j-d-s schrieb:
Übrigens kenne ich sogar ne ganze Reihe an Leuten die weit über 80 sind und es auch so sehen. Auch weil die eben nicht ein paar Jahre abwarten können, bis Corona vielleicht vorbei ist.
Da fällt mir dann nur ein englisches Sprichwort ein: "Put your money where your mouth is."
Will sagen, die können das gerne so sehen und auch entsprechend handeln - dann dürfen sie aber auch gerne eine entsprechende Patientenverfügung permanent bei sich tragen, die eine Intensivbehandlung wegen einer Corona-Infektion ablehnt.
Du schreibst ja selbst: keine Maßnahmen, dafür dürfen sich Risikogruppen selbst schützen. Muss die Nichtrisikogruppe dann eigentlich einfach so akzeptieren, dass z.B. entzündete Blinddärme wieder eine hochgradig lebensgefährliche Angelegenheit werden, nur weil mancher meint, es sei kein Problem für ihn persönlich, wenn er im hohen Alter für einige Wochen in der Klinik liegt?
Weniger Maßnahmen? Von mir aus gerne - aber dann sollen sich die Risikogruppen wegsperren. Meine Erfahrung ist diesbezüglich ähnlich wie deine. Da schwadronieren Ü60er, die ein Leben lang Kette geraucht haben darüber, man müsse einfach die Risikogruppen schützen - erkennen aber schrägerweise nicht (an), dass das direkt an ihre Adresse geht. Und, dass sie dann als Gruppe auch eine gesellschaftliche Verantwortung dafür tragen, eben nicht in großer Zahl gleichzeitig zu erkranken.
Risikoschwangerschaft? Du wirst schon Glück haben und nicht gerade kurz nach einem Ausbruch im Altenheim Komplikationen bekommen. Wobei ne, den Punkt mit den vereinzelten Ausbrüchen haben wir längst hinter uns. Jetzt müsste es korrekt lauten: "Wird schon schief gehen!"
Aber "schön" zu sehen, wie du dich in deiner Argumentation weiter zurückziehst. Viel bleibt dir neben deinem - mich zunehmend an ein bockiges Kind erinnernden - Fatalismus ja nicht mehr. "Dann hab' ich halt Pech gehabt!" vs. "Dann nimmst du mir eben meine Spielsachen weg!" Der Unterschied ist halt - und deswegen lassen wir Kindern dieses Verhalten ein Stück weit durchgehen - dass die anderen Kinder, die ihre Spielsachen behalten wollen, davon nicht tangiert werden.
Im Frühjahr war ja von mancher Seite viel davon zu lesen, wie viele Tote die geplante Absage von Elektivbehandlungen gekostet haben soll. Jetzt erzählen mir - befürchte ich - die gleichen Leute, dass es gar kein Problem wäre, wenn wir einen viel schlimmeren Zustand durch Überlastung herbeiführen. Falls du, lieber j-d-s das in der Vergangenheit nie kritisiert hast: Sorry, dann geht's nicht an deine Adresse.
Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen. Pro Jahr haben wir in normalen Zeiten etwa 2 Millionen Aufnahmen auf die Intensivstation (siehe
hier) oder - im Mittel - knapp 40 k pro Woche. Aber hey, kein Problem, wenn wir die 2, 3, 4 Monate nicht oder kaum versorgen können.
Kein wirtschaftliches Problem, weil die Leute nicht mehr arbeiten gehen und je nachdem, wen es trifft, Betriebe dann komplett im Arsch - weil ohne Führung - sind. Kein psychisches Problem für die Angehörigen, weil wenn der Papa halt an 'ner Blutvergiftung stirbt, gibt's für die kleine Mia-Sophie wenigstens ein hübsches Erbe. Vor allem aber - und das ist ja die Hauptsache - kein Spaßproblem, weil halt.
Gerade der Schutz "der Wirtschaft" ist ein vermeintliches Totschlagargument mit nicht ganz so viel Substanz wie gern behauptet. Wir könnten uns da ja mal darüber unterhalten, welcher Teil der dauerhaften wirtschaftlichen Schäden jetzt überhaupt auf
unsere Maßnahmen zurückzuführen ist.
Danach reden wir dann darüber, welchen Business-Case z.B. der deutsche Einzelhandel in Zeiten von Amazon u. co. überhaupt noch hat und wie lange das eigentlich noch hätte gut gehen sollen? Beratung? Hat das jemand mal ernsthaft in den letzten Jahren probiert?
Die Kinos sind hart getroffen? Deren Strategie gegen Netflix und Konsorten bestand in den letzten Jahren überwiegend darin, aufgewärmte Nachos für 12 € zu verkaufen. Again: Wie lange hätte das gut gehen sollen?
Ein Unternehmen ist nicht mehr handlungsfähig, weil die IT-Infrastruktur fehlt? Wie lange hätte das noch konkurrenzfähig bleiben sollen?
Nahezu die versammelte deutsche Autoindustrie ist seit Jahren zu nichts mehr zu gebrauchen, außer dazu, sich im Glanz der eigenen
Hybris zu sonnen. Aber klar, wenn die dann ins Stottern kommt, waren es ein paar Wochen Lockdown und nicht die Jahre an weitgehender Innovationsfreiheit garniert mit etwas Betrug und ganz, ganz, wirklich ganz sicher liegt das überhaupt gar nicht daran, dass es in deren Exportmärkten wegen der dortigen wirtschaftlichen Lage - auf die wir nebenbei bemerkt wenig Einfluss haben - bescheiden aussieht. Neuer Golf 8? Kannste haben! Mittelprächtig ausgestattet auch nur 40 k Liste, dafür von Bugs geplagt. Aber hey, im Gegensatz zu den blöden Amis und Chinesen mit ihren Technik-Spirenzchen haben wir perfekte, ich wiederhole: perfekte Spaltmaße. Wie lange hätte das ohne Corona eigentlich noch gut gehen sollen?
Unsere komplette Verwaltung ist aus der Steinzeit - das fällt uns jetzt auf, dafür geblecht haben wir aber seit Jahr(-zehnt)en. Wie lange hätte das noch gut gehen sollen?