Dieses Phänomen ist aber nicht nur eines der Netzgemeinde. Mich beschäftigt schon länger die Frage, was in Deutschland eigentlich gerade passiert, in Zeiten, in denen die Union fast die absolute Mehrheit erhält. Union, das bedeutet Konservative, also Leute, die alles gerne so lassen würden wie es ist. Obwohl es Missstände in Deutschland gibt, scheint fast 50% der Leute in Deutschland mit dem Zufrieden zu sein was sie haben. Sie sind nur an der Erhaltung des Status-Quo interessiert. Erkennen diese Leute die Missstände nicht? Sind die Leute Veränderungsmüde? Oder haben sie einfach Angst davor, dass es Ihnen durch Veränderungen schlechter gehen könnte?
Pragmatisch analysiert geht es Deutschland wirtschaftlich gut. Sehr gut sogar. Ich bin sogar geneigt zu sagen Deutschland steht derzeit am Besten in der Welt da. Die Chinesen werden früher oder später einen gigantischen Preis für das Wachstum bezahlen. Der Raubbau an Gesellschaft und Umwelt ist unbeschreiblich. Viele weitere Konkurrenten gibt es nicht. Okay, die USA, aber die stecken auch bis zum Hals in Schulden. Japan ging es auch schon besser. Die Briten haben außer Geld- keine Realwirtschaft, die Franzosen befinden sich in der Krise, die Russen, Italiener, Spanier sowieso.
Okay, Deutschland geht es gut, worauf willst du hinaus? Diesem Land geht es gut, dass es ihm wirtschaftlich nicht besser gehen könnte, und trotzdem werden wir unsere Schulden nicht los. Jeder Kopf in Deutschland ist mit 25.838€ verschuldet. Und es wird immer mehr! Wenn wir es in wirtschaftlichen Hochzeiten nicht schaffen, unsere Schulden abzubauen, wie soll das erst werden wenn es mal nicht so gut läuft? Und anstatt dass sich alle zusammenreißen und etwas dafür tun, das wir unseren Kindern keine Schulden hinterlassen wird von unseren Politikern freimütig das Geld der Steuerzahler ausgegeben. Aktuellstes Beispiel: die abschlagsfreie Rente mit 63. WIE BITTE?! Wir leben immer länger, aber arbeiten kürzer? Wo ist denn da die Logik? Ich bin für ein würdiges Leben im Alter. Aber in anderen Ländern funktioniert die Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung doch auch! Wie bitte sonst sollen unsere Sozialkassen den demographischen Wandel überleben? Im Grunde sollte ich gleich klagen, dass ich nicht bereit bin, in die Rentenkasse einzuzahlen, wenn eh nichts mehr übrig ist, was an mich ausgezahlt werden könnte, wenn ich mal in Rente gehe.
Dies ist nur ein aktuelles Thema, für das es sich lohnen würde auf die Straße zu gehen. Und immerhin, in den Medien bekommt das Thema einen präsenten Platz und wird kontrovers diskutiert. Aber außer Arbeitgeberverbänden, Politikern oder sonstigen Vertretern irgendwelcher Interessengruppen ist es sehr still um das Thema. Demonstrationen? Fehlanzeige. Selbst die Maiausschreitungen können als solche kaum bezeichnet werden. Und auch im privaten Kreis unterhält man sich eher über die Bundesliga als über solche Themen. Wenn mal was kommt, dann sagt ein Mitt-50er: "In 5 Jahren schau ich mal, dann ist das mit der Rente mit 63 durch, dann muss ich noch ein Jahr, dann geh ich abschlagsfrei in Rente."
Um wieder zum Ausgang zurückzukommen: es gäbe eine Menge Themen im Moment, für die man auf die Straße gehen könnte. Was mich an der NSA-Debatte am meisten stört: mit welch billigen Mitteln sich die Bundesregierung (oder allgemein die Politik) davongestohlen hat. Pofalla erklärt die Debatte für beendet, es wird ein bisschen gespottet, er verzichtet / wird gegangen, es wird ein bisschen mehr gespottet, die Freihandelszone wird in Frage gestellt, dann wird sich aufgeregt das Pofalla ohne lange Auszeit einen hochdotierten Job in der Wirtschaft annehmen möchte, dann haben alle den ganzen Spuk vergessen und gehen zur Tagesordnung über. Witzigerweise verliert in solchen Situationen aber immer nur die SPD in der Wählergunst. Ein Phänomen, das ich bis heute nicht verstanden habe.
Bleibt eigentlich nur eine Frage zu klären: warum tue ich nichts? Warum mache ich nicht, was Herr Lobo verlangt? Warum betreibe ich nicht Lobbyarbeit, für Netzneutralität, die in den USA gerade mit Füßen getreten wird? Und warum tut außer mir niemand (kaum) einer was?
Ich wüsste nicht, wie. Ich wüsste nicht, an wen ich mich wenden sollte. Ich allein habe nicht den Hebel dazu. Also muss ich mich mit anderen zusammen tun, muss eine Partei wählen oder gründen. Alle etablierten Parteien interessieren sich nicht (oder nur sehr wenig) für Netzneutralität. Und alle Partei-Neugründungen seit den Linken sind mehr oder weniger in die Hose gegangen. Es reicht für heutige Parteien einfach nicht mehr, nur eine Kernkompetenz zu haben (oder keine, wie die FDP). Abseits dieser Kernkompetenz ist es sehr schwierig, einer jungen Partei ein Profil zu geben, in dem sich möglichst viele wieder finden und an dem möglichst viele an einem Strang in eine Richtung ziehen. Es bricht ein Streit über die Ausrichtung der Partei aus, die Partei versinkt im Chaos und der Bedeutungslosigkeit. Und ich steh wieder allein da.
so long and greetz