EuGH: Vorratsdatenspeicherung grundrechtswidrig
Ersten Medienberichten zufolge soll der EuGH die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für grundrechtswidrig erachtet und daher aufgehoben haben. Die Entscheidung selbst ist noch nicht veröffentlicht worden, was aber im Laufe des Vormittags geschehen dürfte.
Gänzlich überraschend für die breite Öffentlichkeit kommt die Entscheidung jedoch nicht, denn schon im Dezember 2013 hatte Generalanwalt Villalón in seinem Schlussantrag die Grundrechtswidrigkeit als evident angesehen.
Das Verfahren selbst umfasst zwei nationale Rechtssachen, bei denen die darin involvierten obersten zuständigen Gerichtshöfe aus Irland (High Court) und Österreich (Verfassungsgerichtshof) entsprechende Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt haben. Es handelt sich dabei um C-293/12 Digital Rights Ireland und C-594/12 Seitlinger and Others, welche vom EuGH zu einem einzelnen Verfahren zusammengelegt wurden. In diesen ersuchten die genannten Gerichtshöfe den EuGH die Gültigkeit der EU-Richtlinie zu überprüfen. Momentan sind zwei Optionen denkbar. Entweder hebt der EuGH die Richtlinie mit sofortiger Wirkung auf, dann fällt zeitgleich auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Vorratsdatenspeicherung zu betreiben. Die andere Option wäre, dass er dem Legislativapparat der EU eine Frist zur Erneuerung der Richtlinie setzt. Bis dahin würde dann die alte Version weitergelten. Erst nach Verstreichen der Frist würde die Richtlinie notfalls auch ersatzlos wegfallen.
Weitere Informationen erfolgen in Kürze.
Aus der mittlerweile vorliegenden Pressemitteilung (PDF) des Gerichts lassen sich bereits nähere Informationen extrahieren.
Richtlinie aufgehoben
Der EuGH hat die Richtlinie 2006/24/EG für ungültig erklärt. Das bedeutet in diesem Fall, dass sie rückwirkend ab dem Erlassungsdatum keine Geltung hat. Sie ist hiermit rechtlich als niemals existent anzusehen.
An dieser Stelle ist vorauszuschicken, dass Grundrechtseingriffe prinzipiell erlaubt sein können, wenn sie ausreichend gerechtfertigt sind. Es wird daher zuerst geprüft, ob ein Eingriff vorliegt und wenn dem so ist, ob sich dafür eine Rechtfertigung findet und ob die Verhältnismäßigkeit zwischen Ziel und Mittel des Eingriffs gewahrt bleibt.
Der EuGH stellt fest, dass allein die Verpflichtung zur Speicherung der von der Richtlinie erfassten Daten einen „besonders schwerwiegenden Eingriff [...] in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten“ darstellt.
Auf Rechtfertigungsebene hält er allerdings fest, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht den „Wesensgehalt“ der beiden genannten Grundrechte antaste, da sie nicht die inhaltliche „Kenntnisnahme“ der jeweiligen menschlichen Kommunikation anordne. Auch diene die Vorratsdatenspeicherung der öffentlichen Sicherheit und dem Gemeinwohl.
Jedoch kommt er dennoch zum Schluss, dass die Richtlinie nicht verhältnismäßig ist. Das stützt er darauf, dass obgleich die Eingriffe in die fraglichen Grundrechte besonders schwer sind, keine adäquaten Sicherungsmechanismen in der Richtlinie enthalten sind. Diese sind nach Ansicht des EuGH jedoch notwendig, um die Eingriffe auf „das absolute notwendige" Maß zu minimieren.
Denn sie erstreckte sich einerseits auf „sämtliche Personen, Kommunikationsmittel und Verkehrsdaten“, sah jedoch keine einzige Differenzierung oder Einschränkung bezüglich ihres Zieles – der Bekämpfung schwerer Straftaten – vor. Es lagen auch keine objektiven Kriterien vor, nach denen der Zugriff von Behördenseite reglementiert gewesen wäre. Auch moniert er das Fehlen einer vorgeschalteten Zugriffskontrolle bezüglich der Datenbestände durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle. Auch bei der Dauer der Speicherung fehlt es dem EuGH an einer objektiven und verhältnismäßigen Vorgabe, die eine auf das Notwendigste beschränkte Speicherung gewährleisten hätte können.
Einen eigenen Absatz widmet die Presseerklärung dem Umstand, dass die Richtlinie „hinreichender Garantien“ für die Sicherung der Datenbestände vor „Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang und jeder unberechtigten Nutzung“ entbehre. So würde sie sogar das Sicherheitsniveau von den wirtschaftlichen Erwägungen der zur Speicherung verpflichteten Dienstebetreibern – beispielsweise ISPs – abhängig machen. Auch mangelte es der Richtlinie an einer Garantie, dass die Daten nach Ablauf der Speicherfrist „unwiderruflich vernichtet“ werden.
Ebenso wird der Umstand gerügt, dass die Speicherung der hochsensiblen Datenbestände nicht einmal auf Unionsgebiet stattfinden musste. Dadurch ergab sich ein weiteres Loch im Datenschutz, das zudem der Europäischen Grundrechtecharta zuwiderlief.
Was bedeutet das Urteil konkret?
Vorratsdatenspeicherung ist unter strengen Voraussetzungen prinzipiell erlaubt. Mit der Ungültigkeitserklärung fällt vorerst allerdings die unionsrechtliche Verpflichtung für Mitgliedstaaten weg, Vorratsdatenspeicherung zu betreiben. Wenn die EU-Legislative – auf Initiative der Kommission, mit Zustimmung von EU-Parlament und EU-Rat – erneut derartiges einführen möchte, kann sie das faktisch nur unter Beachtung der vom EuGH aufgestellten Einschränkungen und Sicherungsmaßnahmen.
Auch dürfte sich nun der Spielraum für nationalstaatliche Vorratsdatenspeicherungen eingeschränkt haben. Diese sollten nun uneingeschränkt von nationalen Höchstgerichten überprüfbar sein.
Mittlerweile ist auch das Urteil selbst im Volltext auf Deutsch abrufbar (Link).