Kreisverkehr schrieb:
Liquid Feedback war ein grandioser Fehlschlag,
Liquid Democracy ist sicher nicht unproblematisch und letztlich auf gewissen Eben auch nicht mehr ohne weiteres mit der parlamentarischen Demokratie unserer Verfassung vereinbar. (Allerdings hebeln die etablierten Parteien die parlamentarische Demokratie und Gewalteiteilung mittels Fraktionszwang auch schon immer aus. Siehe unten.)
Trotzdem halte ich Liquid Democracy für ein sehr interessantes Konzept, das man nicht einfach als gescheitert ansehen sollte, sondern darauf aufbauen und es weiter entwickeln.
Einfach nur direkte Demokratie in Form von Volksabstimmungen kann jedenfalls auch nicht der richtige Weg sein. Das scheitert an der allgemeinen Gleichgütigkeit (oder böse gesagt Blödheit) der Bevölkerung und halt auch schlicht und einfach daran, dass man auch bei bestem Willen kein Experte in jedem Fachgebiet sein kann. Man muss seine Stimme also deligieren können. Aber eben nicht pauschal an eine Partei, sondern themenbezogen jeweils an Experten seines Vertrauens, und man muss auch zwischen den Wahlen einem einzelnen Experten sein Vertrauen wieder entziehn können. Genau das bietet Liquid Democracy.
Die Piraten sind die einzige Partei, die mit solchen alternativen Ansätzen kommt, die wie gesagt sicher sicher nicht perfekt sind, aber wenn man sieht, dass die derzeitigen Methoden nicht funktionieren, muss man halt nach neuen Wegen suchen. (Das gilt z.B. auch beim umstittenen bedingungslosen Grundeinkommen. Daran kann man gut begründete Kritik üben, aber dass das derzeitige, auf Vollbeschäftigung aufbauende Sozialsystem früher oder später nicht mehr funktionieren kann, ist halt auch klar. Also muss man besser früher als später über Alternativen nachdenken.)
Bei solchen Sachen merkt man den Piraten an, dass sie eher aus der technischen, wissenschaftlichen Ecke kommen. Sie suchen systematisch nach Lösungen für Probleme. (Hat ein bisschen was z.B. von VDI 2222.
)
Die etablierten Parteien bestehen hingegen zum Großteil aus Anwälten. Die können nur gut Texte auswendig lernen und mitreißende Vorträge halten, aber systematische Analyse von Problemen und Lösungsfindung haben sie nie gelernt.
BTW: "Bundeskanzler" Gauck war vllt doch ne gute Formulierung, immerhin wird der bei uns ja nicht gewählt, sondern die Bundesversammlung ernennt ihn, wobei wir ja nichtmal die Bundesversammlung wählen um ihn repräsentativ wählen zu lassen. Im Endeffekt von des Kanzlers Gnaden erwählt, wenn man so will... Unfreiwillig gut, diese Bezeichnung (sie sie auch verkehrt)...
Dass der Bundespräsident in Deutschland nicht direkt vom Volk gewählt wird, hat seine Gründe. Das ist eine der Lehren aus der Weimarer Republik, wo der ziemlich mächtige Reichspräsident oft viel Schaden angerichtet hat. Ebenso wie der Kaiser vor ihm. Mit direkter demokratischer Legitimation hätte der Präsident als Staatsoberhaupt zu viel Macht. Es wäre nicht zu rechtfertigen, warum er nciht gleichberechtigt neben dem Bundestag steht und auf jeden Fall klar vor dem nicht direkt gewählten Kanzler und seinen Ministern.
Ich finde es ganz in Ordnung, dass der Bundespräsident größtenteils nur repräsentative Befugnisse hat. Deutschland soll eine parlamentarische Demokratie sein.
Allerdings finde ich auch, dass der Bundeskanzler und sein Ministerkabinet so wie es jetzt ist, ebenfalls viel zu viel Macht haben. Eigentlich sollte die alleinige oberste Instanz als direkt gewähltes Parlament der Bundestag sein. Die Regierung nur ausführende Gewalt, die die von den MdBs in freier, demokratischer Abstimmung beschlossenen Gesetze umsetzen muss. So sieht es unsere Verfassung eigentlich vor.
Aber wie oben gesagt, hebeln die etablierten Parteien das fröhlich aus, indem die Kanzler und Minister in aller Regel gleichzeitig auch die höchsten Parteiämter bekleiden und somit über die zu dieser Partei gehörenen Abgeordneten bestimmen. Der Bundestag ist dank Fraktionszwang nur noch ein Abnickverein der Regierung.
So können Bundeskanzler und Ministerkabinet darüber entscheiden, was Gesetz wird und was nicht. Sie sind praktisch ihr eigener Chef. Legislative und Exekutive in Personalunion. Klarer Verfassungbruch!
So kommt es auch zustande, dass sowas wie die Vorratsdatenspeicherung beschlossen wird, obwohl es dafür eigentlich keine Mehrheit im Bundestag geben sollte. Aber die SPD-Parteiführung hat sich halt in den Koalitionsverhandlungen mit der Unions-Parteiführung darauf verständigt und befiehlt ihren Abgeordneten, oft gegen deren Gewissen, dafür zu stimmen.
Es lebe die Demokratie, wo der Bundestag mit "Bauchschmerzen" den Polizeistaat abnickt...