Snapdragon Digital Chassis: Was technisch im Auto geht, wenn Qualcomm es baut
Mit dem Snapdragon Digital Chassis bietet Qualcomm den Tier-1-Ausrüstern der Autobranche und darüber auch den Autoherstellern eine allumfassende Lösung für Assistenzsysteme, Infotainment, Konnektivität und Cloud-Anbindung an. Auf der IAA zeigt das Unternehmen, wie sich damit nach eigener Vorstellung ein Auto ausstatten lässt.
Auf einzelne Bausteine aus dem Digital Chassis setzen bereits einige Autohersteller, vor allem bei der Telematik kommt häufig Qualcomm zum Zug. Jüngste Neuzugänge bei Qualcomm aus der deutschen Automobilindustrie sind BMW und Mercedes-Benz. Die Bayern vertrauen bei der „Neuen Klasse“ auf die Snapdragon-Plattformen für Advanced Driver-Assistance System (ADAS), Infotainment und Konnektivität, die Stuttgarter hingegen bei der neuen E-Klasse auf die Infotainment- und Konnektivitäts-Plattform, während man für die Assistenz eine Kooperation mit Nvidia eingegangen ist. In Europa vertrauen auch Renault und Stellantis darauf. In den USA ist Cadillac mit dem Escalade IQ ein prominenter Neuzugang.
Qualcomm zeigt eigenes Mockup-Fahrzeug
Die Automesse IAA 2023 in München ist dieses Jahr auch die Bühne einiger Unternehmen, die eher aus dem Umfeld der Consumer Electronics bekannt sind. Die für Smartphone-Chips bekannte Marke Snapdragon des US-Konzerns Qualcomm kommt auch für deren Automotive-Lösungen zum Einsatz. Demonstriert werden die verschiedenen Komponenten anhand eines Fahrzeug-Mockups, dessen Interieur vor allem die Fähigkeiten der Snapdragon Cockpit Platform aufzeigt.
Bildschirme so weit das Auge reicht
Gleich sieben Bildschirme, zahlreiche Kameras und Mikrofone kommen in dem Demo-Fahrzeug zum Einsatz, dessen Prozessoren Qualcomm unter der „Motorhaube“ hinter Glas zur Schau stellt. Dort sitzen die Snapdragon Cockpit und Snapdragon Ride Platform, wobei das autonome Fahren mit dem Auto auf der Messe nur mit Animationen im Kombiinstrument simuliert wird. Das Kombiinstrument erstreckt sich als sehr breiter Bildschirm vom Fahrer weit über die Hälfte der Innenraumbreite, bevor ein zweites Display optisch nahtlos integriert vor dem Beifahrer platziert wurde. Flankiert wird diese Einheit von zwei runden OLED-Displays, die als Anzeigen der mit Kameras umgesetzten Außenspiegel dienen. Per Bildschirm und Kamera löst Qualcomm auch den Rückspiegel. In der zweiten Reihe erhält zudem jeder Passagier ein in den Sitz integriertes Display.
Animationen mit Unreal Engine
Für die Animationen auf der Bildschirmeinheit setzt Qualcomm auf die Unreal Engine, um zum Beispiel die Assistenzsysteme zu visualisieren oder Veränderungen an der Karosserie wie geöffnete Türen darzustellen. Gerendert werden diese Anzeigen ähnlich wie bei Smartphones auf einer eigenes von Qualcomm entwickelten und für das Automotive-Segment angepassten Adreno-GPU. Die Grafikeinheit wird auch genutzt, wenn nicht gefahren wird und stattdessen Spiele wie ein vor Ort gezeigter Mario-Kart-Klon im Cockpit wiedergegeben werden. Für die Steuerung müssen Controller etwa von der Xbox gekoppelt werden, über das Lenkrad wie bei Tesla lassen sich die Karts nicht bedienen.
Sprachassistent arbeitet mehrstufig
Mit sich reden lässt das Auto ebenso, wobei das zur Demo genutzte Hotword „Snapdragon“ auch durch Google oder Alexa sowie individuelle Begriffe eines Autoherstellers ersetzt werden könnte. Dabei weiß das Fahrzeug über entsprechend platzierte Mikrofone, von welchem Platz aus ein Sprachbefehl erfolgt ist. Über den Sprachassistenten sind mehrstufige Anfrage wie eine allgemeine Suche nach Restaurants, dann eine Filterung nach Art der Küche und schließlich eine Reservierung möglich, ohne erneut den gesamten Sprachbefehl ansagen zu müssen. Auf Wunsch sucht der Sprachassistent auch Routen vorbei an Sehenswürdigkeiten einer Stadt heraus.
Snapdragon Ride Flex SoC als Zentralrechner
Während Qualcomm derzeit noch mit einzelnen Komponenten für die verschiedenen Bereiche des Digital Chassis arbeitet, hat das Unternehmen langfristig gesehen einen zentralisierten Ansatz zum Ziel, den zum Beispiel auch Nvidia verfolgt. Während Nvidia mit Drive Thor alles vom assistierten und autonomen Fahren bis zu den Anzeigen im Cockpit über einen Hochleistungsrechner abwickeln will, nennt sich dieser Ansatz bei Qualcomm Snapdragon Ride Flex SoC. Ein Hypervisor ist bei dieser Lösung für die Unterteilung der Hardware-Ressourcen in die verschiedenen Bereiche zuständig. Die ersten Plattformen mit Cockpit „Entry“ und „Mid“ sowie ADAS-Fähigkeiten für Level 1 und 2 befinden sich derzeit im Sampling und sollen nächstes Jahr in die Massenproduktion gehen.
Für das automatisierte Fahren nach Level 2+ und 3 bedarf es der ab 2025 geplanten Plattform „High“, deren Einsatz dann auch für die Neue Klasse bei BMW zu erwarten ist. Spätere Ausführungen des Snapdragon Ride Flex SoCs sollen auch Level 4 und 5 beherrschen, setzen dann aber auf mehrere SoCs und zusätzliche, dedizierte AI-Beschleuniger, sodass laut einer aktuellen Roadmap bis zu vier Chips zum Einsatz kommen, die eine kumulative Rechenleistung von 2.000 TOPS zum Ziel haben.
Automotive-Umsatz soll deutlich steigen
Qualcomm sieht extrem hohes Potenzial in der eigenen Automotive-Sparte und hat laut eigener Aussage eine „Design Win Pipeline“ von 30 Milliarden US-Dollar, also bereits abgeschlossene Verträge in Höhe dieses über mehrere Jahre verteilten Umsatzes. Im Fiskaljahr 2022 spülte das Automotive-Segment 1,3 Milliarden US-Dollar in Qualcomms Kassen, ab 2026 soll der Umsatz auf 4 Milliarden US-Dollar pro Jahr, ab 2031 sogar auf 9 Milliarden US-Dollar pro Jahr steigen.
ComputerBase hat Informationen zu diesem Artikel von Qualcomm im Rahmen einer Veranstaltung des Herstellers in München erhalten. Die Kosten für Anreise, Abreise und drei Hotelübernachtungen wurden von dem Unternehmen getragen. Eine Einflussnahme des Herstellers auf die oder eine Verpflichtung zur Berichterstattung bestand nicht. Die einzige Vorgabe war der frühestmögliche Veröffentlichungszeitpunkt.