Solange man rein theoretisch diskutiert kann man natürlich immer viel sagen.
Aber wenn man nicht vorher drüber nachgedacht hat, dann muss man es in der Situation tun, in der schlicht die Zeit dazu fehlt.
Ich persönlich weiß zu 100%, was ich in welcher Situation tun wollen würde.
Ob ich es jeweils hinbekomme das auch abzurufen, was ich vorher für mich beschlossen habe, das ist sicher noch eine andere Sache.
Bisher bin ich zum Beispiel noch nie von jemandem bedroht worden, vor dem ich tatsächlich Angst hatte.
Also Angst im Sinne von emotionaler Angst und damit wahrscheinlich einhergehendem Verlust rationaler Denkweisen.
Andererseits hat mir schonmal jemand eine Pistole an den Kopf gehalten.
Eine Privatparty in einem gemieteten Raum war gerade vorbei und ich noch mit anderen am aufräumen.
Plötzlich kommen drei unbekannte, sturzbesoffene Gestalten rein (Party in einer gemieteten Lokalität, Türen waren logischerweise offen) und wollten noch saufen (waren keine Partygäste).
Direkt nach der Ankunft der Drei hat einer von denen mit dem Handy "seine Leute" angerufen und gesagt, dass es kostenlosen "Alk" gibt und wo sie waren.
Nach erst freundlicher Aufforderung zu gehen, folgender deutlicher Aufforderung SOFORT zu gehen und der Androhung die Polizei zu rufen zieht einer der Drei eine Pistole aus seinem Hosenbund.
(Die hatte ich vorher nicht gesehen, damit auch nicht gerechnet, aber die Situation in Gedanken viel früher schonmal durchgespielt.)
Zu dem Zeitpunkt war niemand mehr am Aufräumen, sondern alle Leute (die 3 Chaoten, 4 Helfer und ich) konzentrierten sich auf die Auseinandersetzung.
Natürlich war mir die prinzipielle Gefahr bewusst, aber die Überlegenheit hatte ich gefühlt auf meiner Seite (Ich war 100% nüchtern und körperlich hätte ich zumindest zwei von denen alleine überwältigen können).
Mir war auch schon länger klar, dass diese Auseinandersetzung nicht friedlich enden würde, obwohl ich mit der Waffe nicht gerechnet habe.
Ich hatte also die Umgebung schon nach Flaschen oder sonstigem abgesucht, es gab aber nichts was ich direkt hätte greifen können.
Im Nachhinein kann ich nicht mehr sagen, ob mir wirklich aktiv bewusst war, dass die Pistole noch gesichert war.
Trotzdem habe ich einen Moment seiner Achtlosigkeit, er war grad dabei mich anzuschreien und den übergebliebenen Alkohol zu fordern, sofort genutzt und zugeschlagen.
Der erste Schlag gegen die Hand mit der Waffe, der zweite ins Gesicht und dann habe ich seinen Kopf in Richtung einer steinernen Fensterbank geschickt.
Ich habe dann noch mehrfach, so ca. drei bis fünf Mal, mit voller Kraft auf Arme und Oberkörper eingetreten.
Was genau ich ihm dabei an Verletzungen zugefügt habe kann ich nicht sagen, aber gebrochene Knochen waren definitiv dabei.
Die Waffe lag auf dem Boden, der Typ war komplett außer Gefecht (aber nicht bewusstlos) und ich konnte die Pistole an mich nehmen.
Hätte ich in der Situation erst nachdenken müssen, was ich machen möchte, dann hätte ich mich vielleicht anders verhalten.
Jedenfalls haben die anderen beiden dann, nachdem ich ihnen mit der von mir entsicherten Pistole gedroht habe, ihren Kumpel genommen und sind mit ihm abgehauen.
Die anderen beiden sind nicht so aggressiv gewesen wie der Pistolen-Typ, waren von der Pistole offensichtlich selbst überrascht und haben auch keine Anstalten gemacht einzuschreiten oder loszuprügeln...
Danach habe ich mich sofort mit "meinen" Leuten ins Auto gesetzt und bin zur Polizei.
(Um die Waffe abzugeben und damit die nach den Typen suchen konnten, außerdem waren ja noch mehr Typen unterwegs zu dem Haus der Auseinandersetzung.)
Gefunden wurden die damals nicht und die Pistole war "nur" eine Gaspistole.
Es kam dann nur ein Amtsarzt vorbei, der die Verletzung an meiner Hand (vom Schlag ins Gesicht) dokumentiert hat und uns alle einmal durgecheckt hat.
Die Ermittlung wurde dann recht zügig eingestellt, weil die Typen halt trotz halbwegs akkurater Beschreibung nicht zu finden waren.
In der Situation hat es mir jedenfalls sehr geholfen, dass ich in Gedanken schonmal alles durchgespielt hatte.
Der Effekt ist der gleiche wie der eines Fahrsicherheitstrainings, was auch dazu führt, dass bestimmte Reaktionen automatisiert werden können.
Und wenn ich im Nachhinein eine Sache bereue, dann nur, dass ich den Typen nicht schwerer verletzt habe.
(Ins Krankenhaus ist er nicht gegangen, aber solange ich ihm keinen Arm gebrochen habe wäre das ja auch nicht nötig gewesen...)
Ich hätte ihm ein Knie zerstören, einen Arm brechen oder eine sehr schwere Gehirnerschütterung zufügen sollen.
Damit hätte er zu einem Arzt gehen müssen und man hätte ihn dranbekommen.
Rechtlich kann man das ganze natürlich bewerten wie man möchte.
Es gab jedenfalls nie eine Untersuchung gegen mich, obwohl ich auch der Polizei gesagt habe, das ich auf ihn eingetreten habe.
Der Polizist meinte dann nur, dass es zwar keine 3-Sekunden-Regel gibt, aber ich ja nicht wissen konnte ob er außer Gefecht war oder nicht.
Und ohne den Typen gesehen zu haben konnte die Polizei ja auch nicht feststellen wie viel er abbekommen hat.
Es gab dann später nochmal eine Diskussion inwiefern ich mich korrekt verhalten habe, ob ich die aggressive Grundstimmung verstärkt habe.
Aber ich hatte ja vier Zeugen/Zeuginnen, die mein Auftreten als sehr bestimmt, aber nicht agressiv beschrieben haben.
(Lustigerweise war der "Dialog" zwischen mir und dem Pistolen-Typen von jeder Person anders beschrieben worden, der grundsätzliche Inhalt passte aber zusammen...)
Von daher sehe ich es genau so wie mdave: Wenn ich bedroht werde, dann setze ich erstmal alle mir zur Verfügung stehende Gewalt ein.
Von herumstehenden Flaschen, Messern, Schusswaffen oder Wurf-Objekten würde ich alles und jederzeit benutzen.
Und zwar mit der schlichten und grundsätzlichen Intention erstmal soviel Schaden anzurichten wie mir irgend möglich.
Wer mich zum zuschlagen bekommt, der hat genug falsch gemacht, dass ich unter keinen Umständen Gewissensbisse bekommen muss, egal wie der andere aus dieser Situation hervorgeht.
Denn auch wenn sich das jetzt alles recht martialisch liest... Ich bin ein zutiefst friedfertiger, geselliger und freundlicher Mensch, solange man mir nichts tut.
Wenn es eine Möglichkeit der Deeskalation gibt, dann ist die natürlich immer vorzuziehen.
Wenn man weglaufen kann und davon ausgehen kann auch davonzukommen, dann sollte man die Konfrontation vermeiden. (Vielleicht ist/sind der/die andere(n) ernsthaft gefährlich, weiß man ja nicht.)
Aber wenn es dann mal zum äußersten kommt, dann ist es mir schlicht egal, was dem anderen passiert, solange ich selbst davonkomme.
Grüße vom:
Jokener
P.S.: Wer denkt ich habe keine Ahnung davon und kann nicht abschätzen, wie es sich anfühlt jemanden zu töten... Stimmt.
Aber direkt vor meiner Haustür gabs mal einen Unfall mit einem Motorradfahrer.
Ich habe es von drinnen gehört und bin sofort rausgerannt.
Mein Erste-Hilfe-Training vom Führerschein war erst wenige Monat her, also hab ich auch richtig gehandelt.
Bevor ich beim Motorradfahrer war, hatte ich schon den Krankenwagen gerufen und der braucht zu mir nur zwei Minuten Fahrzeit.
Trotzdem ist der Mann in meinen Händen gestorben, weil schlichtweg nichts mehr zu machen war.
(Abends, Massiv überhöhte Geschwindigkeit, Kreuzung ohne Ampel, seitlich in ein Auto, auf/gegen den Bordstein an der Ecke gestoßen/gerutscht/geflogen...)
Geschockt war ich dann schon etwas, nachdem der erste Krankenwagen mit dem Motorradfahrer weg war und er Notarzt sich um mich und den unverletzten Autofahrer kümmern konnte.
Aber nach 10 Minuten konnte ich wieder klar denken, 4 Red Bull und 3 Liter Cola später gings mir wieder gut.
Ich habe zwar noch nachgedacht, ob ich was falsch gemacht habe und ob ich ihn hätte retten können...
Nachdem die Überlegung aber fertig gedacht war und ich keinen wirklichen Fehler finden konnte bin ich ins Bett gegangen und hab seelenruhig geschlafen.
(Mein einziger "Fehler" war, dass ich den eigentlichen Unfall beim Notruf nicht gut genug beschrieben habe, aber es kamen genug Krankenwagen, von daher gabs keine negativen Folgen daraus...)