Vereinigtes Königreich: Die Industrie soll sich bei Lootboxen selbst regulieren

Fabian Vecellio del Monego
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Vereinigtes Königreich: Die Industrie soll sich bei Lootboxen selbst regulieren
Bild: Blizzard

Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat sich mit Lootboxen und einer Einstufung derer als Glücksspiel befasst – und dagegen entschieden. Allerdings soll es für die Spieleindustrie einige Auflagen geben, um insbesondere Kinder und Jugendliche besser zu schützen. Falls das nicht greife, sollen Gesetze angepasst werden.

Grobe Richtlinien statt expliziter Gesetze

Der Evaluation ging eine längere Debatte voraus. Im Juli 2020 forderte das britische Oberhaus die Regierung auf, Lootboxen und vergleichbare Monetarisierungs­mechanismen in Videospielen konsequent als Glücksspiel einzustufen und entsprechend für Kinder und Jugendliche unzugänglich zu machen. Unterstützt wurde das Anliegen durch eine Studie der Universitäten Plymouth und Wolverhampton, nach der die Beuteboxen „strukturelle und psychologische Ähnlichkeiten“ zum Glücksspiel aufweisen. Das zuständige Ministerium für Kultur, Digitales, Medien und Sport kam nun jedoch zum Schluss, dass es keinen Bedarf für legislative Schritte gebe, wie aus einem umfassenden Bericht hervorgeht. Damit das auch in Zukunft so bleiben kann soll die Industrie zur Selbstregulation angehalten werden.

So werden Lootboxen zwar nicht kategorisch als Glücksspiel eingestuft, stattdessen sollen fortan aber einige neue Richtlinien gelten. Zunächst ist vorgesehen, dass entsprechende Mikrotransaktionen und In-Game-Käufe für Kinder und Jugendliche erst möglich werden, nachdem ein volljähriger Erziehungsberechtigter das Benutzerkonto für derartige Transaktionen freigeschaltet hat. Darüber hinaus sollen Publisher dafür sorgen, dass Spieler stets Zugriff auf ihre Kaufhistorie und Gesamtkosten haben; im Allgemeinen soll transparenter kommuniziert werden, beispielsweise bezüglich der exakten Wahrscheinlichkeiten bei der Verteilung der Items. Drittens folgt die Anweisung, einen erweiterten Zugang für Forscher zu schaffen, um die zukünftige Gesetzgebung eventuell anzupassen.

Angst vor Nebenwirkungen und Hoffnung in die Industrie

So argumentiert Nadine Dorries, die zuständige Kulturministerin, dass ein gänzliches Verbot des Verkaufes von Lootboxen an Minderjährige auch Nachteile mit sich brächte: Einerseits würde die Zahl der Kinder steigen, die heimlich die Bankdaten ihrer unwissenden Eltern missbrauchten und andererseits würde ein solcher Schritt dazu führen, dass deutlich mehr Kinder und Jugendliche Gaming-Accounts mit falscher Altersangabe erstellten. Zudem scheint die Regierung Angst zu haben, als Reaktion auf ein entsprechendes Gesetz von Spielepublishern schlicht und ergreifend als Markt ignoriert zu werden und damit den eigenen Bürgern den Zugang zu vielen Spielen zu erschweren.

Our view is that it would be premature to take legislative action without first pursuing enhanced industry-led measures to deliver protections for children and young people and all players. We want to mobilise the industry’s creativity, innovation and technical expertise to deliver tangible progress, improving at pace protections. If this does not happen, we will not hesitate to consider legislative change.

Nadine Dorries, Kulturministerin des Vereinigten Königreichs

Stattdessen appelliert Dorries an die „Kreativität und die Innovationskraft“ der Spieleindustrie. Eine Entwicklung weg von Lootboxen hin zu anderen Monetarisierungs­mechanismen sei derzeit bereits zu beobachten. Tatsächlich stellen immer mehr Publisher das Verkaufskonzept von Beuteboxen auf Season Passes um, wie etwa zuletzt für Overwatch 2 angekündigt. Das wiederum liegt aber nicht daran, dass die Industrie aus freien Stücken zur Moral gefunden hat, sondern die Erkenntnis einsetzte, dass mit Season Passes potenziell mehr Geld zu verdienen ist.

Lootbox-Gesetze sind in zahlreichen Ländern ein Thema

Falls jedoch die neuen Richtlinien keine Wirkung zeigen und sich die begonnene Entwicklung weg von Lootboxen entschleunige, beschwichtigt die Regierung, könne immer noch per legislativer Regulierung reagiert werden. Geschehen ist das beispielsweise bereits in Belgien, wo Beuteboxen bereits im Jahr 2018 als Glücksspiel eingestuft wurden. Im Vereinigten Königreich sehe das Ministerium zwar auch einen Korrelation zur Spielsucht, die den Entscheidern von insgesamt 15 unabhängigen per Peer-Review kontrollierten Studien bestätigt wurde – und diese Erkenntnis ist nicht neu –, aber eine entsprechende Kausalität sei weiterhin fraglich.

Lootboxen sind in vielen Weiteren Ländern derzeit Gegenstand einer politischen Debatte. Erst letzten Monat forderte der norwegische Verbraucherschutz eine Regulierung und in Deutschland soll eine Anpassung des Jugendschutzgesetzes helfen. In den Niederlanden wiederum stellte sich das oberste Gericht Anfang des Jahres beim Streit um Lootboxen in FIFA-Spielen auf die Seite von Publisher EA, nachdem das Land seit 2018 gegen Beuteboxen vorgeht.

Das Problem ist die fehlende Handhabe: In den meisten Staaten sind die aus dem 20. Jahrhundert stammenden Glücksspielgesetze nicht auf der Höhe der Zeit, haben klassische Kasinos vor Augen und setzen für Glücksspiel beispielsweise den möglichen Gewinn echten Geldes voraus. In Belgien wiederum verweist der Gesetzgeber darauf, dass ein solcher Gewinn auch lediglich ideeller respektive emotionaler Natur sein kann – damit greifen bestehende Gesetze auch bei Lootboxen.