Nossi
Captain
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"Viele haben nie (...) geglaubt, dass man mit Monetarismus die Inflation bekämpfen kann. Allerdings erkannten sie, dass [der Monetarismus] sehr hilfreich sein kann, die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Und die Erhöhung der Arbeitslosigkeit war mehr als wünschenswert, um die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen. [...] Hier wurde - in marxistischer Terminologie ausgedrückt - eine Krise des Kapitalismus herbeigeführt, die die industrielle Reservearmee wiederherstellte, und die es den Kapitalisten fortan erlaubte, hohe Profite zu realisieren." - Sir Allan Budd (britischer Notenbänker), 2003.
"Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt"
- Gerhard Schröder, 2005
Vorherige Woche war in den Nachrichten zu erfahren, dass deutsche Rentner ein Problem mit Altersarmut haben. Und das trotz der "Riester"-Reformen, durch die Menschen sich privatwirtschaftlich (das behalte man für später im Hinterkopf) zusatzversichern sollen.
Am vergangenen Mittwoch, dem 12.9.2012 sind in einer pakistanischen Textilfabrik 259 (andere Quellen sprechen von über 300) Arbeiter (auch) aufgrund schlechter Arbeits- und Sicherheitsbedingungen verbrannt. Unter anderem waren Notausgänge mit Waren versperrt, Türen verriegelt, Fenster vergittert. Am gestrigen Dienstag, dem 18.9.2012 gab KiK bekannt, dass die Fabrik Waren für die Kette gefertigt hat.
Ebenfalls am Dienstag, den 18.9.2012 veröffentlichte die Bundesregierung den 4. Reichtums- und Armutsbericht. Darin zu lesen ist, dass die oberen Zehntausend, wie sie ja gern genannt werden, ihren Anteil am Nettoeinkommen gegenüber den Vorjahren noch steigern konnten. Der Wohlstand in Deutschland ist gewachsen, profitiert von diesem Wachstum haben die Wohlständigen.
Seit 2008 befinden wir uns in der größten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren. Auch das ist jeden Tag in der Zeitung zu lesen. Länder wie Griechenland, Spanien, Portugal, Italien oder Irland stecken so tief in den Schulden, dass befürchtet wird, dass sie den kompletten Euroraum mit in die Tiefe ziehen können.
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Ich hab lang überlegt, ob ich dazu was schreiben sollte, weil ich mich eh nur wieder aufrege, aber in den letzten Tagen bekam ich gleichzeitig von unterschiedlichsten Seiten soviele Infos und Nachrichten, die sich in meinem Kopf zu einem Gesamtbild formten, dass ich einfach nicht drum umhin komme, etwas dazu zu schreiben.
Jeden Tag wird uns suggeriert, dass wir uns in der Krise befänden. Wir bauen unseren Sozialstaat ab, wir retten Banken mit Steuergeldern. Wir zahlen Praxisgebühr, unsere Krankenversicherungen haben sich verteuert, die Mehrwertsteuer wurde angehoben. Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, bekommen so wenig, dass sie vom Amt Zuschüsse bekommen müssen, um auf Hartz IV-Niveau zu kommen. Der Kündigungsschutz wurde gelockert. Die Anzahl derjenigen, die sich von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten schlagen müssen und so niemals eine langfristige Gehalterhöhung erfahren ist dank der Liberalisierung des Arbeitsmarktes enorm gestiegen. Discounter entlassen ihre komplette Belegschaft, um sie anschließend in einer eigens gegründeten Leiharbeitsfirma wieder anzustellen. Diese Menschen machen den selben Job wie zuvor, nur zu schlechteren Arbeits- und Lohnbedingungen.
Die sogenannte "sozial schwache" Schicht in Deutschland bekommt so wenig Gehalt und Sicherheit in ihrem Arbeitsverhältnis, dass sie sich nur die billigsten Waren und Produkte leisten können. Diese Produkte werden von Menschen verkauft und hergestellt, die noch weniger verdienen und zu noch unwürdigeren Arbeitbedingungen gehalten werden. Und dann wundern wir uns, dass KiK seine Waren aus pakistanischen Fabriken bezieht, deren Arbeitsbedingungen so unzumutbar sind, dass solche Unglücke wie das jüngste geschehen. Manche Kommentatoren schieben die Schuld jetzt den KiK-Kunden und der "Geiz-ist-Geil"-Mentalität zu. Aber ist es wirklich die Schuld der KiK-Kunden? Oder ist die Verantwortung eher bei denen zu suchen, die Menschen zu solchen Bedingungen anstellen, dass diese genötigt werden, bei solchen Billigketten einzukaufen?
Die Finanzdienstleistungsbranche boomt. Casten Maschmeyer hat es so formuliert, dass diese Branche auf einer Ölquelle säße. Warum? Weil wir unsere staatliche Altersversorge zugunsten von Riester-Rente abgebaut haben. Uns wurde suggeriert, dass dieser Schritt notwendig wäre, trotzdem - oder grade deswegen - müssen wir uns heute mit der Problematik der Altersarmut beschäftigen. Allein die Verwaltung der privaten Altersvorsorge kostet ein 10-faches dessen, was das staatliche Pendant verschlungen hat - Nicht mehr wir profitieren von unserer Altersvorsorge, sondern private Unternehmen. Und flankiert wurde das ganze von einem Gerhard Schröder, einem Kanzler der SPD(!), der sich an anderer Stelle dafür rühmte, einen großen Niedriglohnsektor in Deutschland geschaffen zu haben.
Man lasse sich mal auf der Zunge zergehen, was das heißt: Es gibt Menschen, die Arbeiten 40 Stunden oder mehr in der Woche und bekommen dafür so wenig Lohn, dass sie weder jetzt davon Leben können, noch genug in die Rentenkasse einzahlen können, dass sie später davon leben können werden. Diese Leute werden nun zusätzlich bestraft, weil sie finanziell einfach nicht in der Lage sind, sich privatwirtschaftlich (d.h. freiwillig) zusätzlich zu versichern. Und am Ende geht man hin, nennt das ganze "Altersarmut" und wundert sich, woher das kommt, während man gleichzeitig die Segnungen des Niedriglohnsektors feiert und für diese Altersarmut erst verantwortlich ist.
Das alles passiert vor unserer Nase und doch lassen wir uns erzählen, wir müssten weiterhin die Sozialausgaben kürzen, den Arbeitsmarkt liberalisieren, noch mehr Menschen im Niedriglohnsektor anstellen. Wie kann es sein, dass wir all das brav schlucken, weil wir uns angeblich in der größten Finanzkrise seit 80 Jahren befänden, während gleichzeitig der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung offenlegt, dass das Vermögen in Deutschland nie ungleicher verteilt war. Dass die Reichen niemals reicher und die Armen niemals ärmer waren.
Wir befinden uns in einer Abwärtsspirale, in der die schlechten Beschäftigungsverhältnise der einen dazu führt, dass andere noch schlechter beschäftigt werden. Weil wir uns nur noch Aldi und KiK-Produkte leisten können, müssen andere zu Löhnen arbeiten, die noch niedriger sind. Und wieder andere müssen dafür in Fabriken zu menschenunwürdigen Bedingungen schuften und - im schlimsten Falle - verunglücken. Die Schuld dafür wird den KiK-Kunden gegeben, während BILD und Co. weiterhin negative Stimmung gegen Hartz-VI Empfänder, Ausländer und Co. macht, um von den wahren Profiteuren abzulenken - nachzulesen jeden Tag im Bildblog.
Aber warum wehren wir uns nicht dagen, wo dass doch alles offensichtlich wird? Weil wir Angst um unsere Jobs haben, Angst um unsere Zukunft, Angst um unseren sozialen Status. Und damit komme ich zum zweiten Zitat von oben: Es ist gewollt, dass es einem Teil der Menschen in Deutschland schlecht geht. Und es ist gewollt, dass diese durch die Medien ins soziale Abseits gedrängt werden. Denn so wird Druck ausgeübt auf die, die sich noch nicht auf dieser Stufe des gesellschaftlichen Hackordnung befinden. Wir arbeiten brav und lassen uns diktieren was wir zu tun und zu denken haben. Wir wehren uns nicht gegen immer weitere Kürzungen, immer schlechtere Lebens- und Arbeitsbedingungen, sind froh, dass wir überhaupt einen Job haben. Weil uns tagtäglich die negativen Beispiele vor Augen geführt werden und uns eingebläut wird, ja niemals so zu werden, wie denen, die ganz unten angekommen sind.
Viele buckeln, damit wenige im Reichtum leben. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber der Zynismus, mit dem diese Entwicklung in den letzten Jahren weiter auf die Spitze getrieben wird, erschreckt mich doch. Und nun, wo wir jeden Tag immer neue Höhepunkte der Finanzkrise erleben, hören wir auf der anderen Seite, dass es den Großverdienern des Kapitalismus niemals besser ging. Wenn wir jetzt nicht aufwachen, wann dann?
Doch was muss in Deutschland passieren, um diese Entwicklung umzukehren? Oder sind das alles nur "gewagte Thesen und Spinnereien" von einem, der es nicht besser weiß?
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