Akula schrieb:
[...]Selbst in den USA gibt es ihn. Natürlich muss man bei seiner Betrachtung differenzieren, dennoch erscheint mir die Diskussion um dieses Thema wie eh und je im deutschen Lande der Besserwisserei.
Also, auch wenn es etwas Off-Topic ist:
Ich mag dieses ständige Deutschlandbashing nicht (du "musst" jetzt mal herhalten für alle, die eine Diskussion mit "typisch deutsch!" beginnen, sorry
). Was der eine als Besserwisserei auffasst, sieht der andere als ein Bemühen um Gewissenhaftigkeit an. Ich bin eher irgendwo dazwischen, weil es solche und solche Themen gibt.
Der Kernpunkt meiner Aussage ist aber auch: Es ist zwar Theorie, ABER sie ist eben nicht aus der Luft gegriffen. Die Anmerkung zur Theorie sollte bei mir folgendes heißen:
Wenn ich gegen Mindestlöhne bin, dann bedeutet das nicht, dass ich will, dass irgendwer 3 Jobs braucht, nur um zu überleben, dass also der Lohn unendlich weit nach unten gehen darf. Aber das tut er in Deutschland nicht, zumindest vorerst (und dann wäre noch Zeit, darüber nachzudenken).
Ein Grund dafür ist, dass im Gegensatz zu den USA insgesamt die Gewerkschaften hier mehr Einfluss haben und auch eine breitere Rückendeckung in der Bevölkerung haben.
Letztendlich ist ein Mindestlohn doch etwas, was der Funktion einer Gewerkschaft recht nahe kommt: Schutz vor Ausbeutung.
Man sollte eben nicht den Fehler machen, die Verhältnisse in den USA mit denen in Deutschland zu verwechseln.
Nunja, es heißt ja auch, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Übrigens ist die Divise oben schon längst ein teil der deutschen politischen Kultur, nur eben rückwärtsgewandt. Was macht es da den Unterschied mal naiv vorwärts zu gehen? Was hat man zu verlieren? Tausende Jobs. Das halte ich noch immer für ein gewolltes und ausgemachtes Märchen Neoliberaler Schwätzer.
Ja, und wer nicht kämpft hat schon verloren. Noch so ein Bonmot, diesmal von unserem lieben Ex-Gerd
Aber es geht ja nicht um irgendeine mehr oder weniger unwichtige Regelung. In Deutschland sind viele Beschäftigte entweder tariflich abgesichert oder verdienen so gut, dass sie keinen Tarif haben/brauchen. Aber diejenigen, die einen Mindestlohn bräuchten sind finanziell meistens so labil aufgestellt, dass man gerade da nicht (einfach) wagen sollte. Ich habe auch nichts gegen Naivität, und auch der Glaube an einen Aufschwung kann einen solchen bewirken. Ludwig Erhard sagte mal, dass 50% der Wirtschaft Psychologie ist.
Ich finde, da hatte er Recht. Aber trotzdem: Bei aller Naivität sollte man nicht unbesonnen sein!
Ich gehe davon aus, dass du nicht mich mit dem neoliberalen Schwätzer meintest, aber trotzdem: Guck dir ein Arbeitsmarktdiagramm an, die Argumentation ist absolut naheliegend. Viele machen den Fehler, direkt eine Ideologie zu unterstellen, wo es schlicht keine gibt. Interessenvertreter haben die, aber die allgemeine Aussage ist erstmal ohne Wertung. Und wie schon gesagt, wenn eine Gesellschaft sich im Wissen um die negativen Auswirkungen für Mindestlöhne entscheidet, dann ist es durchaus in Ordnung. Man darf - wie gesagt - nur nicht den Fehler begehen, negative Konsequenzen auszublenden.
Die Devise, machen wir nicht, weil kostet Arbeitsplätze, ist nicht nur ein Dilemma für einen Staat und damit einer Volkswirtschaft, sondern auch eine Sackgasse, der besonders Deutschland schon seit den goldenen 60ern verfallen ist.
Ich finde, dass da zu viel seit den goldenen 60ern geschehen ist, als dass man den Wegfall der Arbeitsplätze genau damit erklären könnte, dass man sich um sie sorgt.
Ich stimme mit dir darin überein, dass die Richtung der Gesetze viel über die Ausrichtung aussagt. Aber ich behaupte ganz kühn, dass die Gesetzgebung in Deutschland insgesamt betrachtet wesentlich humaner ist als beispielsweise in den USA.
Und ob Mindestlöhne wirklich notwendig sind, steht auf einem anderen Blatt. Wenn ein polnischer Fensterputzer einen Mindestlohn bezahlt bekommen müßte, dann bedeutet das nicht, dass er den wirklich erhält. Noch dazu wurde das mit dem Entsendegesetz(?) bereits geregelt.
Nichts wirklich Wichtiges wurde seitdem angepackt und reformiert. Der Staat und die Staatsstruktur ist und bleibt verkrustet. Die Entwicklungen im Lohnsektor werden zukünftig nicht besser, im Gegenteil, auch wenn es derzeit nicht danach ausschaut. Aber wir sollten endlich langfristig und vorausschauend denken. Derjenige, der den Mindestlohn ablehnt, denkt in meinen Augen zu kurzfristig. Und das ist auch keine Aufgabe für einen VWLer, höchstens für einen BWLer.
Nun ja, Wirtschaft ist sehr komplex. Man kann nicht argumentieren, dass man kurzfristig denkt, wenn man etwas wie den Mindestlohn ablehnt. Denn wenn wir annehmen, dass der Mindestlohn heute noch nicht notwendig ist, dann spricht nichts dagegen ihn später noch einzuführen. Nimmt man aber das Argument "Langfristdenken" her, um das jetzt ohne große Not (natürlich nur, wenn man es als noch nicht zwingend erforderlich ansieht) durchzusetzen, dann kann man den später nicht wieder wegfallen lassen, obwohl es unter Umständen ratsam wäre.
Der Vorwurf der "Nicht-Reform" klingt für mich eher nach einer Worthülse, tut mir Leid. Kannst du das etwas präzisieren? Das Hauptproblem Deutschlands ist weniger, dass es überhaupt Arbeitslose gibt, sondern dass wir einen sog. sklerotischen Arbeitsmarkt haben.
Das bedeutet, dass die marktrelevanten Regelungen sehr rigide sind (wieder wertneutral gemeint). Verkürzt heißt das: Ein Unternehmer überlegt es sich zweimal, ob er einen Arbeitsnehmer anstellt, selbst wenn seine Auftragslage momentan blendend ist. Der Grund ist, dass er die Kapazität nicht einfach wieder drosseln kann, wenn es mau aussieht. Er ist erstmal gezwungen, seine Angestellten zu behalten. Daher dürfen die bisher eingestellten erstmal Überstunden kloppen, weil: Die hat man ja schon. Das führt dann dazu, dass bei einem Aufschwung weniger Leute neue Arbeit finden als eigentlich vorhanden ist. Das äußert sich in einer spezifischen Kurve für Deutschland: Wann immer ein Aufschwung einsetzt, geht die Arbeitslosenzahl zurück, aber sie bleibt dabei über dem Niveau des letzten Aufschwunges! Vereinfacht sieht das Ding dann aus wie eine Treppe, bei der jede zweite Stufe ein wenig über der vorletzten liegt, aber niedriger als die unmittelbar vorangehende. Die Langzeitarbeitslosigkeit schaukelt sich also langsam und unaufhaltsam immer weiter hoch. Dies ist relativ einzigartig für Deutschland der Fall, in den USA sieht das nicht so fies aus. In Deutschland sind allerdings mittlerweile mehr als 30% der Arbeitslosen (Erwerbsbevölkerung, da ist nicht jeder eingeschlossen, der arbeiten könnte und auch würde, wenn ihm was angeboten würde!) langzeitarbeitslos, also länger als 2 Jahre IIRC.
Sobald sich der Arbeitsmarkt mit Mindestlohn den Verhältnissen angeglichen hat, kann auch wieder vernünftig gewirtschaftet werden. Es ist nunmal so, dass eine Reform einen gewissen Entstehungsprozess braucht. Sie deswegen abzulehnen, ist der falsche Weg.
Es ist doch nicht so, dass eine Reform ausschließlich über Mindestlöhne anzustoßen ist, oder?
Falls ja möchte ich widersprechen
Und wenn man schon den Mindestlohn ablehnt, sollte man wenigstens alternative Konzepte für die Zukunft zu bieten haben. Darunter fällt dann auch ein bedingungsloses Grundeinkommen etc. ...
Ich finde, dass ein
bedingungsloses Grundeinkommen falsch wäre.
Das will finanziert werden mit der Konsequenz, dass die, die das erwirtschaften sollen, eventuell ihre Anreizwirkung verlieren und so weiter. Alternativen zu diskutieren ist zwar möglich, ich möchte aber eher nicht damit anfangen, denn das führt eigentlich nicht zu einer Diskussion sondern eher zu einer ideologisch aufgeladenen Polemik.
Ich habe übrigens noch ein schönes Arbeitsmarktdiagramm gefunden, das eigentlich sehr eingängig die Problematik eines Mindestlohns über dem Gleichgewichtspreis für Arbeit zeigt (obwohl ich stellenweise den starken Verdacht hatte, dass du diese Grafiken kennen dürfstest
):
http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Hoher_Mindestlohn.PNG
Ein Mindestlohn unter dem Gleichgewichtspreis ist übrigens auch möglich, aber unsinnig, denn der wird ja per Definition schon überboten.
Falls du das hier überhaupt gelesen hast und noch weiter diskutieren möchtest, dann können wir das meinetwegen auch gerne per PM weiterführen. In einem Thread ist es a) OT und b) sehr umständlich. Lass einfach hören, was du dazu meinst
Gruß
Kokolores
Edit: Gerade noch was bemerkt: Dieser Themenkomplex ist tiefste VWL. Das ist eine Schnittmenge aus Mikroökonomik und Makroökonomik und hat wenig mit klassischen BWL-Themen zu tun (Rechnungslegung, Investitionsrechnung, Produktionswirtschaft..)