Entfremdet die Arbeit den Menschen oder ist das alles nur marxistisches Gequatsche?

Wir drehen uns wieder im Kreis!

Marx hat nie gesagt, und das formuliere ich hiermit zum dritten Mal, dass die Arbeit als solche abgeschafft werden soll.

Ich habe mit einem Kollegen im Zusammenhang einer Diskussion zur Spaßgesellschaft innerhalb des Philosophie-Unterrichts folgendes beigetragen:

>> Wir führen die Spaßgesellschaft zurück auf die Mentalität des Lohnarbeiters/-angestellten, dem die Identifizierung mit seiner Arbeit immer mehr entweicht; der Zweck des Arbeitens beschränkt sich für ihn auf die Sicherung seiner Existenz, seines Lebens, doch was konkret definiert er als Leben?

Als Leben definiert er seine Freizeit, seine Arbeit nimmt immer mehr die Rolle einer Last an, ein lästiger Zwang, um die Freizeit finanzieren zu können. Von nicht wenigen Stimmen nimmt man den Ausblick zur Pensionierung war, nach der „die mich alle am Arsch lecken können!“.

Dabei ist Arbeit wichtigster Bestandteil menschlicher Existenz, sie zeichnet den Menschen aus. Die Flucht vor dieser ist eine Flucht vor der eigenen Identität, eine Flucht in eine Scheinwelt.

Das ursprüngliche Problem, dass unserer Analyse nach zu Anfang steht, ist der Kapitalismus.
Der Arbeiter arbeitet an ihm fremden Produktionsmitteln (Maschinen), die ihm der Kapitalist nur geliehen hat. Er produziert Waren, zu denen er keinerlei Bezug hat. Sie gehören dem
Kapitalisten. Das Resultat dessen ist die Tatsache, dass der Arbeitende sich nicht in seinen Produkten identifiziert, und somit auch nicht mit seiner eigenen Arbeit selbst. Sie ist ihm entfremdet. [...] <<
 
Und genau der Abschnitt, den du am Schluss zitiert hast, kann entweder stimmen oder auch totaler Schwachfug sein. Dazu ein Beispiel: Der Arbeitnehmer wünscht sich einen Job, der ihm Spaß macht und in dem er sich mehr oder weniger gut verwirklichen kann. Bei dem einen ist das die Schauspielerei, bei dem anderen ist es das Programmieren. Der Mensch weiß, dass er arbeiten muss. Und vielleicht will er sogar arbeiten. Hauptsache ist dabei, dass die Arbeit Laune macht.

Das Resultat der Arbeit kann dabei möglicherweise fast schon vernachlässigt werden. Was spielt es für eine Rolle, ob das produzierte Gut nach seiner Erstellung mir oder dem Unternehmer gehört? Das Produkt wird sowieso verkauft und gegen Geld getauscht. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Als Arbeitnehmer kann ich mir einen Kopf darüber machen ob ich nun meine Arbeitszeit an den Unternehmer verkauft habe oder das fertige Produkt, das ich aus den zur Verfügung gestellten Materialien gefertigt habe. Es könnte mir als Arbeitnehmer auch völlig gleichgültig sein, solange am Ende des Monats die Überweisung kommt, für die ich gearbeitet habe.

Eine zugegeben eher pragmatische und weniger philosophische Betrachtung.
 
keshkau schrieb:
Und genau der Abschnitt, den du am Schluss zitiert hast, kann entweder stimmen oder auch totaler Schwachfug sein. Dazu ein Beispiel: Der Arbeitnehmer wünscht sich einen Job, der ihm Spaß macht und in dem er sich mehr oder weniger gut verwirklichen kann. Bei dem einen ist das die Schauspielerei, bei dem anderen ist es das Programmieren.

--> Und der Schauspieler ärgert sich am Ende, weil bei dem Film am Ende doch nicht das rauskam (oder rüberkam) was er wollte, nun hat er aber keine Möglichkeit, noch etwas zu beeinflussen, der film ist fertig abgedreht und er wird nichts tun können, produzent und regisseur noch einmal davon zu überzeugen, ein paar szenen zu ändern, nachzustellen etc.
Der fertige Film ist ihm ENTFREMDET weil er keinerlei "verfügungsgewalt" darüber mehr hat, er kann sich höchstens entscheiden, das näxte mal nein zu diesem regisseur zu sagen und es mit jemand anders zu probieren.

--> Der Programmierer hatte so eine tolle Idee für ein einfaches systemtool für windows und nun wurde seine kleine fünfmannfirma von einem großen softwarekonzern geschluckt und die patente/rechte liegen bei diesem konzern, er hat keine möglichkeit mehr einfluß auf die entwicklung zu nehmen... (ENTFREMDUNG)
(hoffentlich fängt er nun an, sich ab jetzt in der opensource gemeinde zu engagieren, aber davon fliegen die brötchen einem ja auch nicht ins haus)

Auch nur mal zwei Beispiele wie es laufen könnte und ich denke eher häufiger passiert eben so etwas, als dass am ende alle beteiligten (die mit der verfügungsgewalt = Produktionsmittelbesitzer und die "entfremdeten" arbeiter) super zufrieden sind.

Außerdem sind natürlich schauspieler als beispiel dahingehend nicht so angebracht weil sie aus dem schema besitzende vs. besitzlose (produktionsmitteleigentum) bei großem ruhm ein wenig rausfallen aufgrund der höhe ihrer gagen.
und vor allem: wieviel vermögende schauspieler gibt es weltweit und wieviele lohnarbeiter, die in fabriken "schuften"?

keshkau schrieb:
Hauptsache ist dabei, dass die Arbeit Laune macht.

und auch das ist eben noch zu klären, wievielen macht sie denn spaß?
wieviele würden z.b. gern hier mitdiskutieren, haben aber weder die zeit noch möglichkeit dazu? (seien es lohnsklaven in den freihandelszonen der sog. dritten welt oder arbeitslose/obdachlose/freizeitlose(im wahrsten sinne des wortes) an den "randzonen" der industrienationen)

keshkau schrieb:
Eine zugegeben eher pragmatische und weniger philosophische Betrachtung.

Eben, eben. Pragmatismus ist halt leicht mit gegenbeispielen widerlegt und so drehen wir uns mit ewigen beispielen und gegenbeispielen im kreis, eine (möglichst) objektive analyse und darausfolgende schlußfolgerung wird so niemals stattfinden.
das meinte ich auch in meinem vorherigen post mit den totschlagargumenten, solche einzelfallbeispiele bringen "uns" halt in einer möglichst objektiv gehaltenen theoretischen diskussion nicht weiter.
(Hej, das soll jetzt bitte nicht als maßregelung bezüglich eurer meinungen verstanden werden, Bitte!)
Es ist halt sehr schwierig, eine vormachtstellung bezüglich der meinung zu arbeit aufzubrechen und zu kritisieren, wenn die mitdiskutanten "so sehr im system verfangen" sind.

greetz AntiKap

P.S.: Ich hoffe wirklich ihr empfindet die letzten worte nicht als persönliche anmache. es ist echt schwierig bei dem thema argumente nicht zu subjektivieren!
 
Zuletzt bearbeitet:
1. Den Schauspieler würde ich nicht als Lohnabhängigen bezeichnen. Er ist gewissermaßen selbstständiger Künstler; und dessen Arbeitsfreiheit wird im Sozialismus für jeden Menschen ideologisiert.
2. Dem Arbeiter gehören wird die Ware im Endeffekt nicht. Aber das ist auch garnicht von Belang: Der Punkt ist, dass diese (Ware) im Interesse Seinesgleichen und nicht im Interesse einiger Weniger weiterverwendet werden sollte.

Wir leben doch in einer Demokratie, meine lieben Mitbürger. In dieser, so wird gesagt, soll die Macht vom Volke ausgehen.
Die Wirtschaft allerdings scheint in unserer Gesellschaftsordnung wie eine fremde neben dem Parlament dastehende wildwüchsige Macht. Sie wird nicht vom Volke beherrscht; nein, diese Macht konzentriert sich in den Händen einiger Weniger, den Kapitalisten.

Somit ist die Freiheit in unserem System auch nur vorgegaukelt: Wie wir nach Dahrendorf wissen, zwingen gesellschaftliche Normen das Individuum, sich diesen anzupassen; die individuelle Entfaltung ist somit in jedem Fall eingeschränkt. Schlimmer aber wird es dann, wenn diese gesellschaftlichen Normen (und auf diese hat die Wirtschaft nicht wenig Einfluß) von einigen Wenigen diktiert werden, und nicht, wie es in der so gelobten Demokratie sein sollte, von der Gemeinheit aus.
 
@AntiKap
Du versuchst, die von mir vorgebrachten Beispiele zu transformieren, um den Tatbesstand der Entfremdung zu begründen. Das ist auch nicht schwer. Allerdings geht es weniger darum, wie wenige "freie" Schauspieler es gibt und im Gegensatz dazu wie viele abhängige Knechte. Denn die Diskussion ist eine grundsätzliche. Und wenn man dem Gedanken der Entfremdung folgt, dann ist ausnahmslos jede Art der abhängigen Beschäftigung der Entfremdung unterworfen. Wenn man dem folgt, dann genügt bereits ein einziges Gegenbeispiel, um diese Seifenblase platzen zu lassen. Und so darf ich sehr wohl fragen, inwieweit ein Tom Hanks oder ein Mel Gibson von seiner Arbeit entfremdet ist. Schließlich arbeitet er auch für einen Lohn und hält sein Gesicht in die Kamera. Wenn es Dir nicht gelingt nachzuweisen, dass auch diese beiden Schauspieler, oder meinetwegen auch ein Michael Schumacher, in seiner Arbeit entfremdet ist und dass dies darüber hinaus ein Umstand ist, den es abzuschaffen gilt, dann hast Du schlechte Karten.

Denn dann würde ich hingehen und behaupten, dass längst nicht jede abhängige Beschäftigung das "böse" Merkmal der Entfremdung in sich trägt.
 
@willi42
bloß ist das "lustige" dabei, dass spiele wie wow erst dadurch entstehen, dass sich leute (hier programmierer) eben an bestimmten zweigen des berufslebens beteiligen und dann, weil sie gewinnorientiert etwas produzieren, dann eben auch solche ghuls mithelfen zu produzieren, die dann den ganzen tag in der wow-landschaft verbringen.

im übrigen hat wow spielen mit entfremdung wie es bei marx verstanden wird überhaupt nichts zu tun, denn bei wow-süchtigen handelt es sich um realitätsverlust wohingegen der terminus "entfremdung" einen realitätsbezug meint, der aber, durch die unvernünftigkeit der realität selber, korrumpiert ist.
 
Das Beispiel des "WoW-Zockens" ist eine Bestätigung für unsere These über die Spaßgesellschaft (#201).

Der Mensch flüchtet sich in eine Scheinwelt, weil er sich durch seine Arbeit nicht verwirklichen kann.
 
Ich denke, dass Deine These auf wackeligen Beinen steht. Denn ebenso gut kann ich argumentieren, dass die Spaßgesellschaft nur dadurch möglich wurde, dass wir im Gegensatz zu früher (z. B. zu der Zeit von Marx) deutlich weniger arbeiten. Erst die 40-Stunden-Woche bzw. die 5-Tage-Woche in Verbindung mit häufig kurzen Anfahrtswegen zur Arbeit ermöglicht es uns, die Freizeit intensiver zu erleben und aktiver zu gestalten.

Ob damit ein ewiger menschlicher Traum verwirklicht werden konnte oder ob die Beziehung zu unserer Arbeit die Ursache dafür ist, bleibt Spekulation, solange Du nicht mehr auffahren kannst, um Deine Behauptung zu stützen.
 
Es gibt die These übrigens, dass eben NUR noch die Spekulation oder das spekulative Denken heute in der Lage ist richtige Gedanken zu denken weil eben nur spekulatives Denken es vermag gegen das eingefahrene und positivistische Denken anzudenken und gegen die "Entfremdung"/"Verdinglichung" des Denkens.
 
Ich belasse es mal mit dem Hinweis darauf, dass es nur eine von mehreren möglichen Theorien ist. Damit erspare ich mir Vorträge über die Unterscheidung zwischen analytischem und analogem Denken in der Kognitionspsychologie und über die Erkenntnisse der Sozialpsychologie über die soziale Kognition und all das andere Zeug.

Es kann unbestreitbar eine kulturelle Prägung des Denkens geben, warum also nicht auch eine systembedingte? Das hindert mich aber nicht daran, die Augen zu schließen und vor mich hin zu denken. Bei Leuten wie Platon, Kant und Einstein hat es schließlich auch funktioniert. Sie haben Neues gedacht, das weit über das hinausging, was man gemeinhin für denkbar hielt.

Das wird wohl an ihrer mangelnden Entfremdung gelegen haben.
 
Die Entfremdung fehlt doch nicht nur bei weltgeschichtlichen Vordenkern, auch in der heutigen Zeit können sich viele mit Ihrer Tätigkeit identifizieren, ich jedenfalls tue das.( Eigenlob ich weis)

Anderes Beispiel, fragt man die Leute die am Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden mitgearbeitet haben so wird man nur stolze Worte über das erreicht hören. Will sagen die Leute sind nicht entfremdet von ihrer Arbeit, obwohl sie einfache Bauarbeiter sind( nicht abwertend gemeint).

Was hier geschieht ist doch das alle über einen Kamm scheren und das hat Marx garantiert nicht gemeint.
 
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