lord-of-fire schrieb:
Die Klassenlehrerin meiner Kurzen ist schon lustig. Erst braucht sie über eine Woche, um auf meine o.g. Beschwerde-Mail zu antworten, bestellt mich dann aber "zur Klärung der Unstimmigkeiten" für übermorgen 12 Uhr mittags in die Schule. Was ich dankend abgelehnt habe, weil ich zu diesem Zeitpunkt ungefähr 85 km entfernt geschäftlich unterwegs bin und nicht absehen kann, wann ich nach Hause komme.
Meint die eigentlich, ich hätte sonst nix zu tun?
Meinst du denn, die Lehrerin hätte sonst nix zu tun als Elternbeschwerden zu beantworten, gerade momentan? Die drehen Däumchen wegen Corona? Lehrer sind Dir keine Rechenschaft schuldig was Sie in Ihrer Arbeitszeit machen. Genau so wie Du hat die Klassenlehrerin deines Stöpsels einen gewissen Zeitrahmen, den Sie dir zur Verfügung stellen kann - korrespondiert er nicht mit deinen Arbeitszeiten dann ist das eben Pech. Lehrer sind
keine Dienstleister für Eltern.
Sicherlich bin ich befangen, da meine Partnerin ebenfalls Lehrerin ist, aber wie hier über den wirklich wichtigen Beruf Lehrer/in hergezogen wird (ich vermute ein gewisser Neid auf die Lebensumstände, die dieser Beruf mit sich bringt und die gesellschaftlich verankerten Vorurteile schwingen mit) ist nicht mehr feierlich, laut Strempe hatten die ja jetzt 12 Wochen frei - solche Aussagen sind in meinen Augen einfach nur polemischer Schmutz von jemandem ohne echten Einblick (aber mit ganz viel Meinung).
Sicherlich gibt es schwarze Schafe - die gibt es aber überall. Ich habe zu einem Gros das Gegenteil erlebt.
Dadurch, dass meine Freundin Lehrerin ist und wir in unserem Freundeskreis und auch in der Familie viele Lehrer/innen haben, kann ich die Situation besser einschätzen als z.B. jemand wie Strempe oder lord-of-fire, behaupte ich jetzt zumindest einfach mal.
Übrigens, um diese Fehlbehauptung zu korrigieren: Lehrer/innen unterliegen während Ihrer gesamten Ausbildung (die ja relativ lang ist) regelmäßigen Audits und Evaluierungen. Auch danach kann, wenn es zu massiven Verfehlungen kommt, die von Eltern angezeigt werden, der Unterricht kontrolliert werden.
Zum Thema selbst: Die Lehrer, die ich kenne, klagen durch die Bank weg darüber, dass die Digitalisierung bisher kein Einzug im Bildungssektor gehalten hat, es gibt keine sinnigen Fortbildungen zu dem Thema, die Hardware ist veraltet, einige Schulen haben EINEN Laptop-Wagen und EINEN Satz iPads für 500 Schüler - Hardware für zu Hause wird in der Regel nicht gestellt, iSurf, das Programm welches zur Aufgabenkoordination zwischen Lehrkörper und Schüler in SH genutzt wird, hat erst seit ein paar Wochen überhaupt eine Video-Konferenz-Funktion die mehr schlecht als recht implementiert ist. Das Programm ist ein Witz. Zoom hat meine Partnerin ungefähr eine Woche mit Ihrer Klasse genutzt, dann wurde das Programm vom Kultusministerium hier in SH verboten (DSGVO) und man musste die schlechte iSurf-Lösung nutzen. Nicht jeder Lehrer ist so technik-affin wie die Foren-User hier - ganz im Gegenteil, meine Freundin ist mit Computern eher auf dem Kriegsfuss, vieles habe ich Ihr zu Hause eingerichtet. Älteren Semestern geht es meistens ähnlich und nicht jeder hat jemandem im Haus, der ihm in Hard- und Softwarefragen aushelfen kann. Man kann von Lehrern nicht verlangen von heute auf morgen alles komplett digital anzubieten, darauf ist die komplette Ausbildung in dem Bereich gar nicht ausgelegt. Es gibt dazu kein vernünftiges Schulungsprogramm und keine vernünftige Hardwareausstattung - Geld ist im Bildungssektor, trotz des ach so tollen Digitalpakts, Mangelware und die Studiengänge sind trotz Bachelor- und Master- Umstellung hoffnungslos veraltet.
Dazu kommt auch, dass das momentane "Problem" nicht nur in den Schulen zu suchen ist: Viele Eltern sind nicht mal in der Lage eine Mail-Adresse explizit für die Kinder einzurichten, die Koordination zwischen Eltern und Lehrer ist schwierig, trotz Mailverteiler, den meine Partnerin z.B. wöchentlich mit den Aufgaben für die Woche bedient und der Möglichkeit Sie zu den regulären Schulzeiten digital zu erreichen. Einige Familien haben nicht mal einen einigermaßen aktuellen Computer geschweige denn einen Drucker zu Hause - für diese Kinder ist meine Freundin in die Schule gefahren, hat die Arbeitsbögen ausgedruckt/kopiert und hat sich dann vor die Schule gesetzt, damit die Eltern die Arbeitsbögen abholen können (rein durften Sie ja nicht). Was meinst du wie viele Eltern es, selbst mit mehreren Tagen Vorlaufzeit, nicht auf die Kette bekommen haben die Arbeitsbögen für Ihre Kinder abzuholen? Leider viele.
Dann gibt es noch die Inklusion, auf die bei der Beschulung zu achten ist: Kinder aus verschiedenen Bildungsniveaus sollen zusammen Unterrichtet werden - entsprechend wird das Aufgabenpaket geschnürt. Einige finden es gibt viel zu viele Aufgaben, einige verlangen täglich nach neuen Aufgaben, hier ein geeignetes Mittelmaß zu finden war sicherlich schwierig. Einige Eltern wünschen sich eine nie endende Flut an Aufgaben um die Kinder möglichst dauerhaft zu beschäftigen: Da haben die Kinder zu Hause z.T. pro Woche ein Arbeitspensum zu bewältigen gehabt, welches in der Schule 2 oder 3 Wochen in Anspruch genommen hätte.
Man sollte/darf Schule nicht mit einem Dienstleistungsangebot aus der freien Wirtschaft vergleichen (Gott sei dank) und Schüler auch nicht als "Rohmaterial"oder "Produkt" (was für eine ekelhafte Wortwahl btw.) für den Arbeitsmarkt sehen, auch wenn Sie das aus kapitalistischer/wirtschaftlicher Sicht sind -
meiner Tochter möchte ich solche Werte nicht vermitteln, Sie muss später nicht für den (privaten) Arbeitsmarkt relevant sein, wenn Sie das nicht möchte. In der Schule geht es um viel mehr als reine Wissensvermittlung, da geht es um Charakterbildung, zwischenmenschliche Beziehungen und soziale Intelligenz, Dinge, die hier, gefühlt, einigen total abgehen.
Viele Lehrer übernehmen (entgegen Ihres Auftrages) auch Erziehungsaufgaben, die abgestumpfte Eltern nicht mehr zu leisten in der Lage sind und setzen sich richtig für Ihre Schüler ein.
Selbst wenn man mal vom "Schlimmsten" ausgeht: Die Kinder haben effektiv 7 Woche Schule verloren - zwischen Lock-Down und der langsamen Öffnung jetzt lagen noch etliche Feiertage und in den meisten Bundesländern 2-3 Wochen Osterferien. Die Schule besteht zum größten Teil aus stetiger Wiederholung, der Stoff wird im nächsten Jahr, gerade in der Grundschule, zum größten Teil sowieso wiederholt. Ich behaupte: kein Kind, dass jetzt wegen Corona 7 Wochen (effektiv) auf Schule verzichten musste wird deswegen irgendeinen Nachteil in der Zukunft erleiden, nur weil man ein paar Wochen nicht in der Schule war (Und das gerade zum Ende des 2ten Halbjahres - hier wird der gelernte Stoff in der Regel rekapituliert, da neues über die Sommerferien oft erstmal wieder verloren geht und am Anfang des Schuljahres noch mal der letzte Stoff wiederholt wird) ist danach sicherlich nicht das restliche "Bildungsleben" versaut.
Ich persönlich zolle Lehrern den größten Respekt, das ist ein psychisch aufreibender Beruf der viel mehr als die reine Wissensvermittlung mit sich bringt - selbst wenn ich die Wahl hätte würde ICH nicht meinen Job gegen den eines Lehrers tauschen wollen, auch wenn ich dann deutlich mehr Urlaub, Freizeit und auch etwas mehr Geld hätte.
Das ist meine bescheidene Meinung zu dem Thema.