Transistor im Test: Ein audiovisuelles Kunstwerk

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Andreas Schnäpp
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Experimentelle Erzählweise

In Sachen Erzähltechnik ruht sich das Entwicklerstudio nicht auf den Lorbeeren vergangener Tage aus: Konnten sich Spieler vom omnipräsenten Erzähler „Rucks“ durch die farbenfrohe Welt von Bastion treiben lassen, ist in Transistor mehr eigener Einsatz nötig, um die Tragweite der Geschichte zu begreifen. Insofern sollten sich Interessierte mit dem Gedanken anfreunden, dass Texte, in welcher Form auch immer sie in Transistor auftauchen, gelesen werden sollten. Wer Textpassagen ungeduldig überspringt oder grob überfliegt und bei scheinbar nebensächlichen Einblendungen nicht aufpasst, bekommt nur die Hälfte mit.

Dies liegt unter anderem in der asymmetrischen Erzählsituation der Protagonistin Red und ihres sprechenden Zweihänders, dem „Transistor“, begründet: Die einst gefeierte Sängerin hat ihre Stimme verloren und bleibt demnach über den ganzen Spielverlauf hinweg im stummen Dialog mit ihrem Schwert. Während der gesprächige Transistor mit hörbaren Kommentaren und Anmerkungen um sich wirft, verbleibt Red lautlos und lässt ihre Taten für sich sprechen. Die einzigen Momente, in denen der Spieler einen Einblick in die Gedankenwelt der rothaarigen Protagonistin bekommt, sind während der Benutzung der quer durch Cloudbank verteilten Terminals, die den Bewohnern von Cloudbank als Abstimm- und Nachrichtensystem mit Kommentarfunktion dienen. Entscheidet sich der Spieler beispielsweise dazu, auf einen Nachrichtenartikel zu antworten, sind es diese kurzen Momente, in denen Red ihren Kommentar eintippt, die auf ihre Gefühls- und Gedankenlage schließen lassen.

Transistor im Test

Nach dem Prinzip „weniger ist mehr“ verbleibt die Geschichte des Spiels in den ersten Spielstunden geradezu nebulös: Abgesehen von der Tatsache, dass es anscheinend vier Bewohner Cloudbanks, die auf den Namen „Camerata“ hören, auf Red abgesehen haben, tappt der Spieler lange Zeit im Dunkeln. Wer sich für die Geschichte der Stadt und deren Einwohner interessiert, muss selbst aktiv werden: Jede neue Funktion, die Red unter anderem beim Stufenaufstieg oder nach dem Besiegen eines Bosses erhält, trägt zugleich auch die Hintergrundgeschichten zu bekannten Persönlichkeiten Cloudbanks in verschlüsselter Form in sich. Um die Hintergrundinformationen in lesbarer Form zu erhalten, muss das eigene Spielverhalten angepasst werden: Je nachdem in welche der drei unterschiedlichen „Slot“-Typen die Funktion eingesetzt wird, entschlüsselt sie durch Benutzung im Kampf die entsprechende Textpassage zur damit verbundenen Persönlichkeit.

So ermuntert Transistor den Spieler ganz nebenbei dazu, Abwechslung in das eigene Kampfverhalten und die dabei verwendete Taktik zu bringen, denn schließlich ist es in seinem eigenen Interesse, wenn er das „komplette Bild“ erfassen möchte. Wer sich dennoch mit ein und derselben liebgewonnenen Funktionskombination durch den Großteil des Spiels kämpft, hat immerhin im zweiten Spieldurchlauf die Möglichkeit, direkt mit den bisher erworbenen Fähigkeiten, Stufen und Begrenzern weiterzumachen und fehlende Story-Puzzlestücke auf diese Weise nachträglich zusammenzusetzen. Zwar gestaltet sich die Geschichte von Transistor deutlich linearer und lässt dem Spieler im Gegensatz zu Bastion keine Einflussmöglichkeit auf deren Verlauf, aber in Anbetracht des dafür deutlich komplexeren und strategisch ausgefeilteren Gameplays macht Transistor diesen Umstand wett.

Fabelhafte Präsentation

In Bezug auf Technik und Präsentation sieht man Transistor seine Wurzeln an – und das ist gut so. Wie schon für Bastion setzen die Entwickler auf einen eigenen Fork der MonoGame-Engine, die sie um zusätzliche Funktionen und Optimierungen erweitert haben. Das Resultat daraus ist ein Spiel, das sich einerseits überaus genügsam im Hinblick auf die Hardware-Anforderungen gibt, andererseits die Beschreibung der Spielgrafik mit den Worten beeindruckend schön geradezu als eine Untertreibung darstellt.

Transistor im Test
Transistor im Test

Jede Pore des Spiels trieft geradezu vor dem einzigartigen Stil, den schon das Erstlingswerk von Supergiant Games dank seiner begabten Künstlerin Jen Zee versprühte. Es ist demnach auch kaum verwunderlich, dass das Entwicklerstudio bei seinen gewohnten Stärken bleibt und auch diesmal die Audio-Untermalung in die Hände von Darren Korb gelegt hat. Herausgekommen ist dabei ein Soundtrack, der für sich allein schon die Bezeichnung überaus gelungen verdient, im Wechselspiel mit den übrigen Elementen von Transistor jedoch ein audiovisuelles Kunstwerk auf den Bildschirm zaubert.

Transistor im Test