Im Bezug auf soziale Interaktion kann es Objektivität (verstanden als Unabhängigkeit vom Beobachter) nicht geben - das sollte gerade ein Psychologe wissen (so er sich denn mit Wahrnehmung und Interpretation auseinandergesetzt hat).
Wahrnehmung muss immer gefiltert und interpretiert werden, sonst ist Erkenntnis allgemein logisch nicht machbar. Bei diesem Filtervorgang - der einer Interpretation des übriggebliebenen vorangeht - werden stets für den momentanen Handlungsvollzug unwichtige Informationen ausgeblendet. Die Folie, auf der dies geschieht, beinhaltet neben den Erfahrungen des wahrnehmenden Individuums auch dessen momentane Ziele. Das Ergebnis ist dann ein gefilterter Informationsfluss, welcher in den seltensten Fällen wirklich alles relevante berücksichtigen kann - meist stehen uns bei Entscheidungen (und um die geht es hier) nichtmal alle relevanten Informationen zur Verfügung.
Auch das Umfeld des wahrnehmenden Individuums spielt eine Rolle - in Form von Erfahrungen, welche dieses Individuum in DIESEM und ähnlichen Kontexten gesammelt hat, und aus denen es eine Vorstellung davon gewonnen hat, was in diesem speziellen Diskurs überhaupt gehört werden kann ("gehört" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass ein anschlussfähiger Diskursbeitrag geleistet wird, welcher vom System - dem Diskurs - verarbeitet werden kann).
Ich möchte dabei betonen, dass sich alle beteiligten Komponenten in einem ständigen Entwicklungsprozess befinden, miteinander "im Diskurs" stehen, sich einander beinflussen und dass die wenigsten Selektionsleistungen in diesem Prozess bewusst ablaufen.
Ein sehr großer Teil der subjektiven Komponente unseres Handlungsvollzuges ist uns nicht bewusst, z.T. wird schon direkt im Hinblick auf mögliche "Kontrahenten" oder anerkannte Positionen im Diskurs gefiltert (Stichwort "Disziplinierung", als wissenschaftssoziologischer Begriff wie bspw. bei Stichweh)....
Kurz: Auch die individuelle Erfahrungswelt, persönliche Interessen, das soziale, institutionelle und sonstige Umfeld, die dort vorhandenen oder angenommenen Interessenlagen, Fähigkeiten und Erfahrungswelten, das zur Verfügung stehende Vokabular und seine Passung zum Diskurs (hier als Umwelt einer Aussage), entscheiden darüber, wie eine Aussage auszusehen hat, um in diesem speziellen Kontext erfolgreich oder einfach überlebensfähig zu sein.
Unter Umständen kann es wichtiger sein, ein paar Namen zu nennen ("namedropping" als wissenschaftliche Basiskompetenz), als die dahinter stehenden Theorien zu diskutieren - der Name impliziert eine Theorie (z.B. Foucault -> Diskurstheorie, Bourdieu -> Kapitalsorten), die je nach Kontext bei allen Diskutanden vorausgesetzt werden kann. Es käme mir aber nicht entfernt in den Sinn, bei allen Diskutanden das gleiche Verständnis dieser Theorien vorauszusetzen - ganz einfach weil es ohne Wahrnehmung der Theorie (gehen wir der Einfachheit davon aus, sie wird aus 1. Hand rezipiert) keine Kenntnis dieser geben kann, Wahrnehmung nicht ohne Selektion und Interpretation funktioniert und es einfach keine "falsche Interpretation" geben kann (weil eine Interpretation nichts anderes ist, als eine "Lesart", die weniger von einer objektiv erkennbaren Realität abhängig scheint, als von den, dem Individuum zum Zeitpunkt der Interpretation zugänglichen UND von ihm im Hinblick auf die "Aussage-Umwelt" relevant gesetzten Informationen).
Ich beende das mal hier - ich habe schon mal über 100 Seiten dazu geschrieben.
Ein kleines Beispiel noch: Ein Röntgenbild kann man als "objektiv" betrachten (darauf lasse sogar ich mich ein), aber die Diagnose, die ein Arzt daraus erstellen kann fußt auf der Interpretation des diagnostizierenden Arztes - wie oben gesagt, wird die Diagnose dadurch zu einer subjektiven Enschätzung, die nur dadurch etwas mehr Objektivität erlangen kann, dass andere Meinungen eingeholt werden. Allerdings wird die Diagnose dadurch nicht objektiviert, sondern stellt lediglich ihre intersubjektive Nachvollziehbarkeit unter Beweis - bis jemand anderer Meinung ist.
Für die Begriffe Wahrheit oder Objektivität bedeutet dies allerdings zumindest im Bezug auf soziale Interaktion und deren Erforschung das Aus.
Das höchste der Gefühle ist hier intersubjektive Nachvollziehbarkeit, gerade WEIL man die subjektive Komponente nicht vollständig eliminieren kann, ohne dabei auf annähernd jede Aussagekraft zu verzichten.
Was bedeutet das nun für die Frage nach Ideologie in Videogames?
Jedes Spiel enthält Ideologie, denn die Etikettiereung mit diesem Begriff bezeichnet Denkmuster, an denen sich die Geister scheiden. Polarisation schafft Ordnung im Kopf (genau deswegen werden wir Rassismus und Sexismus ja nicht los), denn sie gibt uns eine vermeindlich einheitliche Wahrnehmungsfolie und nimmt uns damit viel Interpretationsarbeit ab.
Ideologische Einfärbungen geben dem Spiel ein Stück seiner Attraktiviät - es bietet die Einfachheit, die das alltägliche Leben nicht bieten kann - weil man es dort nicht mit gegnerischen Truppen zu tun hat, die eine (mMn natürlich böse) Ideologie vertreten oder mir einfach ans Leder wollen, sondern weil man es mit Individuen zu tun hat. Für die gilt vielleicht das gleiche, aber ich kann mir eben nicht sicher sein - im Ego-Shooter habe ich genau das - schwarz/weiß, gut/böse, ganz klar und eindeutig.
Vielleicht gibt es ideologielastige Spiele genau deswegen, weil Ideologie ein negativ konnotierter Begriff ist. Alles ideologische ist zwangsweise schlecht (per Definition: "objektiv notwendig falsches Bewusstsein" ), also kann man diese Seite der eigenen Individualität nur im Privaten er- und ausleben - im öffentlichen Raum fällt man damit meist auf die Schnauze (wenn man nicht gerade die Ideologien vertritt, die gesellschaftlich akzeptiert, und daher nicht als Ideologie etikettiert sind).
Das "falsche Bewusstsein" halte ich übrigens für einen der übelsten Ideologie-Bausteine überhaupt, denn das ist geradezu die Basis aller Ideologie. Niemand würde sich selbst ein falsches Bewusstsein attestieren -> das falsche Bewusstsein gibt es nur als Fremdzuschreibung, die impliziert, dass der der diese Zuschreibung macht, fest davon überzeugt ist, dass sein Bewusstsein "richtig" ist.
Daher ist die Definition von Ideologie als "objektiv notwendig
falsches Bewusstsein" selbst ein Stück übelste Ideologie. Denn damit kann man dann getrost alles, was einem nicht in den Kram passt als Ideologie abtun, solange man es intersubjektiv nachvollziehbar begründen kann (innerhalb der eigenen Bezugsgruppe) - das höhlt nicht nur den Begriff aus, das ist obendrein auchnoch hochgradig dogmatisch.
Die Forderung, dass ein ideologisiertes Bewusstsein "objektiv notwendig falsch" sei wurde schon vor langer Zeit ad absurdum geführt - selbst wenn es eine objektiv Erkennbare Realität gibt, woher soll man bitte wissen, dass man so etwas wie Wahrheit (oder das objektiv notwendig richtige) erkannt hat? Wenn man sich hier nicht sicher sein kann, woher soll man dann etwas als "objektiv notwendig falsch" erkennen.
Das geht nur auf einer art Schablone - z.B. eine Ideologie vom richtigen Bewusstsein.
Das "richtige" Bewusstsein (oder den einzig wahren Glauben) hat immer nur die Gruppe mit der man sich gerade identifiziert. Es ist ein Phantasiemerkmal, das Zugehörigkeit (und damit auch Auschluss) zu einem bestimmten "Wir" signalisiert - mMn der Kern JEDER Ideologie.
Von einem falschen Bewusstsein kann ich vielleicht ausgehen, wenn jemand z.B. bei einer simplen Addition (z.B. 2+2) IMMER das gleiche, falsche Ergebnis liefert (z.B. 5 oder 3), und er sogar beim Abzählen (1+1+1+1, meinetwegen an den Fingern) nicht auf die 4 kommt.
Im richtigen/falschen Bewusstsein steckt für mich zu viel Politik, als dass der wissenschaftliche Begriff der Objektivität in diesem Kontext nicht NUR lächerich wirkt.
Und der Rest ist Alltagstheorie oder instrumentiert den Begriff für die eigene Ideologie.
Abe81 schrieb:
Man kann viel mehr ideologiekritisch ausschlachten, was in den Projektionsleistungen der Diskutanten für Ideologie steckt, gar nicht so sehr, was im kulturindustriellen Produkt XY vorhanden sein soll.
Als ich das las, musste ich sofort vervollständigen:
"... und findet dabei sehr viel mehr über über die eigenen Projektionsleistungen heraus, als über tatsächlich in den Autoren vorhandene Ideologien".
Den Beobachter wirst du nicht los - und erst in dem bekommt die Wirklichkeit konkrete Züge, über die er dann eine Aussage machen kann, das ist bei Psychologen nicht anders als bei Naturwissenschaftlern, Hausmütterchen oder Pädagogen. Die meisten merken es wohl nur nicht - oder einfach auf andere Weise als ich, oder jedes andere Individuum - eben individuell und subjektiv.