Knergy schrieb:
Dieser Beitrag strotzt nur so vor Fehler und Halbwahrheiten. Räumzüge im Sinne der "letzten Dampflok" gab es ab Ende 1944/Anfang 1945 durchaus. Bevorzug nutzte man dafür das modernste Rollmaterial und fuhr los, wohin man eben kam, so zumindest bei den kleinen privaten Bahngesellschaften, die Richtung "Endsieg" evakuierten. Da strandete man halt irgendwo. Oft an großen Bahnhöfen, weil die schlicht zerbombt waren. Auch bei der staatlichen Deutschen Reichsbahn gab es Räumzüge. Es gab aber auch mehr als genug Fälle, wo halt irgendwas genommen wurde, was gerade da war und noch funktionierte. Aber es waren Züge (teils auch nur aus Lokomotiven) und nicht einzelne Lokomotiven, das lief noch halbwegs geordnet und geplant ab. Mit einer einzelnen Lok wäre man schon an der nächsten größeren Bahnstation aus besagter Lok geholt worden und mit etwas Pech gleich erschossen worden. Mit der Fluchtweise kann man sich auch gleich bei der Militärpolizei Ratschläge holen, wie eine Fahnenflucht am besten gelingt. Einfach mal Weichen und Signale selbst stellen, scheitert ebenfalls schon alleine an fehlender Streckenkenntnis und geht technisch oft auch garnicht.
Das russische Streckennetz hat eine andere Spurweite, die in Mitteleuropa gebräuchliche Normalspur reicht aber bis ans heutige Ende Polens. Räumzüge, wie der Opa sie beschrieb, gab es aber nur aus deutschem Staatsgebiet in Grenzen von 1937. Alles andere war noch echter Rückzug der Wehrmacht bzw. der Feldeisenbahner, da fuhr man mit dieser Beschreibung also nur Richtung Fahnenflucht und garantiertem Tod! Alleine aus dem Grund, das man irgendwo durch Signale und Weichen gestoppt wird. Da kommt man auch mit Todesangst und "Wollen" nicht weiter.
Minenschutzwagen gab es nur in Partisanengebiet. Also neben dem Balkan nur in Osteuropa. Die brauchte man ab Ende 1944 schlicht nicht mehr. Weil man sich eben da bewegte, wo keinerlei Minen zu erwarten waren.
So ab 5 Personen wirds im Führerhaus einer Dampflok echt ungemütlich eng, wenn man denn noch fahren will. Im Tender kann man ohnehin nicht mitfahren, weil dann hätte man nämlich keine Steinkohle für die Feuerung mehr. Und auf dem Tender ist je nach Baureihe auch nicht möglich bis hin zu lebensgefährlich. Und zwar nicht nach heutigen Sicherheitsmaßstäben sondern nach dem Maßstab "nicht vom Tender stürzen".
Ohne jetzt alles anzuzweifeln, vermutlich hat der alte Herr im Laufe der Zeit einiges miteinander vermischt oder es wurde nicht richtig aufgefasst. Vermutlich war dein Opa bei den Feldeisenbahnern (also dem Personal, was unmittelbar hinter der Front den Transport durchführte). Aber eine einzigartige Flucht war das nicht, das von dir geschriebene war leider der traurige Alltag vieler Eisenbahner die zum Kriegseinsatz abkommandiert waren.
Also, ich gebe die Erinnerungen in bester Weise wieder.
Am Ende des Krieges gibt es keine wirkliche Ordnung mehr und es treffen offizieller Sprachgebrauch und Fanatismus auf Eigeninitiative und Pragmatismus.
Die Lok, die meinen Opa holte kam unerwartet und nicht angemeldet, sie hatte keine Wagons, es war nur die Tenderlok und ein Flachbettwagen vor der Lok. Es erzählte es explizit, das es kein Zug war!
Tatsächlich gab es den Befehl, jeder halte seinen Posten, weswegen es so unerwartet war.
Der Flachbettwagen diente seiner Erzählung nach tatsächlich dem Schutz der Lok im Falle von Partisanenaktivität und Sprengfallen, ob die da nun stattfand, oder nicht.
Die Leute hatten es halt ungemütlich auf der Fahrt, aber wenn man sieht, in alten Filmen, wie die Menschen auf allem was rollt mitreisen, und zwar in Mengen, die man heute als unsicher und überladen bezeichnen würde, findet man es nicht ungewöhnlich, auf einem Tender mitzureisen, der ja langsam an "Kohlefracht" verlor, also immer mehr Raum bot.
Wobei ich nicht weiß, ob man sich damals noch auf eine bestimmte Art Brennstoff kaprizierte, oder einfach alles nahm was irgendwie unter einem Kessel brannte, auch wenn es zu weniger Leistung, mehr Verschleiß, oder sogar Defekten führen würde.
Es war ja nur eine "einfache Fahrt" ohne Rückfahrkarte.
Es war auch keine Massenflucht, sondern die letzten Bahnmitarbeiter von dort, ein Pionier der einige Sprengungen vornahm, die Lokbesatzung, die den Weg hin gefahren war, also die Route zurück gut kennen mußte.
Offenbar muß die Lokbesatzung entsprechende Papiere/Befehle gehabt haben, das dies möglich war.
Oder die Bahner hielten einfach nur gut zusammen und man kannte ja die Komißköppe unter den Nazis, die man vermeiden mußte.
Tatsächlich gab es zum Kriegsende hin Korridore, durch die man immer noch gen Westen kam, die nicht völlig zerstört waren und die Züge litten weniger unter den zerbombten Schienen, sondern den Tagangriffen der Tiefflieger.
Scheinbar sind Schienen gar nicht so einfach aus der Luft zu zerstören, oder recht schnell wieder repariert.
Die Waffen damals hatten ja auch nicht die Zielgenauigkeit von heute.
Eisenbahnbrücken wären etwas ganz anderes gewesen, aber ich hab nicht gehört, das diese gezielt angegriffen wurden.
Da man sie gegebenenfalls zum Übersetzen gebraucht hätte, wenn die Wehrmacht die Strassenbrücken sprengten, oder man dieser schon für die eigene Logistik einplante (das wäre die Annahme von mir)?
Jedenfalls war mein Opa wenige Wochen vor dem offiziellen Kriegsende glücklich und am leben "zu Hause" und erlebte die Geburt meiner Mutter Mitte April 45.
Vom Kriegsende erfuhren sie als am 8.Mai ein Mensch mit Rotkreuz Flagge den Schienen entlang folgte, die an ihrem Häuschen vorbei führten und ihnen zurief, das Frieden wäre.
Es gibt ja Leute die Krieg als "suvival of the fittest" verherrlichen, aber das war Krieg noch nie.
Es war immer "survival of the mighty" und für alle anderen "Überlebenslotterie".
Da mein Opa mütterlicherseits es schaffte, hat er wohl das große Los gezogen.