowohl auf polizeiliche wie unternehmerische Überwachung durch biometrische Gesichtserkennung öffentlicher Räume beziehen“, so von Notz. Die Grünen verweisen dabei auf den Fall ClearView AI, der in der letzten Woche für Aufsehen sorgte. Das Unternehmen soll eine Datenbank mit rund drei Milliarden Fotos betreiben, die von Plattformen wie Facebook, YouTube und Twitter sowie zahlreichen anderen Webseiten stammen. Behörden können damit Bilder abgleichen, mehr als 600 Behörden sollen den Dienst bereits nutzen.
London startet Echtzeit-Gesichtserkennung
Unterdessen hat die Londoner Polizei ihre über die letzten Jahre erprobte Videoüberwachung mit Echtzeit-Gesichtserkennung heute scharfgestellt. Die Behörde will mit Unterstützung des Systems schwere Kriminalität wie Gewaltverbrechen unter anderem mit Schusswaffen und Messern sowie Kindesmissbrauch unterbinden.