SchmuseTigger
Lt. Commander
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- Juni 2009
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Moin,
Ich wollte einfach mal eine Diskussion drüber starten. Ja, das gehört irgendwie mit zu dem Cannabis Beitrag, aber da habe ich das schon mal rein geschrieben, ist aber gelöscht worden.
Von daher hier mal komplett neu.
Hintergrund:
Aber zunächst zur Vorgeschichte der drogenpolitschen Wende. In der portugiesischen Bevölkerung spielen der Genuss und Missbrauch illegaler Substanzen bis heute keine übermäßig große Rolle. Im Jahr 2001, dem Jahr der großen Reform, hatten nur 7,8 % der Bürger zwischen 15 und 64 jemals irgendeine psychoaktive Substanz probiert. In Großbritannien beispielsweise waren das im selben Jahr 34 %. Auf der anderen Seite gilt das Land als Einfallstour für allerlei Spezialitäten aus aller Welt, primär, um danach weiter transportiert zu werden. Kokain kommt aus Südamerika, Heroin aus Spanien, Haschisch aus Marokko, Marihuana aus Südafrika.
Ausgeprägt war seit den späten 80er Jahren allerdings der Heroinkonsum. Kurz vor der Jahrtausendwende hatte das Land zudem die höchste Quote an HIV-infizierten Drogennutzern in ganz Europa. Die Reform der Drogengesetze ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Portugal suchte zum einen nach Möglichkeiten, den Kontakt zu den Konsumenten aufrecht zu erhalten, zum anderen nach Wegen abseits der üblichen Bestrafung.
Die aktuelle Entkriminalisierung ist keine drogenpolitische Spielwiese akzeptanzverliebter Alt-68er, sondern eine Reaktion auf die fatalen Probleme mit AIDS. Es ging von Anfang an darum, mehr verelendete Heroinkonsumenten in Therapie zu bringen und zugleich Polizei und Gerichte zu entlasten
Seit dem 1. Juli 2001 steht nun der Erwerb und Gebrauch jedweder Droge zum persönlichen Vergnügen oder der Ruinierung der Persönlichkeit nicht mehr unter Strafe. Sie landen als Vergehen gegen die öffentliche Ordnung vor einem regionalen Gremium der CDT (Comissões para a Dissuasão da Toxicodependência). Dieses Gremium besteht aus einem Rechtsexperten, einem Sozialarbeiter und einem Arzt. Es kann durchaus Bußgelder verhängen oder die Mitarbeit in einem sozialen Dienst verordnen, primäres Ziel aber ist es, den Delinquenten, falls nötig, in eine therapeutische Maßnahme zu überführen.
In der Praxis dürfen Konsumenten nicht mehr als 10 Tagesdosen mit sich führen, das sind 0,1g Heroin, 0,1g Ecstasy, 0,2g Kokain oder 2,5g Cannabis. Überschreiten sie diese Menge, werden sie der normalen Gerichtsbarkeit überführt.
Der Unterschied ist jetzt hier der:
Wie bringt ein Staat seine Bürger davon ab, gefährliche Drogen zu nehmen? Man kann gegen die Anbieter vorgehen, die Kartelle, die Zwischenhändler, die Straßendealer. Man kann aber auch gegen die Kunden vorgehen, sie festnehmen, vor Gericht stellen, einsperren. Verfolgung also, Repression und Abschreckung auf beiden Seiten, die meisten Staaten machen das so.
Wenn man die Vergangenheit anschaut (siehe z.B. das Alkoholverbot in den USA), dann kann man es nicht hin den Griff bekommen. So lange es einen Markt gibt an Menschen die das wollen, wird es Leute geben die es beliefern. Und diesen gibt man damit Macht und eine riesige Menge an Geld. Der Krieg gegen Drogen alleine in den USA hat Milliarden gekostet. Zig Tausend Leute sind deshalb im Knast (mein Kumpel aus den USA meinte mal, mehr als 3 Gramm Gras wären mindestens 5 Jahre Knast. Totschlag so 2 1/2 Jahre. Nur wirklich löst es das Problem nicht. Bis zu ein Jahr Haft für Drogenbesitz, das galt in Portugal vor der Entkriminalisierung.
Andersrum:
Nach Verabschiedung der neuen Gesetze zeigten sich die Vereinten Nationen entsetzt. Man malte das Bild vom florierenden Drogentourismus und sprach davon, dass damit die internationalen Drogenabkommen, die auch Portugal unterzeichnet hat, verletzt würden.
Dann, 2004, bereiste eine UN-Delegation aus Mitgliedern des International Narcotics Control Board Portugal und fand erste Anzeichen dafür, dass sich das Land weder in eine dauerkiffende Hippie-Kommune noch in eine MDMA-lastige Rave-Party verwandelt hatte. Man brauchte ein paar Jahre, um den Schock zu verarbeiten, erst im Weltdrogenbericht 2009 kommt man für Portugal zu dem Schluss: "Es scheint, als hätten sich eine Reihe von drogenbezogenen Problemen verringert."
"Wer Drogen nimmt, ist nicht kriminell, sondern krank"
Zwar nahmen in Portugal, verglichen mit anderen Ländern, nicht viele Leute illegale Drogen, die Rate war niedrig. Aber von denen, die Drogen nahmen, gehörten besonders viele zur Gruppe der "problematischen Konsumenten", wie es in der Sprache der Experten heißt.
"Die Polizei durchsucht die Leute übrigens immer noch nach Drogen", sagt Goulão. Haschisch, Kokain, Ecstasy, alles wird in Portugal nach wie vor beschlagnahmt, vernichtet.
Konsequenzen gibt's beim zweiten Mal
Die Kommission von Lissabon etwa ist in der ersten Etage eines unauffälligen Bürogebäudes untergebracht. Niemand soll fürchten, hier gesehen zu werden. In einem Raum wartet ein 19-Jähriger in einem weißen Poloshirt, bei dem die Polizei am Wochenende knapp ein Gramm Haschisch fand. Eine Sozialarbeiterin hat ihn eine halbe Stunde lang befragt, er war auf der Landwirtschaftsschule, wohnt bei den Eltern, kifft ab und zu, erzählte er ihr. Er wurde zum ersten Mal erwischt.
"Gelegenheitsnutzer, keine Risikofaktoren", notierte die Sozialarbeiterin.
Nun reden ein Psychologe und eine Anwältin mit ihm, sie wollen wissen, ob er die Gefahren von Cannabis kennt.
"Ja, ja, aus der Schule, wir hatten Prävention", sagt er.
Wenn er sich in den nächsten drei Monaten nicht noch mal erwischen lässt, wird sein Fall geschlossen. "Wir informieren niemanden, dass du hier warst, es gibt keinen Eintrag ins Vorstrafenregister", sagt die Anwältin, "aber beim zweiten Mal gibt's ernste Konsequenzen."
Wenn man sie bittet, das zu erklären, fällt ihr aber nichts ein, was besonders ernst klingt. Möglicherweise ein paar Tage gemeinnütziger Arbeit. Die Kommission kann Geldbußen verhängen, bei Jugendlichen mache man das nicht gern. Für Leute, die als Abhängige eingeschätzt werden, sind Geldbußen nicht vorgesehen. Sie müssen schließlich schon ihre Sucht finanzieren. "Unsere wichtigste Aufgabe ist es, Menschen zu einer Therapie einzuladen", sagt die Anwältin. Etwa 1500 Leute schickt ihnen die Polizei in Lissabon im Jahr, kaum fünf am Tag, in siebzig Prozent aller Fälle geht es um Cannabis. Wer nicht kommt, wird ein paar Mal erinnert. Zwang ist nicht vorgesehen im neuen System.
Entkriminalisierung - keine Legalisierung
Abmahnungen, Erinnerungsbriefe, Einladungen zur Therapie. Es geht sanftmütig zu in Portugals Krieg gegen die Drogen.
Meinungen dazu? Also allgemein natürlich, aber auch, wäre sowas in Deutschland auch anwendbar?
P.S. Quellen: http://www.spiegel.de/panorama/gese...afen-fuer-den-konsum-von-drogen-a-888188.html und http://www.heise.de/tp/artikel/34/34857/1.html falls wer die ganzen Artikel lesen will aus denen ich das meinte habe. Gibt sicher noch mehr Quellen, keine Frage.
Ich wollte einfach mal eine Diskussion drüber starten. Ja, das gehört irgendwie mit zu dem Cannabis Beitrag, aber da habe ich das schon mal rein geschrieben, ist aber gelöscht worden.
Von daher hier mal komplett neu.
Hintergrund:
Aber zunächst zur Vorgeschichte der drogenpolitschen Wende. In der portugiesischen Bevölkerung spielen der Genuss und Missbrauch illegaler Substanzen bis heute keine übermäßig große Rolle. Im Jahr 2001, dem Jahr der großen Reform, hatten nur 7,8 % der Bürger zwischen 15 und 64 jemals irgendeine psychoaktive Substanz probiert. In Großbritannien beispielsweise waren das im selben Jahr 34 %. Auf der anderen Seite gilt das Land als Einfallstour für allerlei Spezialitäten aus aller Welt, primär, um danach weiter transportiert zu werden. Kokain kommt aus Südamerika, Heroin aus Spanien, Haschisch aus Marokko, Marihuana aus Südafrika.
Ausgeprägt war seit den späten 80er Jahren allerdings der Heroinkonsum. Kurz vor der Jahrtausendwende hatte das Land zudem die höchste Quote an HIV-infizierten Drogennutzern in ganz Europa. Die Reform der Drogengesetze ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Portugal suchte zum einen nach Möglichkeiten, den Kontakt zu den Konsumenten aufrecht zu erhalten, zum anderen nach Wegen abseits der üblichen Bestrafung.
Die aktuelle Entkriminalisierung ist keine drogenpolitische Spielwiese akzeptanzverliebter Alt-68er, sondern eine Reaktion auf die fatalen Probleme mit AIDS. Es ging von Anfang an darum, mehr verelendete Heroinkonsumenten in Therapie zu bringen und zugleich Polizei und Gerichte zu entlasten
Seit dem 1. Juli 2001 steht nun der Erwerb und Gebrauch jedweder Droge zum persönlichen Vergnügen oder der Ruinierung der Persönlichkeit nicht mehr unter Strafe. Sie landen als Vergehen gegen die öffentliche Ordnung vor einem regionalen Gremium der CDT (Comissões para a Dissuasão da Toxicodependência). Dieses Gremium besteht aus einem Rechtsexperten, einem Sozialarbeiter und einem Arzt. Es kann durchaus Bußgelder verhängen oder die Mitarbeit in einem sozialen Dienst verordnen, primäres Ziel aber ist es, den Delinquenten, falls nötig, in eine therapeutische Maßnahme zu überführen.
In der Praxis dürfen Konsumenten nicht mehr als 10 Tagesdosen mit sich führen, das sind 0,1g Heroin, 0,1g Ecstasy, 0,2g Kokain oder 2,5g Cannabis. Überschreiten sie diese Menge, werden sie der normalen Gerichtsbarkeit überführt.
Ergänzung ()
Der Unterschied ist jetzt hier der:
Wie bringt ein Staat seine Bürger davon ab, gefährliche Drogen zu nehmen? Man kann gegen die Anbieter vorgehen, die Kartelle, die Zwischenhändler, die Straßendealer. Man kann aber auch gegen die Kunden vorgehen, sie festnehmen, vor Gericht stellen, einsperren. Verfolgung also, Repression und Abschreckung auf beiden Seiten, die meisten Staaten machen das so.
Wenn man die Vergangenheit anschaut (siehe z.B. das Alkoholverbot in den USA), dann kann man es nicht hin den Griff bekommen. So lange es einen Markt gibt an Menschen die das wollen, wird es Leute geben die es beliefern. Und diesen gibt man damit Macht und eine riesige Menge an Geld. Der Krieg gegen Drogen alleine in den USA hat Milliarden gekostet. Zig Tausend Leute sind deshalb im Knast (mein Kumpel aus den USA meinte mal, mehr als 3 Gramm Gras wären mindestens 5 Jahre Knast. Totschlag so 2 1/2 Jahre. Nur wirklich löst es das Problem nicht. Bis zu ein Jahr Haft für Drogenbesitz, das galt in Portugal vor der Entkriminalisierung.
Andersrum:
Nach Verabschiedung der neuen Gesetze zeigten sich die Vereinten Nationen entsetzt. Man malte das Bild vom florierenden Drogentourismus und sprach davon, dass damit die internationalen Drogenabkommen, die auch Portugal unterzeichnet hat, verletzt würden.
Dann, 2004, bereiste eine UN-Delegation aus Mitgliedern des International Narcotics Control Board Portugal und fand erste Anzeichen dafür, dass sich das Land weder in eine dauerkiffende Hippie-Kommune noch in eine MDMA-lastige Rave-Party verwandelt hatte. Man brauchte ein paar Jahre, um den Schock zu verarbeiten, erst im Weltdrogenbericht 2009 kommt man für Portugal zu dem Schluss: "Es scheint, als hätten sich eine Reihe von drogenbezogenen Problemen verringert."
"Wer Drogen nimmt, ist nicht kriminell, sondern krank"
Zwar nahmen in Portugal, verglichen mit anderen Ländern, nicht viele Leute illegale Drogen, die Rate war niedrig. Aber von denen, die Drogen nahmen, gehörten besonders viele zur Gruppe der "problematischen Konsumenten", wie es in der Sprache der Experten heißt.
"Die Polizei durchsucht die Leute übrigens immer noch nach Drogen", sagt Goulão. Haschisch, Kokain, Ecstasy, alles wird in Portugal nach wie vor beschlagnahmt, vernichtet.
Konsequenzen gibt's beim zweiten Mal
Die Kommission von Lissabon etwa ist in der ersten Etage eines unauffälligen Bürogebäudes untergebracht. Niemand soll fürchten, hier gesehen zu werden. In einem Raum wartet ein 19-Jähriger in einem weißen Poloshirt, bei dem die Polizei am Wochenende knapp ein Gramm Haschisch fand. Eine Sozialarbeiterin hat ihn eine halbe Stunde lang befragt, er war auf der Landwirtschaftsschule, wohnt bei den Eltern, kifft ab und zu, erzählte er ihr. Er wurde zum ersten Mal erwischt.
"Gelegenheitsnutzer, keine Risikofaktoren", notierte die Sozialarbeiterin.
Nun reden ein Psychologe und eine Anwältin mit ihm, sie wollen wissen, ob er die Gefahren von Cannabis kennt.
"Ja, ja, aus der Schule, wir hatten Prävention", sagt er.
Wenn er sich in den nächsten drei Monaten nicht noch mal erwischen lässt, wird sein Fall geschlossen. "Wir informieren niemanden, dass du hier warst, es gibt keinen Eintrag ins Vorstrafenregister", sagt die Anwältin, "aber beim zweiten Mal gibt's ernste Konsequenzen."
Wenn man sie bittet, das zu erklären, fällt ihr aber nichts ein, was besonders ernst klingt. Möglicherweise ein paar Tage gemeinnütziger Arbeit. Die Kommission kann Geldbußen verhängen, bei Jugendlichen mache man das nicht gern. Für Leute, die als Abhängige eingeschätzt werden, sind Geldbußen nicht vorgesehen. Sie müssen schließlich schon ihre Sucht finanzieren. "Unsere wichtigste Aufgabe ist es, Menschen zu einer Therapie einzuladen", sagt die Anwältin. Etwa 1500 Leute schickt ihnen die Polizei in Lissabon im Jahr, kaum fünf am Tag, in siebzig Prozent aller Fälle geht es um Cannabis. Wer nicht kommt, wird ein paar Mal erinnert. Zwang ist nicht vorgesehen im neuen System.
Entkriminalisierung - keine Legalisierung
Abmahnungen, Erinnerungsbriefe, Einladungen zur Therapie. Es geht sanftmütig zu in Portugals Krieg gegen die Drogen.
Ergänzung ()
Meinungen dazu? Also allgemein natürlich, aber auch, wäre sowas in Deutschland auch anwendbar?
Ergänzung ()
P.S. Quellen: http://www.spiegel.de/panorama/gese...afen-fuer-den-konsum-von-drogen-a-888188.html und http://www.heise.de/tp/artikel/34/34857/1.html falls wer die ganzen Artikel lesen will aus denen ich das meinte habe. Gibt sicher noch mehr Quellen, keine Frage.