Herdware
Fleet Admiral
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Kreisverkehr schrieb:witzigerweise machst du Werbung für die Piraten, die basisdemoratische Ansätze haben (und unabhängig von Parteizugehörigkeit!) und widersprichst dem System dann?
Das Problem ist, ein praktikables System direkte Demokratie zu finden. Einfach nur zu allem allgemeine Volksbefragungen zu machen, mit einer Ja/Nein-Frage auf einem Stimmzettel, das hat gravierende Nachteile.
Das Beispiel Brexit bzw. Pro-Contra EU ist eigentlich noch nicht mal ein Extremfall. Es geht da um ein Thema, das alle angeht, alle interessieren sollte und es ist eigentlich gar nicht so furchtbar viel verlangt, sich ausreichend dazu zu informieren und so eine fundierte Meinung zu bilden.
Der aller größte Teil der Gesetze, die tagtäglich erarbeitet und entschieden werden, sind aber viel spezieller und erfordern wesentlich mehr Fachwissen, das man sich als Otto-Normalbürger nicht mal eben in alles einlesen kann. Viele Gesetze/Entscheidungen betreffen auch nicht die gesamte Bevölkerung, sondern nur bestimmte Gruppe (was sie ja nicht unwichtiger macht) usw.
Wie gesagt, man kann und will gar nicht bei allem persönlich mitentscheiden. Ich kann nicht mitentscheiden, wenn es um Wasserwegerecht geht, oder um Grunderwerbssteuern oder was weiß ich. Aber dann einfach nicht an der entsprechenden Volksbefragung teilzunehmen, ist auch keine Lösung, weil dann nur interessierte Minderheiten ihre Stimme abgeben und am Ende Ergebnisse heraus kommen könne, die alles andere als im Sinne der Allgemeinheit sind.
Deshalb schrieb ich ja, dass man seine Stimme an einen Experten seines Vertrauens delegieren können muss. Und zwar nicht pauschal, sondern auf Themengebiete bezogen.
Genau darum geht es bei Liquid Democracy und das ist ja einer der wichtigsten Ansätze, die die Piraten vertreten. Ich widerspreche ihnen also gar nicht.
Ich vertraue meine Stimme zum Thema Verbraucherschutz einer bestimmten Person an, die ich für kompetent und vertrauenswürdig halte und die meine Meinung vertritt. Zum Thema Außenpolitik einer andere Person. Zur Landwirtschaft einer dritten.
Beim Thema Innere Sicherheit möchte ich vielleicht lieber immer selbst entscheiden und behalte meine Stimme und bringe mich persönlich ein.
Beim Thema EU gebe ich sie Experten X, bis der dann plötzlich doch irgendwelche merkwürdigen Positionen vertritt, die ich nicht teile, und so wechsle ich auf Person Y, ohne auf den nächsten Wahltermin warten zu müssen usw. usw.
Das ist zwar keine reinrassige, direkte Demokratie, aber viel mehr als es das derzeitige System bietet. Wenn ich will auch 100% direkt teilhaben, wenn ich meine Stimme zu allen Themen keinem anderen übertrage. Es macht diese direkte Demokratie aber praktikabel, indem ich nicht zu jedem Thema selbst zum Experten werden muss.
Liquid Feedback hat übrigens Personen beinhaltet, die ein mehrfaches Stimmengewicht hatten, wie "normale" und da war es nicht möglich, "gerecht" zu stimmen.
Dieses höhere Stimmgewicht kommt ja nicht aus dem Nichts. Das wurde ihnen von Bürgern gegeben, die diesen Personen auf diesen Themenbereich bezogen vertrauen und die sich durch sie vertreten fühlen. Es kann ihnen auch jederzeit wieder entzogen werden.
Was ist daran verkehrt?
Wenn wir schon einen repräsentativen Typen da oben haben, dann soll der auch das Volk und nicht nur die Regierung repräsentieren und auch manche Gesetze ausbremsen können.
Wie gesagt, ein direkt vom Volk gewählter Präsident hätte die stärkste, demokratische Legitimation, die es in unserem Land überhaupt gibt. Er stünde mindestens auf einer Stufe mit dem Bundestag. Es wäre verdammt schwer zu rechtfertigen, warum er nur hin und wieder mal ein Gesetz blockieren darf, und ansonsten nur als Repräsentationsfigur ohne echten Einfluss auftritt.
VDS muss ja unterschrieben werden und was ist, wenn man da einen wählt, der da nicht so leicht sein Servus drunter setzt?
Wenn man so was wie die VDS verhindern will, muss man nicht den richtigen Präsidenten wählen, sondern die richtigen Bundestagsabgeordneten. Die sind die gesetzgebende Instanz in unserem Land und bestimmen, wo es lang geht. (Jedenfalls sollte das so sein.)
Es wäre doch sinnlos, daneben noch eine zweite Instanz zu setzen, die genauso viel zu sagen hat, und alles wieder blockieren kann, was das Parlament beschließt. Genau das ist ja damals in der Weimarer Republik passiert und auch durch den Kaiser im Deutschen Reich. Es kam zu endlosen Machtspielchen zwischen den sich gegenseitig blockierenden Institutionen/Amtsträgern.
Nein. Wir brauchen nur eine einzige Kontrollinstanz neben bzw. über dem Parlament und das ist das Volk selbst.
Nur sollte man dem Volk zu diesem Zweck Werkzeuge in die Hand geben, mit denen es direkteren und spezifischeren Einfluss auf den Gesetzgeber nehmen kann, als nur alle paar Jahre ein Kreuz auf einem Wahlzettel.