Skidrow
Lt. Commander
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letzte Aktualisierung: 10.10.2023
Liebe Community,
Es geht um folgende fundamentale Frage bzw. Problem:
Ist es möglich, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch/Umweltschäden durch technischen Fortschritt voneinander zu entkoppeln?
Oder anders gefragt: Ist es möglich, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) weiter steigt, während gleichzeitig die CO2-Emissionen (+ alle anderen Umweltschäden) nicht nur relativ sinken (die CO2-Emissionen steigen weniger schnell als das BIP) sondern sogar absolut sinken (die CO2-Emissionen sinken, während das BIP wächst)?
Oder noch mal anders gefragt: Ist Grünes Wachstum (oder Green Deal, oder Green New Deal, oder Green Growth) möglich?
Die Frage ist schon deswegen interessant, weil es aus der Politik, parteiübergreifend, genau eine Antwort gibt: Ja, die Entkopplung ist möglich. Man hofft, durch Wirtschaftswachstum und Investitionen in technischen Fortschritt (z. B. E-Mobilität), die Umweltprobleme (Klimawandel, Rückgang der Artenvielfalt, usw. usf.) in den Griff zu bekommen.
Und nach meinen Recherchen laufen wir auf große Katastrophen zu, weil die Antwort auf die obige Frage eben nicht Ja lautet, sondern ganz klar Nein. Es ist nicht möglich, die Wirtschaft durch technischen Fortschritt (Effizienz/Kreislaufwirtschaft/Erneuerbare Energien) von den ökologischen Schäden zu entkoppeln. Es ist eher so, dass jede dieser technischen Maßnahmen - unterm Strich (und nur das ist entscheidend) - die Ressourcen- und Energieverbräuche erhöhen, solange am Wirtschaftswachstum festgehalten wird.
Das klingt zunächst paradox.
Wenn man sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, wird klar, dass es immer um eine
Paech spricht hier die Rebound-Effekte an. Tilman Santarius von der TU Berlin beschreibt den Rebound-Effekt so:
Dies hatte bereits 1865 der britische Ökonom William Stanley Jevons festgestellt, daher ist der Rebound-Effekt auch als Jevons-Paradoxon bekannt:
Zwei Beispiele:
1. Automobil
1955 hatte ein VW Käfer 30 PS, wog 730 kg, hatte eine Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h und verbrauchte im Schnitt 7,5 Liter/100km. Seitdem hat ein unglaublicher technischer Fortschritt stattgefunden: Der VW Beatle von 2005 hatte 75 PS, wog 1.200 kg, fuhr bis zu 160 km/h und verbrauchte im Schnitt 7,1 Liter/100 km. Aber: Der technische Fortschritt hat dazu geführt, dass die Menge an weltweit produzierten Autos pro Jahr von 13 Mio. im Jahr 1955 auf 77 Mio. im Jahr 2020 angewachsen ist. Und nicht nur das; in gleichem Maße ist die Infrastruktur für PKWs exponentiell angewachsen (Straßen, Brücken, Parkplätze, Parkhäuser, Tiefgaragen); ganze Branchen sind entstanden im Bereich Chemie, Elektro, IT usw.
Hier sieht man schön, wie effizientere Prozesse insgesamt nicht zu einer geringeren Ressourcennutzung führen, sondern im Gegenteil.
2. Computerchips
Ich will nicht zu weit ausholen, wir alle kennen die Entwicklung: Vor 30 Jahren waren Prozessoren im Vergleich zu heute unglaublich ineffizient. Aber wozu hat die Effizienzsteigerung letzten Endes geführt? Fast jeder hat heute ein Smartphone sowie einen PC/Laptop. In jeder Mikrowelle/Herd/Kühlschrank/TV steckt heute IT. Der Energieverbrauch für Computertechnik ist seit 1990 um das fantastillionen-fache gestiegen.
Kurz: Je effizienter Energie eingesetzt wird, desto mehr wird - in absoluten Zahlen - verbraucht.
Hieraus kann man ableiten, dass die Bestrebungen der Politik den Anstieg der Umweltschäden (CO2-Emissionen usw.) nicht nur nicht verhindern, sondern sie geradezu verstärken werden. Dass wir uns auf einer Höllenfahrt befinden, erkennt man auch, wenn man sich mit dem Ausbau der sog. erneuerbaren Energien (EE) beschäftigt. Denn: Der Großteil der EE sind zwar erneuerbar, aber alles andere als zukunftstauglich und nachhaltig; 51 Prozent der EE fallen auf Biomasse zurück, also Holzverbrennung, Biogas, Biodiesel, also enorm klimaschädlich. Lediglich 24 Prozent fallen auf Windenergie, bei Solarenergie sind es 11 Prozent. (Werte gelten für 2020, Quelle: AG Energiebilanzen e. V.)
Umgerechnet auf den Gesamtprimärenergiebedarf liegt der Anteil der Windenergie in Deutschland in 2022 bei 3,78 Prozent, der von Solarenergie bei 2,2 Prozent (Werte gelten für 2022, Quelle: AG Energiebilanzen e. V.)!
Das ist quasi nichts! Und man schaue sich an, welche Ablehnungen aus der Gesellschaft schon bei den wenigen Windkraftanlagen kommen. Hinzu kommt, dass natürlich auch Windkraftanlagen nicht zum Nulltarif zu bekommen sind: Pro Windkraftanlage werden oberirdisch etwa 0,5 Hektar an Fläche versiegelt, unterirdisch sind es noch mehr; hinzu kommt der Energie- und Ressourcenaufwand in der Herstellung und beim Transport, sowie der Wartung. Und: Wie oben beschrieben führt natürlich auch dieser technische Fortschritt dazu, dass der Energiebedarf steigt und steigt, das heißt, selbst wenn man jetzt in großen Mengen Windkraftanlagen bauen würde, müsste man schon bald umso mehr neue Windkraftanlagen bauen.
Die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften fordert übrigens eine "Renaturierung aller Moore bis 2045". Überdies spricht sie sich aus für eine "Ausweitung von Naturschutzgebieten, Wäldern und Graslandökosystemen". (Quelle: Newsletter der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, 3/2021) Doch, wie wir alle wissen, ist die Fläche in Deutschland begrenzt.
Dass das Konzept des "Grünen Wachstums" sein Ziel nicht nur verfehlt, sondern systematisch dazu beitragen wird, die Lebensgrundlage des Menschen zu zerstören, sollte an dieser Stelle einleuchten.
Und was tun wir dagegen? M. E. ist ein kultureller Wandel notwendig hin zu einer Postwachstumsökonomie, wo maßvolle Lebensstile im Vordergrund stehen. Wo Instandhaltung und Reparatur, Nutzungsdauerverlängerung und Gemeinschaftsnutzung vor Neukauf stehen, mit einer de-globalisierten Nachrungsmittelproduktion. Wind- und Solarenergie sind die Energieträger der Zukunft, aber nur unter der Bedingung, dass zuvorderst massiv an Ressourcen und Energie eingespart werden.
Ich fasse das Thema zusammen:
1Sofern sie nicht eingebettet ist in Suffizienz, also Konsumreduzierung, Selbstbegrenzung. Entrümpelung, Entschleunigung,
2Andere Begriffe sind: Green Economy, Green Growth, Green New Deal u. a.
3Ein Oxymoron ist ein Stilmittel aus zwei Wörtern, die sich gegenseitig widersprechen.
Links:
1. Hier der Artikel über die Rebound-Effekte:
https://www.blaetter.de/ausgabe/2013/dezember/der-rebound-effekt-die-illusion-des-gruenen-wachstums
2. Ein Artikel zum Thema in Spektrum der Wissenschaft:
Passen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz zusammen?
3. Ein Artikel von Daniel Deimling von der Hochschule Heilbronn:
Grünes Wachstum gibt es nicht
4 Ein ebenfalls sehr guter Artikel zum Thema:
Der Mythos vom „Grünen Wachstum“
Hier der Beitrag zum Thema aus der politischen Kabarettsendung Die Anstalt vom 24.05.2022:
LG
Skidrow
Liebe Community,
Es geht um folgende fundamentale Frage bzw. Problem:
Ist es möglich, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch/Umweltschäden durch technischen Fortschritt voneinander zu entkoppeln?
Oder anders gefragt: Ist es möglich, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) weiter steigt, während gleichzeitig die CO2-Emissionen (+ alle anderen Umweltschäden) nicht nur relativ sinken (die CO2-Emissionen steigen weniger schnell als das BIP) sondern sogar absolut sinken (die CO2-Emissionen sinken, während das BIP wächst)?
Oder noch mal anders gefragt: Ist Grünes Wachstum (oder Green Deal, oder Green New Deal, oder Green Growth) möglich?
Die Frage ist schon deswegen interessant, weil es aus der Politik, parteiübergreifend, genau eine Antwort gibt: Ja, die Entkopplung ist möglich. Man hofft, durch Wirtschaftswachstum und Investitionen in technischen Fortschritt (z. B. E-Mobilität), die Umweltprobleme (Klimawandel, Rückgang der Artenvielfalt, usw. usf.) in den Griff zu bekommen.
Und nach meinen Recherchen laufen wir auf große Katastrophen zu, weil die Antwort auf die obige Frage eben nicht Ja lautet, sondern ganz klar Nein. Es ist nicht möglich, die Wirtschaft durch technischen Fortschritt (Effizienz/Kreislaufwirtschaft/Erneuerbare Energien) von den ökologischen Schäden zu entkoppeln. Es ist eher so, dass jede dieser technischen Maßnahmen - unterm Strich (und nur das ist entscheidend) - die Ressourcen- und Energieverbräuche erhöhen, solange am Wirtschaftswachstum festgehalten wird.
Das klingt zunächst paradox.
Wenn man sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, wird klar, dass es immer um eine
Verlagerung des ökologischen Problems geht, wenn wir von Reduktion von Ressourcenverbräuchen sprechen bei gleichzeitiger Steigerung der Wirtschaftsleistung. Alle vermeintlichen ökologischen Innovationen sind niemals etwas anderes als eine räumliche, eine zeitliche, eine stoffliche oder eine systemische Verlagerung. (Niko Paech, Uni Siegen)
Paech spricht hier die Rebound-Effekte an. Tilman Santarius von der TU Berlin beschreibt den Rebound-Effekt so:
Die gesteigerte Nachfrage nach einer Energiedienstleistung, die von einer Effizienzsteigerung bedingt oder zumindest ermöglicht wurde.
Steigerung der Energieeffizienz -> Technologische Beschleunigung -> Ökonomische Beschleunigung -> Soziale Beschleunigung -> Steigerung der Energienachfrage -> Zunahme von Umweltschäden
Dies hatte bereits 1865 der britische Ökonom William Stanley Jevons festgestellt, daher ist der Rebound-Effekt auch als Jevons-Paradoxon bekannt:
It is wholly a confusion of ideas to suppose that the economical use of fuel is equivalent to a diminished consumption. The very contrary is the truth. (William Stanley Jevons, The Coal Question, 1865)
Deutsch: Es ist eine Verdrehung der Tatsachen, dass die immer effizientere Nutzung von Energieträgern zu einer Reduzierung des Verbrauchs führt. Das genaue Gegenteil ist der Fall.
Zwei Beispiele:
1. Automobil
1955 hatte ein VW Käfer 30 PS, wog 730 kg, hatte eine Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h und verbrauchte im Schnitt 7,5 Liter/100km. Seitdem hat ein unglaublicher technischer Fortschritt stattgefunden: Der VW Beatle von 2005 hatte 75 PS, wog 1.200 kg, fuhr bis zu 160 km/h und verbrauchte im Schnitt 7,1 Liter/100 km. Aber: Der technische Fortschritt hat dazu geführt, dass die Menge an weltweit produzierten Autos pro Jahr von 13 Mio. im Jahr 1955 auf 77 Mio. im Jahr 2020 angewachsen ist. Und nicht nur das; in gleichem Maße ist die Infrastruktur für PKWs exponentiell angewachsen (Straßen, Brücken, Parkplätze, Parkhäuser, Tiefgaragen); ganze Branchen sind entstanden im Bereich Chemie, Elektro, IT usw.
Hier sieht man schön, wie effizientere Prozesse insgesamt nicht zu einer geringeren Ressourcennutzung führen, sondern im Gegenteil.
2. Computerchips
Ich will nicht zu weit ausholen, wir alle kennen die Entwicklung: Vor 30 Jahren waren Prozessoren im Vergleich zu heute unglaublich ineffizient. Aber wozu hat die Effizienzsteigerung letzten Endes geführt? Fast jeder hat heute ein Smartphone sowie einen PC/Laptop. In jeder Mikrowelle/Herd/Kühlschrank/TV steckt heute IT. Der Energieverbrauch für Computertechnik ist seit 1990 um das fantastillionen-fache gestiegen.
Kurz: Je effizienter Energie eingesetzt wird, desto mehr wird - in absoluten Zahlen - verbraucht.
Hieraus kann man ableiten, dass die Bestrebungen der Politik den Anstieg der Umweltschäden (CO2-Emissionen usw.) nicht nur nicht verhindern, sondern sie geradezu verstärken werden. Dass wir uns auf einer Höllenfahrt befinden, erkennt man auch, wenn man sich mit dem Ausbau der sog. erneuerbaren Energien (EE) beschäftigt. Denn: Der Großteil der EE sind zwar erneuerbar, aber alles andere als zukunftstauglich und nachhaltig; 51 Prozent der EE fallen auf Biomasse zurück, also Holzverbrennung, Biogas, Biodiesel, also enorm klimaschädlich. Lediglich 24 Prozent fallen auf Windenergie, bei Solarenergie sind es 11 Prozent. (Werte gelten für 2020, Quelle: AG Energiebilanzen e. V.)
Umgerechnet auf den Gesamtprimärenergiebedarf liegt der Anteil der Windenergie in Deutschland in 2022 bei 3,78 Prozent, der von Solarenergie bei 2,2 Prozent (Werte gelten für 2022, Quelle: AG Energiebilanzen e. V.)!
Das ist quasi nichts! Und man schaue sich an, welche Ablehnungen aus der Gesellschaft schon bei den wenigen Windkraftanlagen kommen. Hinzu kommt, dass natürlich auch Windkraftanlagen nicht zum Nulltarif zu bekommen sind: Pro Windkraftanlage werden oberirdisch etwa 0,5 Hektar an Fläche versiegelt, unterirdisch sind es noch mehr; hinzu kommt der Energie- und Ressourcenaufwand in der Herstellung und beim Transport, sowie der Wartung. Und: Wie oben beschrieben führt natürlich auch dieser technische Fortschritt dazu, dass der Energiebedarf steigt und steigt, das heißt, selbst wenn man jetzt in großen Mengen Windkraftanlagen bauen würde, müsste man schon bald umso mehr neue Windkraftanlagen bauen.
Die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften fordert übrigens eine "Renaturierung aller Moore bis 2045". Überdies spricht sie sich aus für eine "Ausweitung von Naturschutzgebieten, Wäldern und Graslandökosystemen". (Quelle: Newsletter der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, 3/2021) Doch, wie wir alle wissen, ist die Fläche in Deutschland begrenzt.
Dass das Konzept des "Grünen Wachstums" sein Ziel nicht nur verfehlt, sondern systematisch dazu beitragen wird, die Lebensgrundlage des Menschen zu zerstören, sollte an dieser Stelle einleuchten.
Und was tun wir dagegen? M. E. ist ein kultureller Wandel notwendig hin zu einer Postwachstumsökonomie, wo maßvolle Lebensstile im Vordergrund stehen. Wo Instandhaltung und Reparatur, Nutzungsdauerverlängerung und Gemeinschaftsnutzung vor Neukauf stehen, mit einer de-globalisierten Nachrungsmittelproduktion. Wind- und Solarenergie sind die Energieträger der Zukunft, aber nur unter der Bedingung, dass zuvorderst massiv an Ressourcen und Energie eingespart werden.
Ich fasse das Thema zusammen:
- Umweltschäden (Erderhitzung, Artensterben usw.) können nicht durch technische Entwicklung reduziert werden1.
- Technische Entwicklung führt zu einer Verstärkung der Umweltschäden1.
- Der Begriff "Grünes Wachstum2" ist ein Oxymoron3. Es ist eine in eine Formulierung gegossene Unvereinbarkeit.
- Es gibt keine per se nachhaltigen Produkte oder Technologien, es gibt nur nachhaltige Lebensstile.
1Sofern sie nicht eingebettet ist in Suffizienz, also Konsumreduzierung, Selbstbegrenzung. Entrümpelung, Entschleunigung,
2Andere Begriffe sind: Green Economy, Green Growth, Green New Deal u. a.
3Ein Oxymoron ist ein Stilmittel aus zwei Wörtern, die sich gegenseitig widersprechen.
Links:
1. Hier der Artikel über die Rebound-Effekte:
https://www.blaetter.de/ausgabe/2013/dezember/der-rebound-effekt-die-illusion-des-gruenen-wachstums
2. Ein Artikel zum Thema in Spektrum der Wissenschaft:
Passen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz zusammen?
3. Ein Artikel von Daniel Deimling von der Hochschule Heilbronn:
Grünes Wachstum gibt es nicht
4 Ein ebenfalls sehr guter Artikel zum Thema:
Der Mythos vom „Grünen Wachstum“
Hier der Beitrag zum Thema aus der politischen Kabarettsendung Die Anstalt vom 24.05.2022:
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Skidrow
Zuletzt bearbeitet:
(sprachliche Überarbeitung + Zusammenfassung hinzugefügt, YouTube Link zu Die Anstalt hinzugefügt, aktuelle Zahlen Anteil Wind- und Solarenergie)