DonDonat schrieb:
Wieso habt ihr denn kein IEC711 (oder Vergleichbares) Mikrofon + Außen-Ohr/Halterung genommen? Das wäre ein sehr gutes Stück genauer, zum Großteil standartisiert und auch nicht teurer als HEARS.
Zertifizierte Messysteme (von bspw. GRAS, B&K oder Head Acoustics) sind erheblich teurer als ein miniDSP. Selbst die Systeme, die noch auf dem alten IEC 711 / 60318 Standard aufbauen, liegen schnell mal im oberen vierstelligen bzw. unteren fünfstelligen Bereich.
"China-Klone" an der Stelle mal ausgenommen. Aber die sind streng genau genommen eben auch nicht zertifiziert und haben eine praktisch völlig ungewisse Streuung.
Das miniDSP ist schon in Ordnung. Man sollte allerdings sehr, sehr vorsichtig sein, wie man die Daten aufbereitet und welche Schlüsse man daraus zieht.
Einfach nur auf die Kurve zu schauen und sie mit einer geraden Linie zu vergleichen, ist unwissenschaftlich und führt nur zu unnötigen, pauschalen Verurteilungen und Fehleinschätzungen.
Kopfhörer zu messen ist eine Kunst, gleichermaßen die fachgerechte Auswertung und Relativierung der Daten.
DonDonat schrieb:
Wieso habt ihr euch für eine Kalibrierung bei 300Hz entschieden?
Der untere Mittenbereich ist in der Regel relativ stabil und daher gut als Ausgangspunkt geeignet. Ich persönlich ziehe eher 500 Hz vor. Das ist am Ende des Tages jedoch alles nur eine Frage der Darstellung. Zwischen 300 Hz und ca. 1 kHz gibt es kein Richtig und Falsch, nur unterschiedliche Darstellungsformen.
DonDonat schrieb:
Außerdem wäre ich mit der Formulierung "ideal ist eine gerade Linie bei 84dB" vorsichtig, auch abseits der Probleme der Messstation (Stichworte: fehlende Innenohr Abbildung sowie zu hartes Pinna Material) sowie Wahrnehmungs-Effekten wie z.B. "Pinna Gain" oder Innenohr-Resonanz.
This!
Die Systemkurve und genaueren Modalitäten des miniDSP sind meines Wissens nicht genau dokumentiert. Das System wird in der Szene auch schon mal für seine "Willkürlichkeit" (Freifeld, Diffusfeld? Welche Lautsprecher, welcher Raum, welcher Aufnahmeabstand und -winkel? Messmikro kalibriert auf was? 0°, 90°, Diffusfeld, Grenzfläche?) kritisiert. Die Kritik gilt in der Regel relativ gegenüber den etablierten Standards, die genaustens dokumentiert und durch diverse Konsortien gedeckt sind.
Ohne genauere Spezifikation der Kompensation bleibt tatsächlich ein gewisser Grad an Ungewissheit. Wie gut diese Kalibrierung gegenüber bspw. der (empirisch unter "Referenzbedingungen" ermittelten) Harman-Kurve belastbar ist, kann kaum einer sagen. Und daher kann man leider auch kaum sagen, was hier annäherungsweise die "Nulllinie" sein sollte.
Man kann zu einem gewissen Grad davon ausgehen, dass solch ein System auch dann noch belastbar ist, wenn die Basiskurve nicht absolut gesichert ist, weil man ja weiterhin
relative Vergleiche in einer größeren Datenreihe vornehmen kann. Und tatsächlich kann man auf dieser Grundlage auch schon ganz gut arbeiten, so lange man sich vor Augen hält, dass "Neutralität" nie eine gesicherte Sache ist und systembedingt auch einige Artefakte (vornehmlich in den Höhen) auftreten können.
Es bleibt allerdings immer eine generelle Ungewissheit, da solche spezifischen Aufbauten akustisch sehr gerne non-linear mit unterschiedlichen Kopfhörern skalieren. Beim einen Modell sorgt die Concha des Ohrs vielleicht für ein Auslöschung, beim anderen hingegen für eine leichte Anhebung. In der Praxis passiert das gleichermaßen mit der Betrachtung unterschiedlich geformter Ohren.
Davon abgesehen wäre ich grundsätzlich sehr vorsichtig, wenn es über den Bereich von 4 kHz geht. Selbst bei Referenzsystemen sind ab diesem Punkt eigentlich keine verlässlichen Aussagen mehr möglich, weil die Wellenlängen einfach zu kurz und interaktionsfreudig werden. Gerade beim miniDSP, welches keine Gehörgangssimulation vornimmt, würde ich die schmalbandigen Resonanzen nicht auf die Goldwage legen. Entscheidend ist hier letztlich der generelle Trend (eher mehr oder eher weniger Höhen). Ich würde an der Stelle auch dazu raten, ruhig etwas stärker zu glätten, um einer Überinterpretation vorzubeugen.
Kurz gesagt: Es gibt viele Dinge, die in diesem Kontext sorgfältig evaluiert und ggf. relativiert werden müssen. Das System hat trotz der grundsätzlichen physikalischen Komplikationen natürlich immer noch einen Nutzen und kann (mal mehr, mal weniger grob) durchaus valide Aussagen ermöglichen. Es kommt wie häufig jedoch auf die genaue Herangehensweise sowie die Aufbereitung und Interpretation der Daten an. Leider Gottes sind unsere Köpfe, Ohren und Vorzüge bei der Trageposition nun mal sehr verschieden. In so fern kann es eigentlich keinen allgemeingültigen Standard geben. Messungen dienen lediglich der Orientierung und können vereinzelt auch konstruktive Mängel aufdecken. Alles, was darüber hinausgeht, verliert leider schnell seine belastbare Grundlage.
Gnah schrieb:
Idealerweise zeigt diese nämlich so wenig Ausschlag nach oben oder unten wie möglich
Idealerweise ... aber wovon ausgehend?
Kopfhörermessungen sind vor allem eins: realtiv!
Je nach dem, welches System und welche Form der Kalibrierung man verwendet, könnten da vollkommen unterschiedliche Urteile bei zustandekommen.
Ich fände es sehr wünschenswert, erst einmal zu klären, was Linearität überhaupt bedeutet und wie man diese bei Kopfhörern - zumindest ansatzweise - überhaupt sicherstellen kann.