Das sagte ich nicht. Aber eins geht daraus hervor. Die gefährdete Personengruppe hat eine doch sehr begrenzte Restlebenszeit. Das klingt zynisch, weil jedes Leben wertvoll ist. Aber es ist eine Tatsache. Ihnen bleiben wenn nur wenige Jahre. Die Aussagen von meinem Opa sollen auch nur verdeutlichen, dass den Menschen dieser Altersgruppe bewusst ist dass ihre Lebensspanne nur noch sehr begrenzt ist.
Oder um Reich-Ranicki zu zitieren:
Wenn man wie ich über 90 Jahre alt ist, steht einem der Tod immerzu vor Augen.
Und diese wertvolle Zeit wollen sie noch so intensiv wie möglich nutzen. Nicht im Krankenhaus nicht isoliert.
Und zu dem was hier gerade gesellschaftlich passiert. Und warum die Staaten so reagieren, wie gerade jetzt. Gibt es einen interessanten Artikel aus dem Jahr 2015. Er ist etwas länger aber hier ein paar Auszüge daraus:
Seuchen machen Sündenböcke. Als bekanntestes Beispiel gilt nach wie vor jene Pestpandemie der 1340er Jahre, die als "Schwarzer Tod" über die ganze Welt zog und allein in Europa zwischen 30 und 50 Prozent aller Menschenleben forderte. 1348 kam das Gerücht, Juden seien Brunnenvergifter und "Pestbringer.... Die Seuche – das waren immer die "Anderen". Dieses othering bot zeitgenössischen Ängsten eine perfekte Projektionsfläche. Damit dienten Seuchen der Identitätsstiftung. Schließlich machte die Ausgrenzung und Stigmatisierung des "Anderen" im Umkehrschluss deutlich, wofür das "Eigene" stehen sollte. Der Sozialwissenschaftler Marco Pulver hat von "Seuchenmythen" insofern gar "als Quelle sozialer Kalibrierung" gesprochen.[8]
Heute sind es nicht die Juden sondern all jene, die sich vermeintlich falsch verhalten.
"Infektionsherde", "Brutstätten" oder "Einfallstore" für Epidemien standen und stehen immer wieder im Fokus von Bekämpfungsstrategien. Schon im Angesicht des "Schwarzen Todes" galten Isolierung und Quarantäne als Sicherheitsmaßnahmen, mit denen sich die Pest kontrollieren ließ. Im 15. Jahrhundert führten italienische, später auch andere europäische Städte zudem "Gesundheitspässe" ein, mit denen Reisende in Pestzeiten ihre Einreise aus "gesunden" Gegenden nachzuweisen hatten.[22] ...
Zwar standen die Probleme solcher Grenzziehungen bald allen Betroffenen deutlich vor Augen. Gemeinden, Städte oder ganze Regionen ließen sich schwerlich gegen Krankheitserreger abschirmen. Tiere, Handelswaren und Lücken in den Seuchenkordons durchkreuzten immer wieder Schutzmaßnahmen. Dennoch dominieren "Seuchenherde" und "Einfallstore" bis heute den Umgang mit Seuchen. Die anhaltende Attraktivität von Raumkonzepten hat nicht allein epidemiologische Gründe. Darüber hinaus versprechen sie eine "Verortung" von Seuchen und damit eine Rationalisierung der Bedrohung. Die Lokalisierung infizierter Räume suggeriert insofern eine Lokalisierung auch im übertragenen Wortsinne: In der räumlichen Dimension erscheint die Seuche sichtbar und ihre Bekämpfung planbar. ...
Und das Fazit des Artikels:
Eine Sozial- und Kulturgeschichte von Seuchen bietet tiefe Einblicke in historische Gesellschaften und ihre Grundlagen, indem sie den Aushandlungsprozessen sozialer Ordnungen nachspürt, den Raumkonstruktionen, Selbst- und Fremdbildern und den Legitimationszwängen des Staates. Diese Aushandlungsprozesse werden in drei Perspektiven sichtbar.
Erstens fordern und fördern Seuchen Aushandlungen über "uns" und die "Anderen" und damit über Moral- und Wertvorstellungen, über Rollenmuster und Menschenbilder. Seuchen sind somit ein Medium der Identitätsbildung und Normierung. Zweitens erfordern Seuchen eine Verständigung über soziale Räume. Die Denkfigur der "Ansteckung" konstruiert "Seuchenherde", "Infektionswege", "Einfallstore", "Keimträger", die mit "Seuchenkordons", Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen in Schach gehalten werden sollen. Darüber hinaus befeuern Seuchen soziale Grenzziehungen: zwischen "immunisierten" und "infizierten" Ländern, Regionen, Städten und damit zwischen Gesunden und Kranken. Drittens stehen Seuchen und Staaten in einem zweifachen Spannungsverhältnis. Einerseits birgt das Auftreten von Epidemien Gefahren, da es die Gunst und Legitimität der Herrschenden infrage stellt. Bis heute stehen Seuchenzüge für das Scheitern des Staates, zuletzt wieder einmal in den failed states Afrikas während der Ebola-Epidemie. Andererseits avancierte die Seuchenbekämpfung in der Moderne zu einem Aktivposten von Interventionsstaaten und zu einem Wahlkampfschlager für Politiker, die ihre Leistungsfähigkeit im Sieg über die Seuche unter Beweis stellten – und nach wie vor stellen.
Seit der Frühen Neuzeit gingen Seuchen und Staaten ein besonders intimes Verhältnis ein. Mit der "Medikalisierung" Europas und dem Aufbau staatlicher Gesundheitswesen rückte die Seuchenbekämpfung ganz oben auf die politische Agenda. Der Philosoph Michel Foucault hat die Pest in diesem Zusammenhang sogar als einen "Traum" der Regierenden bezeichnet. Seit dem 17. Jahrhundert gab die Pest demnach "die Probe auf die ideale Ausübung der Disziplinierungsmacht". Staatliche Akteure "träumten vom Pestzustand, um die perfekten Disziplinen funktionieren zu lassen".[34] In Foucaults Lesart waren Seuchen die Geburtshelfer moderner Staaten, die ihre Regierungstechnik im Kampf gegen Pocken, Pest und Cholera erprobten.
Vor allem die "Sanierung" von "Seuchenherden" avancierte schnell zu einem Lieblingsprojekt des Nationalstaates, was im Übrigen die oben genannte Attraktivität von Raumkonzepten seit dem 19. Jahrhundert erklärt. Epidemien erschienen nun nicht nur als Bedrohung, sondern ebenso als Herausforderung, ja als Chance für den Interventionsstaat, der seine Handlungsfähigkeit in der Seuchenbekämpfung unter Beweis stellte.
Quelle: https://www.bpb.de/apuz/206108/infi...sozial-und-kulturgeschichte-von-seuchen?p=all
Es gibt ähnliche Publikationen, die zu ähnlichen Schlüssen kommen. Daher wiederhole ich mich an dieser Stelle, das es jetzt wichtig ist das Problem in seiner Ganzheit zu betrachten. Nur die Sicht der Virologen ist zu einseitig. Wird dem Problem und dessen gesellschaftlichen Folgen nicht gerecht und wird weitere unnötige Opfer mit sich bringen, wenn man es eben nicht tut.
Edit: Und sicher die Coronaparties sind unvernünftig und man muss etwas dagegen tun.. Aber solche Verhaltensweisen gab es bereits während der Pest und sind auch erklärbar:
Inmitten der Apokalypse gaben sich die Menschen den ausschweifendsten Vergnügungen hin. Die Klage über den Verfall der Sitten, die schon Thukydides in seiner berühmten Beschreibung der pestähnlichen Seuche im Athen des Jahres 430 v. Chr. angestimmt hatte – sie findet sich auch in zahlreichen, von Bergdolt zitierten spätmittelalterlichen Chroniken. Frauen und Männer kleideten sich in aufreizende Gewänder und frönten ungehemmt den Gaumen- und Sinnesfreuden. Der Hedonismus war, wie der Autor schön zeigt, ein Ventil; er sollte die Angst – diese alles dominierende Kollektiverfahrung des Pestalltags – betäuben. Auch viele Geistliche erwiesen sich als keineswegs immun gegen die Verlockungen des Dolce vita.
Quelle:
https://www.zeit.de/1994/37/gesellschaft-im-ausnahmezustand/komplettansicht
Damit will ich solche Verhaltensweisen nicht gutheißen. Aber ich fürchte, eine Ausgangssperre wird das Problem nicht lösen. Denn wenn die Menschen in der Situation mit all den Ängsten alleine sind, ohne Kontakte werden sie eher schlimmer und werden sich ein anderes Kompensationsventil suchen. Und ich glaube kaum, dass es dann besser wird.