giessl schrieb:
Die Aussage von Old Knitterhemd bezog sich auf einen biologischen Sachverhalt und die Antwort lautete, dass diese Sichtweise "in der Wissenschaft" überholt sei.
So gesehen hast du natürlich recht ... aber wie leitest du aus der existenz der körperlichen Unterschiede dann Verhaltensunterschiede ab ... wie legitimieren die körperlichen Unterschiede z.B. das gender pay gap?
Gibt es dazu wissenschaftliche Daten, dass eine Frau in den Bereichen, wo sie schlechter bezahlt wird, auch tatsächlich weniger leistet?
Dass es Unterschiede gibt, wird nicht bezweifelt .. es wird nur bezweifelt, dass die daraus resultierenden oder abgeleiteten Unterschiede im Verhalten z.B. eine Unterschiedliche Bezahlung wirklich legitimieren.
Warum gibt es das gender pay gap überhaupt?
Hat sich bei Akkordarbeit irgendwie gezeigt, dass Frauen am Tag ca. 10 - 20% weniger schaffen?
Eins ist allerdings klar ... es war seit Jahrhunderten "normal", dass Frauen und Kinder eben billigere Arbeitskräfte sind, als Männer.
Einen kulturgeschichtlichen Zusammenhang zwischen dem etablierten Bild von Frau und Mann und den sozialen realitäten der beiden Geschlechter aufzubauen gelingt also schonmal problemlos.
Eine leistungsfähige biologische Herleitung des ganzen habe ich bisher nicht gesehen ... es wird immer nur auf die existenz und Natürlichkeit der Unterschiede hingewiesen (die nie jemand bezweifelt hat) ... und an der Stelle bricht es dann meist ab.
Falls es jemandem gelingt, eine geringere Leistungsfähigkeit bei Frauen in einzelnen Arbeitsbereichen nachzuweisen (am besten in einem, in dem sie auch schlechter bezahlt werden), dann wären auch die Biologisten ihrem Ziel einen Schritt näher.
Schön ware auch mal eine gute und rein biologische Erklärung dafür, dass es zwar viel mehr weibliche Studierende gibt (in fast allen Fächern), diese oft sogar besser benotet werden (müssen ... hilft ja nicht, wenn die eben so gut sind), die Hierarchie an akademischen Institutionen aber immer weniger Frauen enthält, je weiter man sich den Spitzenpositionen nähert.
Dass Männer lieber Männer einstellen (und Frauen lieber Frauen) erscheint mir da als Erklärung garnicht so schlecht ... leider ist es eine Erklärung über die Umwelt.
Dass Frauen sich eben weniger auf die Karriere konzentrieren, ist ebenfalls sehr wahrscheinlich eher den "wahrgenommenen Erwartungen" aus ihrem Umfeld zu verdanken ... wieder wäre das eher eine erklärung über die Umwelt.
Das Frauen eventuell mal schwanger werden und sich dann auch eher um ihr Kind kümmern wollen, als um ihre Karriere, und das zum "Karriereknick" führt, ist mal was biologisches ... allerdings nicht nur, denn man hätte die Arbeitswelt ja auch so einrichten können, dass dieser vollkommen normale natürliche Vorgang dabei weniger gravierende Auswirkungen hat.
Dass nur Frauen Kinder kriegen können, ist ein biologischer Fakt ... dass das in unserer Arbeitswelt gravierende Folgen hat, ist kulturelle Konstruktion, die noch dazu stark von dem Umstand abhängig scheint, dass wir in den letzten 150 jahren eben eine geschlechtlich differenzierte Arbeitswelt mit wenigen Frauenberufen (neben Hausfrau und Mutter) und sehr viel mehr männlichen als weiblichen Arbeitskräften hatten.
Natürlich hat sich die Arbeit in vielen Bereichen, so angepasst, dass sie vor allem mit Männern "gut arbeiten" kann ... schließlich war das nach dem Verbot der Kinderarbeit fast die einzige Zielgruppe.
Oder ist es ein Hormon ... wenn ja, welches?
Wenn Naturwisschenschaften doch so exakt sind, dann sollte es doch möglich sein, einen Schuldigen klar einzugrenzen ... zumindest wenn das ein Schuldiger ist, der sich mit naturwissenschaftlichen Methoden klar bestimmen lässt.
Es geht nicht um die Frage, ob Unterschiede existieren, sondern nur darum, ob die Wirksamkeit der existierenden bologischen Unterschiede im Arbeitsleben z.B. für eine unterschiedliche Bezahlung bei nüchterner Betrachtung überhaupt ausreicht.
Der Grund für diese Frage steht in unseren Grundgesetz sogar ziemlich weit vorne ... wenn da geschlechtliche Unterschiede gemacht werden, dann bedarf das einer Begründung. Und diese Begründung sollte besser sein, als "sieht man doch".
Denn auf nichts anderes bezog sich die Aussage von
@Old Knitterhemd ... offensichtliche Unterschiede in den körperlichen merkmalen. "Erkennungsmerkmale" ... was wird das sein, wenn nicht die primären und sekundären Geschlechtsteile, allgemein der Körperbau oder die meist unterschiedliche Stimmlage?
Dafür, dass Bekleidungs- oder Spielpräferenzen "vorverdrahtet" sind, gibt es momanten ebenfalls nur Indizien.
Aber jedesmal wird das genutzt, um jede Genderdebatte ad absurdum zu führen, weil ja damit eindeutig bewiesen ist, dass sich alle Unterschiede aus der Biologie erklären lassen ... es gibt nur noch einige, bei denen das bisher nicht gelungen ist.
Leider fliegt einem dank wissenschaftlicher Methodik regelmäßig die eine oder andere "gesicherte Erkenntnis" um die Ohren.
Und damit haben beide Seiten zu kämpfen ... regelmäßig ... zumindest solange man die wissenschaftliche Methode ernst nimmt und mit Wissenschaft mehr will, als zu beweisen, dass man schon immer Recht hatte.
Schon von der Forschungslogik her kann Wissenschaft das Gegenteil viel besser ... nämlich zeigen, dass man Unrecht hatte.
Zum Schluss noch ein ziemlich altes, aber in den Genderstudies sehr gut bekanntes Zitat (sinngemäß):
"Solage Mädchen und Jungen in unseren Erziehungsanstalten und im Alltag so unterschiedlich behandelt werden, glaube ich nicht an irgendwelche natürlichen Unterschiede zwischen diesen beiden Geschlechtern, welche über die Physiologie hinausgehen".
Das packt das Problem an der Wurzel ... wir können nur Zustände beschreiben, gerade im Bezug auf das soziale Miteinander sagen die aber nur sehr wenig über ihre Entstehung aus ... bei der Frage "Nature vs. Nurture" geht es aber genau um die Entstehung der beschriebenen Zustände.
Aus Evidenzien auf ihre Entstehungsgeschichte zu schließen, ist in etwa so, als wolle man aus einem Gruppenfoto die vorangegangenen 24 Stunden des Lebens der darauf Abgelichteten rekonstruieren. Das funktioniert einfach nicht, wenn man nicht die eigenen vorgefassten Erklärungen als gesichert annimmt.
Und das hat dann (leider) mit Wissenschaft nichts mehr zu tun, entspricht aber genau der Arbeitsweise von Biologisten, Naturalisten und Essentialisten.
Sorry für die Abhandlung ... wenn ihr es weniger komplex wollt, dann beschränkt euch auf Naturwissenschaften.