0ri0n schrieb:
Ich schätze die breite Masse, also den Durchschnittsbürger wird es nicht treffen. Dazu muß ich auch festhalten, ich bin grundsätzlich kein Freund solcher unverhältnismässigen Aktivitäten des Eindringends ins Private oder der Vorverurteilung.
Das kommt drauf an, wie man die Vorratsdatenspeicherung umsetzt. Bisher zielen alle Vorschläge und auch die gekippte EU-Richtline und ebenfalls das schon länger gekippte deutsche VDS-Gesetz darauf ab, eben doch
alle Verbindungsdaten j
edes einzelnen Bürgers zu erfassen. Unabhängig von irgendeinem Verdacht. Die VDS betrifft also automatisch
jeden.
Es handelt sich um keine gezielten Überwachungsmaßnahmen gegen Verdächtige, sondern um einen ungezielten Rundumschlag den jeder abbekommt.
Das haben auch die deutschen Verfassungsrichter ausdrücklich festgestellt. Der schwere Eingriff in die Freiheitsrechte jedes Einzelnen findet schon mit dem Erfassen und Speichern der riesigen Datenberge an, nicht erst mit deren späterer, individueller Nutzung (die eh unkontrollierbar im Geheimen ablaufen wird).
Die schädliche Wirkung der VDS auf die Meinungsfreiheit wird schon durch die ständige, annlasslose Massenüberwachung erreicht, auch ohne eine Bestätigung, welche Informationen denn nun wirklich von welchen Behörden genutzt wurden und welche irgendwann ungelesen wieder gelöscht wurden. (Nicht dass sich irgendjemand Hoffnungen machen könte, dass er tatsächlich informiert würde, wenn die über ihn gespeicherten Daten genutzt werden. Das wird natürlich aus Gründen der inneren Sicherheit geheim gehalten.)
Das Ganze hat eine ähnliche Wirkung wie bei den Teleschirmen aus 1984. Auch der mächtige Big Brother verfügt nicht wirklich über die personellen Kapazitäten, jeden einzelnen seiner Bürger rund um die Uhr lückenlos zu überwachen. Aber allein dass die Kameras allgegenwärtig sind und man nie weiß, ob sie gerade angeschaltet/besetzt sind oder nicht, reicht schon um die Zensurschere im Kopf der Menschen anzusetzen.
Oder ein konretes Beispiel aus der Realität. Es passierte vor ein paar Jahren, dass versehentlich Wahlkabinen in einer Sparkassenfiliale direkt unter Überwachungskameras aufgebaut wurden. Die Kameras waren in dem Zeitraum zwar ausgeschaltet, trotzdem wurden die Wahlergebnisse für ungültig erklärt, einfach weil man nicht ausschließen konnte, dass Wähler allein durch das bloße Vorhandensein der Kameras in ihrer freien Entscheidung beeinflusst wurden.
Die VDS kann wie gesagt den selben Effekt haben. Und zwar zu jeder Zeit auf jeden einzelnen Menschen.
Es wird aber bei Bedarf praktisch sein wenn man nach einem Terroranschlag oder Verbrechen solche Daten nutzen kann, siehe Paris.
Leider gibt es nicht wirklich Beispiele dafür, dass die VDS bei sowas jemals etwas gebracht hätte. Entweder man kam den Terroristen auch so auf die Spur, oder es kam trotz vorhandener VDS-Daten zum Anschlag. So wie in Paris, wo schon seit Jahren exessiv gespeichert wird.
Außerdem gibt es, zumindest in Deutschland, wie erwähnt überhaupt keine besorgniserregende Entwicklung bei Tötungsdelikten (Terroranschläge und auch die NSU-Morde inbegriffen). Man mag es kaum glauben, wenn man so die Schlagzeilen ließt, aber niemals lebte man sicherer als heute.
Niemals wurden in Deutschland weniger Menschen Opfer von Tötungsdelikten und niemals wurde ein größerer Teil der Delikte (seit Jahren über 95%) aufgeklärt, auch ganz ohne VDS.
Internet und Mobiltelefone scheinen dabei weder die Aufklärung zu behindern, noch führen sie zu insgesamt mehr Straftaten. Im Gegenteil. Seit den 90ern, also vor dem digitalen Siegeszug, hat sich die Zahl der Tötungsdelikte halbiert und die Aufkläungsquoten wesentlich verbessert.
Ich könnte die VDS vielleicht als absolute Notstandsmaßnahme verstehen. Wenn es denn wirklich eine außer Kontrolle geratene, dramatische Gefahrensituation gäbe (nicht nur eine "gefühlte"/"abstrakte") und wenn die Wirksamkeit der VDS zudem irgendwie belegt wäre. Aber nichts davon ist der Fall!
Deshalb hält sich meine Bereitschaft, wichtige Freiheitsrechte zum Fenster raus zu werfen, sehr in Grenzen.