BMW i5 mit Autobahnassistent: Wenn Level 2+ im Alltag mehr bringt als Level 3

Nicolas La Rocco
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BMW i5 mit Autobahnassistent: Wenn Level 2+ im Alltag mehr bringt als Level 3
Bild: BMW

Das Fahren nach Level 2 ist in vielen Autos mittlerweile gang und gäbe. Während sich bei immer mehr Herstellern im Luxussegment der Schritt zu Level 3 anbahnt, gibt es mit Level 2+ auch eine Weiterentwicklung in der niedrigeren Klasse, die am Beispiel des Autobahnassistenten im neuen BMW i5 zeigt, dass sie im Alltag mehr bringt.

Autos mit Level-3-Assistenzsystem

Beherrscht ein Auto das Fahren nach Level 2, lassen sich Gas und Bremse vollständig an das Fahrzeug übergeben, während dieses vom Assistenzsystem in der Spur gehalten wird und beim Lenken unterstützt. Dabei kann das Lenkrad aber nur kurzzeitig losgelassen werden, die Fahraufgabe bleibt vollständig beim Fahrer. Erst mit Level 3 übergeht diese an das Auto und erlaubt somit Nebenbeschäftigungen, weil ganz legal nicht mehr auf den Verkehr geachtet werden muss. Mercedes-Benz bietet ein solches System mit dem Drive Pilot (Test) in der S-Klasse und im EQS an. BMW will mit dem 7er eine entsprechende Lösung anbieten, bei Kia soll der EV9 später Level 3 beherrschen, bei Volvo der EX90 und bei Polestar sind spätere Umsetzungen für den Polestar 3 und 4 geplant.

Level 3 ist noch auf 60 km/h beschränkt

Das einzige derzeit in Deutschland verfügbare Level-3-Assistenzsystem von Mercedes-Benz ist aktuell auf 60 km/h beschränkt und dient damit primär als Staupilot auf der Autobahn. Auch bei BMW wird die Lösung im 7er zu Beginn nicht schneller, aber immerhin auch bei Nacht fahren können. Bei Mercedes-Benz will man bis Ende des nächsten Jahres auf 90 km/h gehen, die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h wird erst für Ende des Jahrzehnts in Aussicht gestellt. Was aber wäre, wenn man mit einer anderen Umsetzung schon heute dauerhaft mit 130 km/h auf der Autobahn fahren könnte, ohne auch nur ein einziges Mal die Hände ans Lenkrad nehmen zu müssen?

Überblick der Funktionen des Autobahnassistenten
Überblick der Funktionen des Autobahnassistenten (Bild: BMW)

Level 2+ schließt die Lücke

In den Bereich zwischen Level 2 und 3 grätscht Level 2+, das nüchtern betrachtet zu Level 2 gezählt werden muss, aber nicht mehr die Hände am Lenkrad verlangt. Im Gegensatz zu Level 3 bleibt die Verantwortung stets beim Fahrer, der ohne die bei Level 3 übliche Übernahmefrist von 10 Sekunden eingreifen können muss. Das ist zwar die Einschränkung bei Level 2+, auf der anderen Seite ist man aber nicht mehr auf 60 km/h limitiert und kann das Assistenzsystem bis 130 km/h bei langen Autobahnfahrten nutzen.

BMW i5 mit Autobahnassistent

Eine entsprechende Lösung bietet BMW mit dem Autobahnassistenten für den neuen i5 jetzt auch in Deutschland an. Zuerst war Level 2+ bei BMW im aktuellen 7er respektive i7 in den USA zugegen, jetzt kommt die Umsetzung anhand des i5 auch nach Deutschland, bevor nächstes Jahr zusätzlich der 7er hierzulande die entsprechenden Fähigkeiten erhalten soll.

Das kostet das Assistenzsystem

Der neue i5 startet als Basismodell „eDrive40“ zum Preis von 70.200 Euro. Im Konfigurator ist der Autobahnassistent für 850 Euro zu finden, mit der Auswahl gehen aber Abhängigkeiten einher, wodurch die Gesamtkosten der Sonderausstattung auf 4.950 Euro steigen. Durch die Auswahl kommen nämlich das Innovationspaket für 2.100 Euro (Live Cockpit Professional, Natural Interaction, Innenraumkamera, Parking Assistant Plus) sowie der Driving Assistant Professional für 2.000 Euro hinzu. Erst damit sind alle für den Autobahnassistenten benötigten Komponenten im Cockpit und aufseiten der Sensorik an Bord.

Aus 850 Euro werden im Konfigurator 4.950 Euro
Aus 850 Euro werden im Konfigurator 4.950 Euro

Viel günstiger als Level 3 bei Mercedes-Benz

Das ist beileibe nicht wenig Geld, aber deutlich weniger, als man für Level 3 beim Stuttgarter Mitbewerber zahlen muss. In der S-Klasse mag das Fahrassistenz-Paket mit Drive Pilot zunächst zwar nur 5.950 Euro kosten, durch die einhergehende Pflicht für das Park-Paket mit Remote-Parkfunktionen, das 3D-Fahrerdisplay, die Scheibenwischer Magic Vision Control und das Keyless-Go-System mit flächenbündigen Türgriffen liegen die effektiven Kosten aber bei über 11.000 Euro. Nach jüngsten Aussagen von Nicolai Martin, Bereichsleiter für automatisiertes Fahren bei BMW, steht fest, dass Level 3 dort ähnlich viel kosten wird. Level 2+ bleibt unterm Strich eine deutlich günstigere Lösung.

Fließender Übergang von Level 2 zu 2+

Dass man im i5 den Driving Assistant Professional zwangsweise mitbestellen muss, kommt nicht von ungefähr, denn schließlich ist der Autobahnassistent nach Level 2+ so umgesetzt, dass er aus dem Fahren nach Level 2 heraus im Rahmen des Driving Assistant Professional initiiert wird. Der Übergang ist fließend, sodass man zum Beispiel bereits unter Verwendung des Driving Assistant Professional nach Level 2 auf die Autobahn fährt, dort ein kurzes Stück diesen Modus verwendet und dann im Fahrer-Display angezeigt bekommt, dass jetzt zusätzlich die Hände vom Lenkrad genommen werden können – und das dauerhaft.

Die Bereitschaft des Fahrzeugs für den Autobahnassistenten wird dem Fahrer im Fahrer-Display (bei BMW „Information Display“ genannt) über den grünen Hinweis „Assist Plus“ unterhalb der beiden Piktogramme für die aktive Längs- und Querführung angezeigt. Sobald dieser Schriftzug zu sehen ist, können die Hände vom Lenkrad genommen werden, woraufhin zwei LED-Anzeigen auf der linken und rechten Speiche grün eingefärbt leuchten. Parallel dazu erscheint auf dem zentralen „Control Display“ ein Hinweis zum „Assisted Driving Plus“, der erläutert, in welchen Situationen das Assistenzsystem genutzt werden kann und dass die Verantwortung beim Fahrer liegt.

Kamera stellt Aufmerksamkeit sicher

Die Aufmerksamkeit des Fahrers wird über eine Kamera im digitalen Kombiinstrument sichergestellt. Über diese ermittelt das Auto, ob der Blick des Fahrers dem Verkehrsgeschehen und nicht etwa dem Beifahrer oder den Bildschirmen im Auto gilt. Beim ersten Ausprobieren des Autobahnassistenten wurden aus Neugier für längere Zeit die neuen Grafiken im Fahrer-Display beobachtet, was das System bereits nach wenigen Sekunden mit einem Hinweiston und einer visuellen Information quittierte, dass eine Ablenkung festgestellt wurde. Wird der Blick anschließend wieder auf den Verkehr gerichtet, verschwinden die Hinweise und die Fahrt kann unterbrechungsfrei im Modus für Level 2+ fortgesetzt werden.

Eskalationsstufen wie bei Level 2

Verlangt das Assistenzsystem vom Fahrer, dass eine Stufe niedriger nur noch mit Level 2 gefahren werden muss, blinkt das Lenkrad entsprechend auf und im Fahrer-Display erscheint eine Animation, die zum Griff an das Lenkrad auffordert. Wie bei bisherigen Level-2-Systemen gibt es mehrere Eskalationsstufen, wenn den Aufforderungen nicht nachgegangen wird. Auf weitere optische und akustische Hinweise folgt im Zweifelsfall der Nothalt innerhalb der eigenen Spur, wenn zum Beispiel ein medizinischer Notfall vorliegt.

Entspanntes Hands-off-Fahren mit 120 km/h

Zur ersten Ausfahrt mit dem System in Lissabon ließ man es aber nicht so weit kommen und saß stattdessen entspannt hinterm Steuer, während das Auto eigenhändig und souverän mit automatisch gesetzten 120 km/h über die Vasco-da-Gama-Brücke der Autobahn A12 stadtauswärts in Richtung Südosten nach Montijo navigierte. Schnell wurde dabei klar, dass Level 2+ zumindest aktuell in der Praxis einen deutlich höheren Nutzen hat als Level 3, das in aktuellen Umsetzungen lediglich im Stau genutzt werden kann. Mit Level 2+ lässt sich zwar nicht auf dem Infotainmentsystem das In-Car-Gaming oder Videostreaming von BMW nutzen, jedoch ermöglicht es über Hunderte Kilometer am Stück das Hands-off-Fahren mit hoher Geschwindigkeit. Während das Tempolimit in Portugal bei 120 km/h liegt, funktioniert der Autobahnassistent in Deutschland mit bis zu 130 km/h.

GIF Fließender Übergang von Level 2 zu Level 2+

In Lissabon war man mit den Testfahrzeugen von BMW auf kürzeren Streckenabschnitten unterwegs, aber nicht weniger reibungslos. Eigentlich hat BMW für Portugal noch keine entsprechende Zulassung, diese liegt dem Unternehmen ausschließlich für Deutschland vor. Mit entsprechend deklarierten Testfahrzeugen und Personal von BMW auf dem Beifahrersitz war das Fahren nach Level 2+ dennoch im Süden Europas möglich.

Spurwechselassistent mit Blick-Bestätigung

Sogenannte „Automated Lane Keeping Systems“ (ALKS) für Level 3 sollen künftig auch eigenständig Spurwechsel vornehmen können, bislang ist das aber noch nicht der Fall. Das Level-2-Plus-System von BMW kommt einer solchen zukünftigen Lösung aber bereits sehr nahe. Denn zum Autobahnassistenten gehört auch der aktive Spurwechselassistent mit Blick-Bestätigung, der die für ein Überholmanöver notwendigen Lenkbewegungen und Anpassungen der Fahrgeschwindigkeit für den Fahrer ausführen kann, nachdem dieser den Vorgang über eine Blick-Bestätigung in den Außenspiegel bestätigt hat.

GIF Spurwechselassistent mit Blick-Bestätigung

Kein Schulterblick mehr notwendig

Diese zusätzliche Funktion hebt das gesamte Assistenzsystem auf eine völlig neue Stufe, an die man sich erst einmal gewöhnen muss. Denn es ist zu Beginn schon ein wenig „creepy“, wenn das Auto im Fahrer-Display und über einen akustischen Hinweis einen Spurwechsel empfiehlt und dieser dann lediglich über einen kurzen Blick in den Außenspiegel vollständig automatisiert ohne weitere Eingriffe des Fahrers zuverlässig ausgeführt wird. Einen Schulterblick, wie man ihn üblicherweise in einer fließenden Bewegung mit dem Blick in den Außenspiegel durchführen würde, setzt das Assistenzsystem nicht voraus. Wird ein Spurwechsel vorgeschlagen, ist das Umfeld des Fahrzeugs längst durch die Sensorik überprüft worden. Den Schulterblick braucht es nicht mehr, der Blick in den Außenspiegel dient lediglich noch der finalen Bestätigung.

Der Spurwechselassistent macht immer dann einen Vorschlag für den Spurwechsel, wenn innerhalb der eigenen Spur nicht die automatisch über die Schilder erkannte und vom Driving Assistant Professional übernommene Geschwindigkeit gehalten werden kann und die auf der linken Seite benachbarte Spur zudem frei ist. In die entgegengesetzte Richtung lässt der Spurwechselassistent den Fahrer aber nicht zum Linksspurschleicher verkommen und empfiehlt nach wenigen Sekunden bereits die Rückkehr auf eine Spur weiter rechts – im konkreten Beispiel die mittlere Spur der A12 in Lissabon.

Ganz nach rechts nur mit Blinkerhebel

Empfehlungen für die Spur ganz rechts werden vom Spurwechselassistenten jedoch nicht ausgesprochen, zumindest lassen sie sich nicht per Blick-Bestätigung ausführen. Auf die Spur ganz rechts lässt sich mit einem minimalen manuellen Eingriff wechseln, indem kurz der Blinkerhebel in die entsprechende Richtung angetippt wird. Die notwendigen Lenkbewegungen und Anpassungen der Fahrgeschwindigkeit führt der Spurwechselassistent im Anschluss wieder eigenständig durch, die Hände können auch hier dem Lenkrad fern bleiben. Und auch in diesem Szenario stellt die Sensorik vor dem Spurwechsel sicher, dass die ausgewählte Spur frei ist und signalisiert diesen Zustand über eine entsprechende Grafik, sodass kein Schulterblick mehr notwendig ist.

Fazit

Das Zusammenspiel aus dauerhaftem Hands-off-Fahren und Spurwechseln lediglich mit kurzem Blick in den Außenspiegel funktionierte in Portugal einwandfrei und stellt für die Langstrecke einen deutlichen Komfortgewinn dar, den Level 3 zumindest aktuell noch nicht bietet, weil dort noch eine Beschränkung auf 60 km/h hingenommen werden muss. Von Level 3 hat man derzeit nur etwas, wenn man im stockenden Verkehr oder Stau steht, für das eigentliche Fahren auf der Langstrecke bringt Level 2+ jedoch viel mehr. Idealerweise werden eines Tages beide Technologiestufen in einem Fahrzeug angeboten. So könnte man sich im Stau Nebenbeschäftigungen widmen, ohne auf den Verkehr achten zu müssen, während bei höheren Geschwindigkeiten Level 2+ den Großteil der Fahraufgabe übernimmt. Im 7er sollen nächstes Jahr erstmals beide Stufen verfügbar sein.

Testfahrzeug des BMW i5 mit Autobahnassistent
Testfahrzeug des BMW i5 mit Autobahnassistent (Bild: BMW)

ComputerBase hat Informationen zu diesem Artikel von BMW im Rahmen einer Veranstaltung des Herstellers in Portugal unter NDA erhalten. Die Kosten für Anreise, Abreise und zwei Hotelübernachtungen wurden von dem Unternehmen getragen. Eine Einflussnahme des Herstellers auf die oder eine Verpflichtung zur Berichterstattung bestand nicht. Die einzige Vorgabe war der frühestmögliche Veröffentlichungszeitpunkt.

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