Ich hole mal ganz weit aus: Warum gibt es die DSLR?
Die SLR war eine absolute Revolution. Warum? Weil ich durch das Objektiv schaue. Das ist eine geniale Erfindung. Eine Sucherkamera hat viele Nachteile. Man sieht das ja heute noch bei den aktuellen Leica Kameras. Man muss wirklich etwas masochistisch veranlagt sein, wenn man damit Bilder mach. Man bekommt auch wunderbare Resultate, aber die Kamera macht es einem nicht einfach: Man sieht weder den Bildausschnitt, noch die Tiefenschärfe und zusätzlich blockiert das Objektiv oft das Sucherbild. Diese ganzen Probleme hat eine SLR nicht.
Das ist sicherlich alles bekannt und langweilig. Aber dann frage ich: Warum gibt es die DSLR überhaupt? Ich habe doch gar keinen analogen Film mehr, sondern in meiner Kamera sitzt ein Sensor. Dieser Sensor kann genauso gut mir das Bild in meinen Sucher projizieren. Ich brauche keinen Spiegel und strenggenommen auch keinen Verschluss. Das sind alles Dinge, die in der Analogzeit notwendig waren und spätestens jetzt mit der A9 III sieht man, wie wenig Bedeutung diese Dinge haben. Die DLSR war immer eine Notlösung, weil die Hersteller kein neues System aufmachen wollten, sondern lieber mit wenig Investitionsaufwand neue Kameras bauen wollten. Und wie schon die Einführung der Programmautomatik und des Autofokus, haben wir es Minolta zu verdanken, dass Canon und Nikon sich bewegen mussten: Minolta war der erste Hersteller, der eben keine DSLRs mehr bauen wollte, sondern die ersten Schritte Richtung DSLM gemacht haben (natürlich im Massenmarkt).
Wie bekomme ich jetzt noch die Biegung von dämlichen Stammtischparolen zu einem halbwegs sinnvollen Post hin? Ich möchte dir dazu einfach folgendes mitgeben: Die DSLM ist die SLR der 2010er-Jahre. Sie führt die Tradition der SLRs nahtlos weiter. Es ist nicht der Bösewicht, der durch falsche Marketingversprechen der jungen Generation aufgequatscht wurde und jetzt die tolle Technik der DSLR zu Grabe trägt. Nein. Die DSLM ist heute die leistungsfähigste Form der Consumer-Kamera. Sie bringt einige Vorteile mit, die eine DSLR nie haben wird.
- Live-View im Sucher: Ich kann im Sucher alles machen und sehe alles. Grundeinstellungen, Menüs, usw… Ich kann alle Funktionen der Kamera über den Sucher bedienen, was insbesondere bei heller Umgebung ein großer Vorteil ist. Ganz zu schweigen von Video. Und eben wichtig für Einsteiger: Ich bekomme im Sucher in etwa das Bild angezeigt, das ich auch schieße. Das hat auch damit zu tun, dass die Kamera immer bei Arbeitsblende ist. Auch das ist eine Revolution. Dadurch vermeide ich ärgerliche Effekte wie Fokusshift und kann zu jeder Zeit die Tiefenschärfe abschätzen. Ich kann das geschossene Bild dann anschließend im Sucher kontrollieren. Dieser hat oft eine höhere Auflösung als das rückwärtige Display und ich kann dort sehr einfach schauen, ob die Belichtung stimmt und die Fokusebene passt. Black-Out-freies Sucherbild wäre auch noch so ne Sache. Stell dir mal eine DSLR mit 120 FPS vor. Wie willst du da noch was im Sucher erkennen? Ganz zu schweigen von den vielen nützlichen Funktionen wie Fokus-Peaking (Kantenanhebung um die Schärfeebene bereits vor der Aufnahme zu sehen oder Zebrafunktion um überbelichtete Stellen zu sehen. So kann ich direkt entscheiden, ob die Überbelichtung in dieses Bereichen akzeptabel ist oder ich doch noch weiter abblende/Zeit verlängere.
- Das System KANN (muss nicht) kompakter ausfallen, der Abstand von Bajonett zu Objektiv ist kleiner
- Weitwinkelobjektive sind leichter, kompakter und günstiger
- Der Autofokus ist deutlich besser, da er direkt auf dem Sensor gemessen wird. Front-/Backfokus ist daher kein Problem. Zusätzlich kann auch Kontrastautofokus zum Einsatz kommen. Ja. Die DSLR könnte das auch: Dann verliere ich aber entweder den Sucher oder ich muss das Autofokusmodul sehr komplex machen. Ich baue also einen zweiten Sensor ein
- Und das wozu? Für ein analoges Sucherbild? Ok. Es ist nachts verzögerungsfrei, aber eben auch nutzlos, weil viel zu dunkel, insbesondere mit lichtschwachen Objektiven.
Mich ärgert das auch jedes Mal diese ganzen angeblichen Vorteile der DSLR zu lesen. Wo ist das große Gehäuse denn eine Erfindung der DSLR? Das ist Blödsinn. Schau dir mal eine Minolta XD7 an. Die ist fast so klein wie eine Alpha 7 heute. Es ist einfach eine Modefrage, ob Fotografen gerne kleine, unauffällige Kameras mit Handlingeinschränkungen bevorzugen oder klobige Ziegelsteine, dies super für große Hände sind, aber eben Einschränkungen bei der Portabilität mitbringen. Und auch da frage ich mich: Warum dann nicht eine Panasonic S1? Super DSLM mit großem Body.
Und was wurde Sony gescholten für die angeblich schlechte Qualität der Kameras. „Mit meiner EOS 5D hau ich Sparrennägel in eine Wand“. Sicher ein übliches Anwendungsszenario einer Kamera, das mir leider bisher entgangen ist. Und für -30 °C in Lappland oder strömenden Regen in Norwegen hat meine A7 II scheinbar auch gereicht.
Was mich am Ende an der Diskussion am meisten ärgert: Die Vorteile der DSLM sind von allen bekannt. Das sind Fakten. Normal müsste diese Diskussion so ablaufen: „Ich fotografieren lieber mit einer DSLR, weil mich das Sucherbild der DSLM stört. @TE: geh in einen Laden und teste das mal aus“. Aber stattdessen diskutieren wir hier welche angeblichen Vorteile welche Kameragattung hat.