Atari 2600+ im Test: Eigene Cartridges, ROM-Dateien und Fazit
4/4Auch Nutzung der eigenen Module-Sammlung möglich
Ein großes angepriesenes Feature des 2600+ ist die Fähigkeit, auch originale Module nutzen zu können. Zu diesem Zweck hat Atari eine Kompatibilitätsliste (PDF) erstellt, die viele bekannte Titel enthält. Die meisten Spiele sollen demnach auch auf dem 2600+ ohne Probleme nutzbar sein, bei manchen wenigen Titeln kann es jedoch zu Problemen kommen. Das ist meist dann der Fall, wenn die Cartridge zusätzlich verbaute Elektronik in Form von Speicherchips oder Ähnlichem enthält. Dies ist unter anderem bei Pitfall 2 der Fall. Ob diese Probleme über spätere Firmware-Updates behoben werden können, bleibt abzuwarten. Im Test ließen sich die beiden Titel Demon Attack von Imagic und Moon Patrol von Atari jedoch ohne Probleme verwenden. Ob die mitgelieferten neuen Module auch an einem alten Atari VCS, Atari 2600 oder Atari 7200 funktionieren würden, konnte mangels originaler Hardware nicht überprüft werden.
Auch wenn das VC-System zunächst nur für zwei Weihnachtsgeschäfte geplant war, konnte sich die Konsole fast 15 Jahre am Markt behaupten – und das trotz leistungsfähigerer Konkurrenz wie das in der Zwischenzeit erschienene Nintendo Entertainment System (NES) oder der Commodore 64.
Dazu trug nicht zuletzt auch der Preis bei, der durch neue und günstiger herzustellende Versionen immer weiter zurückging. So erschien bereits ein paar Jahre später eine revisionierte Version des Atari VCS (CX-2600A) mit lediglich vier Schaltern in Front. Erst 1986 führte Atari die noch heute bekannte Bezeichnung „2600“ mit dem 2600 Junior (CX-2600) in den Produktnamen mit ein. Die lange Lebensdauer des VCS beziehungsweise 2600, die schließlich in rund 30 Millionen verkauften Exemplaren mündete, ist aber vor allem einer Sache zuzuschreiben, die gleichzeitig den Untergang der Konsole einläutete: den Spielen.
Lange Zeit schafften es Atari und die im Laufe der Zeit immer weiter wachsende Zahl an Drittherstellern, Besitzer der Konsole mit neuem Spielspaß zu versorgen. Dabei entstanden Klassiker, die ihren Weg auch in die Popkultur gefunden haben: Asteroids, Defender, Frogger und nicht zuletzt Pac-Man, das mit rund 7,7 Millionen abgesetzten Einheiten das meistverkaufte Spiel für den VCS/Atari 2600 darstellt.
Ein Spiel verdeutlicht das Problem
Es gibt aber auch Negativbeispiele: So wird die Spieleumsetzung des Spielberg-Films „E.T.“ von nicht wenigen Kritikern und Spiele-Fans als das schlechteste Video-Spiel überhaupt bewertet. Die schlechte Qualität hat aber ihren Grund: Um den Titel noch zum Weihnachtsgeschäft 1983 in die Läden zu bringen, hatte Entwickler Howard Scott Warshaw, der sich vorher bereits mit Yar's Revenge einen Namen gemacht hatte, gerade mal fünf Wochen (andere Quellen sprechen von sechs Wochen) zur Erstellung des Spiels Zeit. Heraus kam den Kritiken nach ein liebloser Jump-'n'-Run-Titel, bei dem der kleine Außerirdische die meiste Zeit in irgendwelche Löcher fiel. Während die meisten für die Konsole veröffentlichten Games meist selbsterklärend waren, wusste bei „E.T.“ keiner so richtig, was er eigentlich machen musste.
Auch wenn es sich anfangs noch gut verkaufte, wurde das Spiel nicht nur zu einem Image-Problem, sondern vor allem zu einem finanziellen Desaster für Atari. Wegen des großen Erfolges des Films rechnete Warner mit hohen Absatzzahlen und stellte im Vorlauf bereits 5 Millionen Module des Titels her – verkauft wurden am Ende aber nur 1,5 Millionen. Zur Legendenbildung des Spiels trug bei, dass Warner die nicht verkauften Exemplare still und heimlich mit anderen unabgesetzten Cartridges wie Centipede und Raiders of the Lost Ark auf einer Müllkippe in Alamogordo, New Mexico, vergraben ließ.
Lange Zeit hielt sich diese Aktion nur als Gerücht, obwohl einige der am Nachmittag des 22. Septembers 1983 durch das kleine Städtchen rollenden LKW die eine oder andere Kiste auf ihrer Fahrt verloren und somit den Anwohnern im wahrsten Sinne des Wortes funktionierende Spielemodule frei Haus lieferten – wenn auch ungewollt. Der damalige Bürgermeister von Alamogordo bestritt zunächst jedoch, dass es eine solche Aktion überhaupt gegeben haben soll.
Anfang 2014 versuchte eine von Fuel Industries und Microsoft initiierte Suche, Licht ins Dunkel zu bringen. Am 26. April stieß das Team dann nach einiger Suche an der vermuteten Stelle auf zahlreiche, teils noch original verpackte Spielemodule. Der Filmproduzent Zak Penn hat die Suche nach den vergrabenen Modulen begleitet und in der Dokumentation „Atari: Game Over“ zusammengefasst.
Spiele-Crash nicht durch Außerirdische verursacht
„E.T.“ wurde lange Zeit als der Hauptgrund für den großen Crash im Spielesegment verantwortlich gemacht, was rückblickend etwas zu hoch gegriffen war. In seinem Buch „Once Upon Atari – How I Make History By Killing An Industry“ kommt Entwickler Warshaw zu dem Schluss, dass das Spiel zwar nicht für das Ende des Hypes verantwortlich war, aber symptomatisch für die damaligen Denk- und Handelsweisen der Branche stand: Man kann dem Kunden alles andrehen, solange nur ein bekannter Name draufsteht.
Ein weiterer Aspekt zum abnehmenden Interesse gegenüber der Atari-Konsole waren die schiere Menge an stetig veröffentlichten Spielen und die immer weiter abnehmende Qualität. Während normale Titel zur damaligen Zeit in den USA meist für 20 bis 30 US-Dollar angeboten wurden, machten gesunkene Herstellungskosten es möglich, auch den Low-Price-Sektor zu bedienen, womit immer mehr Titel für 5 US-Dollar auf dem „Grabbeltisch“ landeten. Gerade Eltern fragten sich nicht selten, warum sie für ihren Nachwuchs 30 US-Dollar für einen einzigen Titel zahlen sollen, wenn sie aus der direkt daneben stehenden Wühlkiste für den gleichen Preis sechs Spiele hätten haben können. Die Enttäuschung über die schlechte Qualität folgte jedoch meist direkt auf dem Fuße. Auch wenn bis zum Produktionsstopp der Atari-Konsole weiterhin hervorragende Titel veröffentlicht wurden, war der Markt schließlich völlig übersättigt.
ROM-Dateien nur mit Hilfsmitteln
Die Möglichkeiten, eigene ROM-Dateien nutzen zu können, bietet der Atari 2600+ von Hause aus nicht. Im Gegensatz zu anderen Retro-Systemen fehlt dem 2600+ dafür vor allem die Möglichkeit zum Anschluss vom Speichermedien. Dies würde sich, wie bereits beschrieben, zwar eventuell über einen Hub am USB-C-Anschluss für die Stromversorgung realisieren lassen, ob die Entwickler das auch vorsehen, bleibt jedoch abzuwarten. Über den Umweg über spezielle mit einem SD-Slot versehene Modulen wie der UnoCart lassen sich dennoch ROM-Dateien auf den 2600+ bringen. Die Cartridges sind mit rund 50 Euro allerdings nicht günstig, auch wenn Bausätze preislich etwas darunter liegen.
Fazit
Atari hat bei der Neuauflage des VCS beziehungsweise 2600 vieles richtig gemacht und dennoch ist die neue Retro-Konsole nicht perfekt. Aber der Reihe nach.
In puncto Verarbeitung gibt es nichts zu bemängeln, auch die Gestaltung dürfte zumindest die Freunde der Spielekonsole, die das Original miterlebt haben, freudig stimmen. Die Kritik der geringen Größe kann so nicht stehen gelassen werden, zumal sie nicht dafür sorgt, dass wichtige Bedienelemente fehlen oder die Konsole dadurch schlechter bedient werden kann – im Gegenteil, alles ist so wie beim (zweiten) Original. Im Gegensatz zu diesem braucht die neue Elektronik jedoch deutlich weniger Platz.
Auch der Autor dieses Tests begann seine „IT-Karriere“ 1983 mit einem Atari VCS. Obschon er 1986 zum C64 und 1990 schließlich zum Amiga 500 und damit ins Commodore-Lager wechselte, blieb er Atari in einer bestimmten Form noch viele Jahre treu: Denn auch wenn der Amiga 500 seinerzeit über hervorragende Audio-Qualitäten verfügte, bei der Musikproduktion hatte der Atari 1040 ST aufgrund der integrierten Midi-Schnittstellen die Nase deutlich vorne. Und so war ein solcher in Kombination mit dem damaligen De-facto-Standard Cubase ein langjähriger und treuer Begleiter des Autors.
Dass Atari sich dazu entschieden hat, mit dem 2600+ auch originale Cartridges zu unterstützen und zudem neue zu veröffentlichen, ist ebenfalls positiv zu bewerten – die dafür aufgerufenen Preise dagegen eher weniger. Ob ein Modul mit vier weiteren Spielen 40 Euro oder ein Einzeltitel 30 Euro kosten muss, darf angezweifelt werden. Natürlich trägt Atari das unternehmerische Risiko und will seine Investitionen schnell wieder eingenommen wissen. Dass jedoch ebenso ROM-Dateien nicht nativ unterstützt werden, dürfte nicht jedem Retro-Fan gefallen. Darüber hinaus lässt die bisherige Auswahl viele bekannte Titel vermissen. Es bleibt zu hoffen, dass Atari sie sich nur für spätere Module-Sammlungen aufheben will.
Dass die Entwickler viel Wert auf eine originalgetreue Abbildung gelegt haben, zieht auch Nachteile nach sich: So verfügt der 2600+ nur über die vom Original bekannten Einstellungsmöglichkeiten, tiefergehende Anpassungen wie eine emulierte Zeilenrasterung, um die Spiele wie auf einem damaligen Röhrenfernseher erscheinen zu lassen, fehlt gänzlich. Auch die Wahl des jeweiligen Spieles bei den beiliegenden Modulen mittels einer Kombination aus kleinen Schaltern ist nicht unbedingt etwas Intuitives und schon gar nichts für Nutzer mit großen Fingern. Hier hätten die Entwickler, wie bei anderen Retro-Konsolen und -computern auch, das Original Original sein lassen sollen und die Auswahl über ein Menü realisieren müssen.
Spielen macht mit dem Atari 2600+ dennoch einen großen Spaß – wenn die richtigen Titel gefunden wurden, denn hierbei trennt sich wie so oft die Spreu vom Weizen. Nicht wenige Titel wirken heute langweilig, aber es gibt ebenso genügend, bei denen der Spielwitz im Vordergrund steht und eben keine bombastische Grafik, die eine gerade mal mittelmäßige Spielidee übertünchen kann. Darüber hinaus können manche Vertreter auch heute noch recht fordernd sein.
Der mitgelieferte Joystick liegt beim Spielen gut in der Hand und verrichtet solide seine Arbeit. Wer das Original noch kennt, wird jedoch den kleinen, durch die auf der Platine aufgelöteten Druckkontakte hervorgerufenen Widerstand vermissen. Bei den Spielen, für die sich die Paddles besser eignen, kann der Nutzer einige Zeit brauchen, bis er den richtigen „Dreh“ heraus hat und den Controller präzise steuern kann. Bis dahin sind jedoch zahlreiche virtuelle Tode zu sterben.
Aufgrund der zumindest aktuell noch enthaltenen Limitierungen dürfte das Atari 2600+ eher Enthusiasten oder Puristen unter den Retro-Fans ansprechen – dabei vor allem diejenigen, die bereits über eine umfangreiche Spielesammlung in Form von Originalmodulen verfügen. Gelegenheitsspieler dürften dagegen eher weiterhin zu den bekannten Software-Emulatoren greifen.
ComputerBase wurde das Atari 2600+ leihweise von Atari für diesen Test zur Verfügung gestellt. Eine Einflussnahme des Herstellers auf den Testbericht fand nicht statt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestand nicht. Es gab kein NDA.
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