Also, ich versuche gerade diesen Thread mit den Augen eines Durchschnittsnutzers zu betrachten, der mit dem Gedanken spielt, auch mal so ein Linux zu installieren, ohne aber deswegen großartig in die Materie des Installierens einsteigen zu wollen.
So einer rauft sich wahrscheinlich gerade die Haare und denkt verzweifelt: "Mein Gott, ist das kompliziert!"
Ist es aber doch gar nicht! Die hier durchgespielten Präventivmaßnahmen sind ja nur erforderlich, wenn zusätzlich installierte Systeme autonom (portabel) bleiben sollen. Hat (will) man beispielsweise aber nur eine einzige Disk für die Installation (z.B. im Notebook) oder will man das zusätzliche OS nicht auf eine externe Disk installieren oder nicht die interne Disk mit dem OS später ausbauen, um sie von woanders zu booten, sind keine Verrenkungen erforderlich. Auch nicht, wenn man das OS auf eine andere (zweite) interne Disk installieren möchte. Es ist nämlich nicht zwingend erforderlich, dass jede Boot-Disk auch seine eigene EFI-Partition besitzt.
Die Vorstellung, dass mehrere OSe (eigentlich Bootloader) sich gegenseitig stören, wenn sie in derselben EFI-Partition untergebracht sind, stammt noch aus der Zeit vor UEFI. Auf einem klassischen BIOS-Rechner konnte man in der Tat (ohne Getrickse) immer nur einen Bootloader haben. Es gehört aber zu den Grundeigenschaften von UEFI, dass beliebig viele Bootloader parallel existieren dürfen. Jeder Loader darf sich einen eigenen Ordner auf der EFI-Partition anlegen. Nur an denen der Anderen darf er nichts herumfummeln - das wäre ein gröbster Regelverstoß.
Gehen wir mal gedanklich durch, was passieren würde, wenn der TE das zusätzliche Linux-OS ohne weitere Vorkehrungen einfach so auf die zweite interne Disk schreiben lassen würde. (Also ohne vorher die erste Disk während der Installation abzuklemmen oder auszumaskieren oder sonstwie zu verstecken.)
Erste Frage: welches OS startet dann automatisch?
Kann man nicht mit absoluter Sicherheit sagen, da sowohl das zu installierende OS als auch der Benutzer (nachträglich) an der Boot-Reihenfolge im UEFI schrauben darf. Angenommen also, Windows stünde an erster Stelle, dann startet Windows ohne weitere Nachfragen durch. Um an das installierte Linux heranzukommen, müßte der TE beim Einschalten des Rechners - je nach dem - entweder F11 oder F12 drücken, um im aufklappenden UEFI-Boot-Menü manuell den Loader für Linux auswählen zu können. Anders aber als bei Wahl von Windows ploppt jetzt anschließend noch das Boot-Auswahlmenü (Grub) von Linux auf. Ein ungeduldiger User wird jetzt möglicherweise murren: "Wieso das denn noch?! Ich habe doch schon gesagt, dass ich jetzt gerade mein Linux starten will".
Wenn er sich das Menü aber genauer ansieht, wird er bemerken, dass er von hier aus nicht nur nachträglich noch Windows starten könnte (oder ein weiteres installiertes Linux), sondern auch zusätzliche Optionen für Recovery-Start oder Memtest zur Verfügung hätte. Das ist also letztendlich ein Komfort-Feature. Und machen muss der Benutzer an dieser Stelle zwingend gar nichts! Wenn er mit verschränkten Armen vor dem Rechner sitzt (oder gerade mal eben kurz pinkeln gegangen ist), startet das Linux-OS, welches den Loader eingerichtet hatte, nun automatisch durch.
Zweite Frage: was passiert nach dem Ausbau der zweiten Disk mit Linux?
Wenn Windows an erster Stelle in der Boot-Hierarchie von UEFI steht, gar nichts. Wie auch schon vor der Installation von Linux startet Windows einfach durch. Es bleibt lediglich ein verwaister Ordner für das nicht mehr verfügbare Linux in der EFI-Partition zurück. Wenn das installierte Linux (versehentlich) noch an erster Stelle stünde, müsste der Nutzer im Grub-Menü blitzschnell Windows selektieren, andernfalls bliebe der Boot stecken. Mehr noch: die ausgebaute Disk mit dem noch intakten Linux, läßt sich nicht in einem anderen Rechner booten, weil sein Starter sich ja auf der anderen Disk befindet.
Viele inhärente Missverständnisse in Threads zum Thema MultiBoot basieren letztlich auf einer unklaren Unterscheidung zwischen dem (einen) Boot-Auswahlmenü des UEFI-BIOS, welches gefundene Bootloader listet, und Auswahlmenüs von eben solchen Bootloadern (wie z.B. Grub, aber auch dem Windows BootManager). Diese Auswahlmenüs verstehen sich aber nicht als Alternativen. Sie stehen nicht parallel, sondern in einem hierarchischen Verhältnis zueinander: erst kommt das Auswahlmenü des UEFI zum Zuge, dann auf der zweiten Stufe schließlich das Auswahlmenü des gewählten Bootloaders.
Es entsteht aber oft der Eindruck, dass das UEFI-Auswahlmenü das unkompliziertere Verfahren darstellt und eher Windows zugeordnet ist. Diese Täuschung entsteht, weil auf den allermeisten Rechnern nur ein (einziges) Windows-OS installiert ist und infolgedessen es weder was zu sehen noch auszuwählen gibt: Windows startet einfach "ohne Gedöns" durch. Das heißt, auch vom Windows BootManager, der trotzdem aber unsichtbar ausgeführt wird, bekommt der Nutzer nichts mit.
Das UEFI-Auswahlmenü ist aber keinem OS zugeordnet; gehört also weder Windows noch Linux, sondern wird von der UEFI-Software bereitgestellt. Die Auswahlmenüs von Bootloadern dagegen sind betriebssystem bezogen. Hausrecht hat hier das auftraggebende OS. Also die Regeln für z.B. den Windows BootManager bestimmt allein Microsoft. Wenn es beispielsweise nur Windows-OSe aufnimmt, ist das seine Entscheidung. Wenn ein Grub dagegen auch alle anderen gefundenen OSe in sein Auswahlmenü einbindet (und infolgedessen kurz sichtbar wird), ist das wiederum allein Sache des Linux-OS.
Paradoxerweise entsteht bisweilen mehr Verwirrung im Zusammenhang mit OSen der gleichen Familie als bei nicht verwandten Systemen. Sind auf einem Rechner beispielsweise mehrere Windows-Varianten installiert, könnte es im äußersten Fall Konflikte geben, oder der Windows BootManager priorisiert ein anderes Windows als das was der Nutzer möchte. Denn natürlich wird nicht für jedes Windows extra ein eigener Loader in der EFI-Partition eingerichtet.
Ähnliches passiert auch bei eng verwandten Linuxen. Als ich mir erstmals auf einem UEFI-Rechner sowohl Ubuntu als auch Mint installierte, hatte ich eigentlich erwartet, sowohl für Ubuntu als auch für Mint einen eigenen Eintrag im UEFI vorzufinden. Stattdessen wurde aber nur ein einziger Eintrag namens 'Ubuntu' angeboten. Das ist jedoch regelkonform. Ein OS kann - muss aber nicht - ein eigenes EFI-Objekt generieren. Linuxe der Ubuntu-Gruppe benutzen normalerweise denselben Starter, der immer 'Ubuntu' heißt, egal ob es sich um ein originales Ubuntu, Kubuntu oder Linux Mint handelt. Das heißt, die interne Auswahl durch den Nutzer kann immer erst auf der zweiten Stufe erfolgen, also im Grub-Auswahlmenü. Hingegen erzeugen Non-Ubuntu-Linuxe wie z.B. MX oder PCLinuxOS, stets ein eigenes EFI-Objekt für die Auswahl schon im UEFI-Boot-Menü.
Soweit die Theorie. In der Praxis kann es durchaus Abweichungen geben, sei es durch fehlerhafte (oder funktionskastrierte) EFI-Implementierungen des Herstellers, oder infolge von Bugs im Installer-Programm, oder durch Fehlentscheidungen des Nutzers aufgrund von Missverständnissen.
Auch ein aktives Secure Boot kann schnell Ärger machen durch unerwünschte, nicht vorhergesehene Seiteneffekte (z.B. bei Installation oder Aktualisierung von Treibern). Secure Boot behindert zwar nicht unbedingt Malware, wohl aber im ungünstigen Fall den rechtmäßigen Nutzer des Rechners.