BoardBricker
Lt. Commander
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Bestehende Infrastruktur ist das eine, neue Glasfaserleitungen z.B. das andere. Gibt ja einen Grund, warum kleine Dörfer erst ganz zum Schluss dran kommen, nämlich die Kosten. Die öffentliche Hand kann sich bei bestimmten anderen Dingen nicht aus der Affäre ziehen und muss manche Leistungen erbringen, kostet uns alle dann mehr Geld, was man mit anderer Siedlungsstruktur nicht bräuchte. Und im Falle des Notarztes muss man auch erstmal jemanden haben, der den Job macht, beim klassischen Landarzt ist das Problem noch viel schlimmer. Mit viel Geld, was man auch erstmal haben muss und nicht anderweitig besser ausgeben kann, kann man nicht jedes Problem lösen. Eben deswegen sehe ich Gesprächs- und Handlungsbedarf, wobei das regional sehr verschieden ist.Bigeagle schrieb:Ein Notarzt, Straßen, Strom und ein kleiner Bus kosten nicht so viel dass man in einem solchen Land gänzlich 'tote Flecken' entstehen lassen sollte.
Das soll kein Plädoyer für Zwangsurbanisierung hin zu reinen Metropolregionen sein, aber man muss halt einfach gewissen Umständen Rechnung tragen: manchernorts ist die Grundversorgung durch Personalmangel bedroht, die öffentlichen Kassen leer und privatwirtschaftliche Investitionen unattraktiv. Gleichzeitig hat das Land im Bereich Infrastruktur/Bau großen Aufholbedarf, aber nicht genug Geld, um auch in Hintertupfingen jeden Bauernhof mit Glasfaseranschluss zu versorgen, die Elektrizitätsnetze zu modernisieren und den ÖPNV auszubauen.
Ich würde mir einfach eine ehrliche Sachdebatte wünschen, ab welchem Punkt man Siedlungen (die berühmten Ödlanddörfer Brandenburgs ) aus infrastrukturellen und volkswirtschaftlichen Gründen besser aufgeben sollte und wie das so gehandhabt werden kann, dass nicht der kleine Mann zum Verlierer wird, während man ihn retten will. So wie ich als juristischer Laie das GG verstehe, hat der Staat die Aufgabe, im ganzen Land für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Dass man immer nur vom "Aufbau Ost" (mittlerweile aber auch Ruhrgebiet und co.) und nie vom "Um- oder Abbau" gesprochen hat, war vielleicht nicht klug, bewerten sollen das Fachleute. Ist das Ziel vorgegeben, aber die Mittel begrenzt, muss man gut über die Methode nachdenken. Wenn gezieltes Umsiedeln dazu führt, dass man mit weniger Geld mehr erreicht, sollte das eine ernsthafte Option sein.
Ehrlich gesagt weiß ich über die Region Ahrtal viel zu wenig, um mir da eine definitive Meinung erlauben zu wollen. Es wäre aber eine wirklich gute Gelegenheit gewesen, gerade weil eben an manchen Stellen der Zerstörungsgrad so hoch war, dass man punktuell von der Stunde Null sprechen kann, mal ein paar Grundsatzfragen durchzudeklinieren, die uns so oder so bald einholen werden:Bigeagle schrieb:Wie man da auf die Idee kommt dort nicht wieder aufzubauen ist mir schleierhaft.
- Wo und wie hat im Angesicht des Klimawandels Städtebau stattzufinden?
- Welchen Mindeststandard an Infrastruktur und Grundversorgung muss ein Ort in Deutschland im Jahr 2022 zwingend haben und was ist nur nice-to-have?
- Wie kann das vorhandene Geld möglichst vernünftig eingesetzt werden?
Mal ein kleines Beispiel worauf ich hinaus will:
Stellen wir uns eine Straße vor, beidseitig mit Einfamilienhäusern bebaut, jedes Haus mit 10m Straße.
Alles komplett weggespült. Schlimm genug und wir hoffen, dass dabei niemand zu Tode gekommen ist.
Verständlicherweise will der Staat beim Wiederaufbau helfen, muss jetzt also einerseits Infrastruktur wiederherstellen, andererseits beim privaten Hausbau finanziell unter die Arme greifen.
Vor wenigen Jahren hieß es vom NRW-Finanzministerium laut Presse, Straßenbau kostet pro m ca. 10k €, hoffentlich stimmt die Zahl.
In meinem Beispiel wären das pro Haus (10m geteilt mit Nachbar gegenüber) 50k €. Wäre ich Finanzminister, würde ich jedem Haushalt, der andernorts an einer bestehenden Straße neu baut oder kauft, aus den gesparten Infrastrukturkosten die Hälfte abgeben und die andere Hälfte behalten. Spart Geld und Zeit.
Klar, dann müssten die Leute aus den Überresten ihres Wohnortes wegziehen und hätten nicht den neusten Stand bei allen Arten von Leitungen, die man jetzt in den Boden legen würde, dafür aber dringend benötigtes, zusätzliches Geld.
Da gibt es sicherlich viel Pro und Contra, aber ich habe medial nur das Mantra wahrgenommen, nach Möglichkeit wieder den Ursprungszustand wiederherstellen zu wollen. Das ist wahlkämpferisch populär, bedeutet aber de facto, das wir unsere Lektion erst beim nächsten Mal lernen müssen, dann vielleicht härter und teurer.
Mag ja sein, dass der originalgetreue Wiederaufbau in den meisten Fällen die bessere Wahl ist. Was aber nicht sein kann, ist, dass es hier um viele Existenzen einerseits und viel Steuergeld andererseits geht und man keine breite Debatte vernimmt, was jetzt besser getan und was besser gelassen werden sollte.