H4 kann nicht guten Gewissens gesenkt werden, das sieht man z.B. an solchen Schilderungen wie sie @dacapo gepostet hat (WEZ Auszüge in Post #19). Ich komme damit momentan gut zurecht, aber das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich keine Familie habe, und das bedeutet eine Menge an unnötigen Anschaffungen, die ich nicht irgendwie finanzieren muss (damit z.B. der "Haussegen" nicht irgendwann schief hängt).
Und dann wundert man sich, dass Leute, die laut definition kurz oberhalb des Existenzminimums leben, keine Jobs annehmen, die dann einfach nur ein bisschen besseres Überleben garantieren?
Amazon zahlt €1200 (ich hoffe mal, dass damit netto gemeint ist)? Ich habe keine Ahnung, warum sie so wenig zahlen aber es ist ganz sicher nicht davon unabhängig, wie viel vom Reingewinn NICHT reinvestiert werden kann, weil es eben im Lebenstil der Chefs und Aktionäre versickern soll.
Steuerhinterziehung muss sich zuallererst LOHNEN.
Wenn ich dabei an meine eigene ESt denke (bin leider als "freiberuflicher" Musiker beim Finanzamt gemeldet, obwohl ich damit seit Jahren tatsächlich kein Geld verdiene), die ich scheinbar ganz unabhängig davon abgeben muss, ob ich momentan Hartz4 beziehe. Ich mache brav meine Steuererklärung, bekomme kurze Zeit später einen Steuerbescheid mit ein paar Nullen und ausser ein bisschen Arbeit für mich und den Sachbearbeiter hatte das für Niemanden einen Effekt.
Ich frage mich regelmäßig, wozu ich den Scheiß eigentlich mache, und dann steht für mich aber auch sofort die Erklärung im Raum. Ich tue das, damit das Finanzamt mich nicht pauschal veranlagt - mit nur einem solchen Steuerbescheid wäre ich nämlich auf Jahre hinaus Pleite, denn die veranlagen nach Jahreseinkommen, die zumindest ich bisher noch in keinem einzigen Jahr hatte - und sie holen sich die Kohle SOFORT vom in der Steuererklärung angegebenen Konto.
Als Großverdiener sieht die Geschichte anders aus: Da macht man die Steuererklärung doch irgendwie auch aus dem Grund, allerdings wäre es für einen Großverdiener meist auch kein Problem, wenn er mit einem Jahreseinkommen von €500000 besteuert würde, zahlbar wäre das für ihn. Für den geht es darum, dass er eben einfach nicht mehr zahlen möchte, als UNBEDINGT notwendig.
Was ich damit sagen will, Ich (als Freiberufler OHNE Einkommen) bin aus ganz anderen Gründen zu einer Steuererklärung gezwungen, als z.B. eine Alice Schwarzer. Steuerhinterziehung? bei den paar Kröten um die es da bei mir (und den meisten Kleinverdienern geht), ist das Risiko viel zu hoch. Allein die Anwaltskosten übersteigen den Profit, den ich daraus ziehen könnte, um ein Vielfaches (tatsächlich übersteigen die bei immer mehr Leuten das tatsächliche Einkommen). Genau der gleiche Posten kommt jemandem, bei dem es bei der Entscheidung für/wider Steuierhinterziehung um Millionen geht, einfach nur vor wie Peanuts - da ist es auch egal, dass sich die Entgelte von Anwälten am Streitwert bemessen. Denn auch da gibt es ein Minimum in der Art der Abbuchungsgebühren bei Geldautomaten - die Formulierung: "10% des Betrages, jedoch mindestens €5,-" kann das mMn verständlich machen.
O-Ton meine Mutter (war Rechtsanwältin): "Ich habe auch schon wegen €15 geklagt, aber das ist nach Tabelle für den Mandanten eben nicht billiger, als wenn ich für €500 oder €1000 Klage - sowas sollte man als Mandant nur dann erzwingen, wenn man gute Chancen sieht, den Fall auch zu gewinnen. Da zahlt dann nämlich die Gegenseite - auch mein Entgelt".
Wenn ich mich dazu ohnehin nackig machen müsste, hole ich mir doch keinen Anwalt, der dann dafür sorgt, dass mich kein anderer komplett auszieht - daher vermeide ich selbstverständlich auch Situationen, in denen genau das nötig werden könnte - und DESWEGEN mache ich regelmäßig als Hartz4-Empfänger eine Einkommensteuererklärung für Freiberufler.
Obwohl ich mich als H4ler auch drauf verlassen kann, dass ich diese Kosten nicht selber tragen muss (Beratungshilfeschein und PKH gibt's gegen den H4-Bescheid quasi gratis, solange überhaupt jemand Chancen sieht).
Es stimmt, jemand der sich Sozialleistungen erschleicht, hinterzieht Steuern (er tut das nur auf Umwegen), aber ich wette, wenn man diese Steuerhinterziehung mit dem vergleicht, was Reiche, Prominente und Politiker offensichtlich fast gewohnheitsmäßig treiben, da sieht man die Soozialschmarotzer an ganz anderer Stelle.
100 Millionen durch Steuerhinterziehung. knapp 25 Millionen für Hartz4. Angenommen ALLE diese "Sozialfälle" hinterziehen Steuern in dem sie sich die Leistungen erschleichen. Wo ist da die Relation? 2,5% der Bevölkerung sind für 1/4 des staatlichen und gesellschaftlichen Schadens durch Steuerhinterziehung verantwortlich, und der Rest (immerhin 3/4 des Schadens) sind eben NICHT die übrigen 97,5% sondern ein wahrscheinlich noch kleinerer Teil, für den sich die Steuerhinterziehung und das damit verbundene Risiko viel mehr lohnen.
Da brauchen wir definitiv Kontrollen, aber gerade am unteren Rand der Einkommenspyramide die Leute so zu entmündigen, das ist ähnlich unsäglich, wie @Onkelhitmans Total-Enteignung der größten Hinterzieher. Auch wenn ich denke, dass das eigentlich die einzige Möglichkeit wäre, diese Leute von Steuerhinterziehungen im großen Stil abzuhalten (wahrscheinlich würden die es aber eher einem Schumi gleichtun, schließlich kann man sich ab einem gewissen Einkommen/Kontostand auch ein Stückweit aussuchen, WO man seine Steuern zahlen möchte).
Da entsteht zumindest bei mir der Eindruck, dass es gerade die Hartz4 Empfänger besonders hart treffen wird, da die eigentlich komplett wehrlos sind (sie können sich ihrer Verantwortung zumindest schonmal nicht so komplett entziehen, wie das ein Schumi konnte). Nicht weil sie die Hauptverantwortlichen wären, sondern einfach weil die sich dem nicht so einfach entziehen können.
Soziale Gerechtigkeit sollte doch irgendwie schon anders funktionieren, als sich gerade den Sündenbock rauszupicken, der im übertragenen Sinn nicht mal Beine zum Abhauen hat - oder liege ich da ganz falsch?
Sollte ich vielleicht mal zum Therapeuten, weil ich ganz offensichtlich nicht fähig bin, jemanden, der ohnehin schon am Boden liegt weiter zu teten?