Das Demografie-Problem in Deutschland

Jedenfall find ichs gut, dass in Deutschland jetzt auch Krippenplätze ausgebaut werden. Noch besser wäre es, wenn die Regierung für mehr Ganztagsschulen hierzulande sorgen würde. Viele Eltern scheinen Ihre Kinder heutzutage nicht mehr genug fordern und fördern zu können. Dann muss halt der Staat ran. Von mir aus könnten sie die notwendigen Investitionen für bessere Bildung ruhig durch hochsetzen des Renteneintrittsalters bewerkstelligen.
 
keshkau schrieb:
@Takama
Politik beschränkt sich nicht darauf, Almosen zu verteilen. Und wenn es erforderlich ist, Opfer einzufordern, dann wird man bei einer auf Nabelschau ausgerichteten Bevölkerung, die wenig politisch interessiert ist, kaum per Volksentscheid zum Erfolg kommen. Beim Thema Rente schon gar nicht. Denn dann dominieren beim Wahlvolk die Nehmerqualitäten: Alles haben wollen und die anderen können ja bezahlen. Das klappt natürlich nicht.

Wenn ich in der Regierung säße und über Fragen der privaten Altersvorsorge nachdenken müsste, würde ich mir ebenfalls Ratschläge aus der Versicherungsbranche holen. Denn das sind schließlich die Unternehmen, die einen Großteil der Verträge abwickeln sollen. Nun kann man argumentieren, dass einige wenige dort das große Geschäft wittern. Aber es handelt sich bei den Versicherungen um Aktiengesellschaften. Also kann jeder mitmischen, der will. Wenn DeinRenten- Aktienfond die DAX-Werte im Portfolio hat, profitierst Du als Versicherungsnehmer auch davon, wenn die Allianz Gewinne einfährt.

Außerdem sehe ich nicht, warum man nicht auch mit der Modernisierung von Schulen oder dem Bau und Unterhalt von Betreuungsplätzen Geld verdienen kann. Da wäre der Effekt für die Wirtschaft sogar noch größer, weil zusätzliches Personal beschäftigt werden muss. Für den Erziehungsbereich gilt das gleichermaßen.


Ich bezweifle, daß irgendeiner von den über 4 Millionen Arbeitslosen (Dunkelziffer eher 6 Mio.) , die über beide Reformen zurzeit überproportional stark finanziell zur Kasse gebeten werden, ein paar Tausend Euro für Aktien erübrigen kann, selbst dem Mittelstand oder dem normalen Angestellten würde das nur schwer gelingen. Die, die unter solchen Reformen zu leiden haben, müßten davon profitieren, es sind aber eben diese Personengruppen, die nie davon profitieren werden. Ich müßte die Armutsdebatte sowie die Mindestlohn-Debatte weiter ansprechen, um dir sachlich widersprechen zu können, das würde aber zu weit führen.

Kurz gefasst, vom Aktienbesitz profitieren Menschen, die es nicht nötig hätten Aktien zu besitzen
und nicht die Leidtragenden der angesprochenen Reformen.
Dem Satz "Also kann jeder mitmischen, der will." widerspreche ich ganz klar.
 
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Das Pensionalter mit 65(Männer) passt schon.
ABER das reale Antrittsalter ist in Österreich bei 58-59 Jahren.
Wird in D nicht sehr anders sein.

Denn ehrlich, kannst du dir vorstellen mit 67 noch zu arbeiten?
Und wer passt dann auf die Enkelkinder auf?
 
Und was, wenn die kommenden Generationen bis zu 110 Jahre und älter werden ? Sollen die dann 30-40 Jahre Rente beziehen ? Man muss sich doch den Begebenheiten anpassen.
 
Takama schrieb:
Dem Satz "Also kann jeder mitmischen, der will." widerspreche ich ganz klar.
Ich meinte das so: Wenn man heute private Rentenvorsorge betreibt (z. B. mit einem Pensionsfond), dann geschieht das mit Einkommen, das nicht versteuert wird. Das ist Geld, das man zusätzliich zur Verfügung hat, weil es nicht durch Steuern oder durch Sozialabgaben belastet wird. Ich habe die Wahl, das Geld weiterhin in der staatlichen Rentenkasse für mich arbeiten zu lassen oder mir z. B. Versicherungsanteile zu kaufen, wenn ich mir davon mehr verspreche.

Grundvoraussetzung für diese Rechnung ist natürlich, dass jemand überhaupt Einkommen erzielt. Wenn ich kein Einkommen habe, zahle ich keine Steuern und ich zahle auch nicht in die Rentenversicherung ein. Dann kann es mir auch egal sein, ob das Rentensystem reformiert wird oder nicht, weil ich in beiden Fällen leer ausgehe.

Aber ich weiß schon, worauf Du abstellst.

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franeklevy schrieb:
Weiten Kreisen unseres Volkes und gerade auch dem gutausgebildeten Bürgertum ist vermittelt worden, die Bevölkerungspyramide mit einem breiten Fuß und sich kontinuierlich wie eine Pyramide verjüngender Spitze sei etwas Erstrebenswertes.

Die Zwiebelform bekommt man nur, wenn massig Kinder geboren werden, die Menschen nicht zu alt werden und die Bevölkerungsmitte z. B. durch Kriege regelmäßig ausgedünnt wird. Davon sind wir glücklicherweise weit entfernt.

Wie ich eingangs beschrieben habe, reichen die Geburten nicht aus, um die Sterblichkeitsquote auszugleichen. Deshalb sinkt die Bevölkerungszahl (seit 2003) und der Rückgang nimmt jährlich zu. Wenn die Menschen gleichzeitig älter werden, wird die Zwiebel auf dem Kopf gestellt und zu einem Pilz, zumindest in der Phase, in der die geburtenstarken Jahrgänge im Rentenalter sind.

Das ist dann aber kein Taschenspielertrick der Versicherungsbranche, sondern Realität. Und für die Generation, die Anfang der 60er-Jahre geboren wurde, wird es auch die Realität bleiben, weil sie selbst kaum noch Kinder in de Welt setzen wird, während ihre Kinder, die zahlenmäßig hinter ihren Eltern zurückliegen, selbst nur wenige Nachkommen haben.

In 25 Jahren wird deshalb auch die Anzahl der Erwerbspersonen niedriger sein als heute, und zwar unabhängig davon, ob wir dann zwei oder vier Mio. Arbeitslose haben werden. Und dann erkläre einem heute 20-Jährigen doch einmal, dass er knapp die Hälfte seines zukünftigen Einkommens allein dafür abzwacken soll, um die Rente seiner Eltern zu finanzieren. Und das Gesundheitswesen wird bei der hohen Zahl alter Leute auch nicht preiswerter werden. Da werden die Jüngeren eher auswandern als sich darauf einzulassen.

Die Zahlen aus meinem beruflichen Umfeld zeigen ganz klar, wohin die Reise bei den Geburtenraten geht. Von 18 Akademikern haben drei jeweils zwei Kinder, zwei haben je ein Kind und 13 sind kinderlos, Auf 36 potenzielle Eltern entfallen also gerade einmal 8 Kinder, auch wenn sich deren Zahl noch erhöhen kann. Bei den Nicht-Akademikern sieht es etwas besser aus. Einmal sind zwei Kinder vorhanden, dreimal je ein Kind und zwei Kollegen sind kinderlos. Auf 12 potenzielle Eltern kommen hier immerhin noch fünf Kinder.
 
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Die Politik hat es in der Hand diesem Merkmal industrialisierter Gesellschaften zu begegnen, Merkmal deswegen, weil ich mich wehre es als "Problem" anzuerkennen.

Die allseits bekannten Machanismen, um die Geburtenrate zu steigern:
Familien finanziell begünstigen über das Steuersystem,
den Ausbau kostenloser Kinderbetreuung bin zum 3. Lebenjahr,
gesetzliche Stärkung des Status des Mutter/Vaterschaftsurlaub,
Erziehungsangebote- und Unterstützung der Arbeitnehmer mit Kindern in Unternehmen.

Der Wirtschaft ist es egal, der Arbeitsmarkt ist zu übersättigt, um sich um Interessen der Arbeitnehmer mit Kindern zu kümmern.
Und der Staat hat in den letzten 10 Jahren folgende Bevölkerungsgruppen steuerlich am meisten entlastet:
Gut verdienende Paare und Singles, weit vor Familien mit mehr als einem Kind und das Krippenangebot im Deutschland deckt gerade einmal 10% des Bedarfs.
Bisher bleiben alle derartigen Bemühungen aus, außer denen, die staatliche Leistungen in private Hand von Unternehmen legen.
Da vermisse ich mal wieder den Reformeifer wie bei der Hartz- sowie Gesundheitsreform. Wahrscheinlich lohnt es sich nicht!
 
Zuletzt bearbeitet: (Fullquote entfernt, bitte Regeln lesen.)
Ich bezweifele, dass das Argument mit der finanziellen Begünstigung bei den gut verdienenden Akademikern oder auch bei manchen DINKs durchschlagend ist. Wenn ich mir ein Paar vorstelle, bei dem jeder monatlich 3.000 Euro mit nach Hause bringt [müssen aber jetzt keine T-Com-Mitarbeiter sein :)], dann ist die finanzielle Einschränkung natürlich erheblich, wenn einer von beiden zu Hause bleibt. Aber Geldmangel dürfte weniger das Problem sein.

Ich vermute eher, dass z. B. die Frauen gerne arbeiten gehen und sich davor fürchten, als Nur-Hausfrau zu versauern oder später den beruflichen Wiedereinstieg nicht zu schaffen. Hier ist die "Unvereinbarkeit" von Kind und Karriere ein wichtiges Kriterium, das durch fehlende Ganztagsschulen und Kinderbetreuungsángebote verschärft wird.

Es ist in meinen Augen auch ein Witz, und das wurde oben schon angesprochen, dass z. B. Kindergartenplätze für die Eltern kostenpflichtig sind.


Und dann habe ich noch etwas Lektüre zur Unterstüzung der "Gegenseite", auch wenn es in dem Artikel in erster Linie um den Zusammenhang zwischen der Demografie und der gesetzlichen Krankenversicherung geht und meiner Meinung nach stellenweise recht schwach argumentiert wurde.

http://www.wz-berlin.de/ars/ph/download/demogrwandel.pdf
 
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Ich HABE mir das immer so vorgestellt, dass man an die kommenden Generationen einfach keine (oder weniger) Rente zahlt. Folglich würden diese dann mehr Kinder bekommen, welche sie dann, wenn sie alt sind versorgen und die Kasse entlastet.

Zum Thema. Es ist sowieso zwecklos, noch etwas zu tun. wir werden die Änderungen sowieso nicht mehr mitbekomen. Das einzige sofort wirkende Beispiel war die Pest, welche eine dramatische Verjüngung der Europäischen Bürger zur Folge hatte. Als ein Beispiel zur Verbesserung würde ich mir zum Beispiel Frankreich anschauen. Dort sieht man eine gute Familienpolitik.

mfG

Fritz Brause
 
Anmerkungen zum Aufsatz von Hagen Kühn (Link in # 27):

Das Statistische Bundesamt schrieb in einer Pressemitteilung vom 2. September 2005:

Im Deutschen Reich betrug 1871/1881 die durchschnittliche Lebens¬erwartung für neugeborene Jungen 35,6 Jahre, für neugeborene Mädchen 38,5 Jahre ... Im Gegensatz zu heute lag die Wahrscheinlichkeit, den 60. Geburtstag zu erleben, jedoch nur bei rund 30%.

Ein heute 40-jähriger Mann kann noch mit gut 37 weiteren Lebensjahren rechnen, eine 40-jährige Frau sogar noch mit gut 42 Jahren. Gehen beide im Jahr 2032 mit 67 Jahren in den Ruhestand, erhält der Mann im statistischen Durchschnitt noch gut 10 Jahre lang Rente, die Frau sogar noch gut 15 Jahre lang.

Die Sterbetafel 2002/2004 gibt die aktuellen Sterblichkeitsverhältnisse wieder. Danach kann statistisch jeder zweite Mann in Deutschland wenigstens 78 Jahre alt werden. Jede zweite Frau kann sogar mindestens ihren 84. Geburtstag erleben. Das 60. Lebensjahr können durchschnittlich 88% der Männer und 93% der Frauen erreichen.

Dr. Hagen Kühn schreibt in seinem Beitrag, dass „Sozialpolitik im Bezugsrahmen (Frame) von demographischer Alterung und Globalisierung thematisiert“ werde und argumentiert weiter: „Innerhalb des Bezugsrahmens einer ‚demographischen Zeitbombe‘ erscheinen Kürzungen in der Kranken- und Rentenversicherung nicht mehr als Resultate des Verteilungskonflikts zwischen Kapital und Arbeit, sondern als Ausdruck von Generationengerechtigkeit; die Sonderinteressen von Banken, Versicherungen und anderen Finanzdienstleistungsunternehmen erhalten den Anstrich privater Vorsorge für künftige Generationen.“

In Bezug auf den Verteilungskonflikt muss zunächst einmal betont werden, dass Unternehmer nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, sondern sich eigenverantwortlich um ihre Altersversorgung kümmern müssen. Die Rente ist folglich eine Sache der Arbeitnehmer, auch wenn die Beiträge je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern stammen. Es ist nicht das Problem eines Arbeitgebers, wenn seine Beschäftigten immer weniger Lust auf eigenen Nachwuchs verspüren oder wenn die Lebenserwartung steigt. Die Solidargemeinschaft der Rentenversicherten weiß, dass ihr System nach dem Umlageverfahren finanziert wird und die Versicherten tragen als Nutznießer im Grunde auch die Verantwortung für die Funktionsfähigkeit dieses Systems. In den vergangenen Jahren sind die Beiträge zur Rentenversicherung immer wieder verändert worden(1990: 18,7 %, 1998: 20,3 %), das heißt, auch die Arbeitgeber wurden verstärkt zur Kasse gebeten.

Und was den Punkt der „Sonderinteressen“ angeht. Da schreibt Kühn zum Thema der privaten, kapitalgedeckten Vorsorge:

Kapitaldeckung kann aber gesamtwirtschaftlich kein Generationsproblem lösen. Anders als Individuen oder Privatversicherungen kann eine Volkswirtschaft kein Geld in Gestalt von Altersrückstellungen auf die hohe Kante legen.

Der Staat ist demnach gar nicht in der Lage, eine kapitalgedeckte Altersvorsorge für die Bevölkerung aufzubauen! Dann sollte man sich aber auch nicht wundern, wenn Banken und Versicherungen für ihn einspringen, die sich zudem darauf spezialisiert haben. Oder möchte jemand seine Aktienfonds lieber von einem Beamten managen lassen?

Die kausale Beziehung zwischen Altersstruktur und Gesundheitsausgaben scheint selbstverständlich zu sein. Umso erstaunlicher ist der internationale Vergleich. Marmor hat für 20 Industrieländer der OECD Altersquotienten (Anteil der über 64jährigen an der Bevölkerung) und Gesundheitsausgaben (Anteil am BIP) gegenübergestellt. Die beiden Länder mit den ungünstigsten Altersquotienten sind Schweden und Norwegen. Man sollte also erwarten, dass sie auch die höchsten Ausgabenquoten aufweisen. Tatsächlich liegen sie aber an 13. bzw. 19. Stelle. Umgekehrt haben die USA die mit Abstand höchste Ausgaben-, aber eine überaus niedrige Altenquote (15. Stelle). In der OECD-Statistik findet sich nicht der kleinste Hinweis auf einen statistischen Zusammenhang zwischen Altersstruktur und Ausgaben.

Herr Kühn hätte ruhig darauf hinweisen können, dass sich die Gesundheitssysteme der hier angesprochenen Länder grundlegend voneinander unterscheiden. Schweden gab 1996 nur 7,6 % des BIP für sein Gesundheitswesen aus, die USA im Jahr 2003 hingegen etwa 15 %. Es ist allgemein bekannt, dass in den USA exzessiv operiert wird. Manche Eingriffe finden (bezogen auf die Bevölkerungszahl) zehnmal häufiger statt als in Deutschland. Vor diesem Hintergrund spielt die Demografie natürlich kaum noch eine Rolle.

Im Jahr 1900 kamen 12,4 Erwerbsfähige (15-64 Jahre) auf eine alte Person (über 64 Jahre), 50 Jahre später 6,9; nach weiteren 50 Jahren (2000) 4,1 und für 2050 werden 2,0 prognostiziert. Vor 100 Jahren war die Altersstruktur mehr als dreimal günstiger als heute. Müsste es für einen hochrechnenden Ökonomieprofessor nicht rätselhaft sein, wie in diesem Zeitraum der materielle Reichtum für alle Altersgruppen so enorm wachsen und parallel zur demographischen Alterung der letzten 50 Jahre das Sozialsystem ausgebaut werden konnte, das nun nicht mehr zu finanzieren sein soll?

Für den Vergleich von 1950 und 2000 genügt es nicht, allein auf das Verhältnis der Erwerbsfähigen zu den Alten abzustellen. 1950 waren viele Menschen mit 16 Jahren bereits berufstätig. Heute liegt das Alter für den Eintritt in das Erwerbsleben wesentlich höher. Deshalb berücksichtigt auch das Statistische Bundesamt heute bei der Ermittlung der Erwerbsfähigen erst das 20. Lebensjahr. Das ist die erste Ungenauigkeit.

Zweitens resultieren viele soziale Errungenschaften aus der wirtschaftlichen Blütezeit der Bundesrepublik, als es noch nennenswertes Wirtschaftswachstum gab, das diesen Namen verdiente. Adenauers ausschließlich umlagenfinanzierte Rente aus dem Jahr 1957 ist das beste Beispiel dafür. Damals betrug der Beitrag zur Rentenversicherung nur 14 %. In den Folgejahren wurde das Rentenniveau schrittweise von 60 % auf 70 % der Nettolöhne angehoben (das sollte bei der aktuellen Absenkungsdebatte nicht in Vergessenheit geraten). Anfang der 70er-Jahre kam der nächste Coup: Frühverrentung mit 63 Jahren, und zwar nach schon 35 Berufsjahren, anfänglich sogar ohne Abschläge. Dadurch sank das Renteneintrittsalter um 2,5 Jahre. Und schließlich genehmigte sich Helmut Kohl noch einen kräftigen Schluck aus der Pulle und gliederte die Bürger der DDR in das bundesdeutsche Rentensystem ein, ohne dass zuvor auch nur eine Ostmark eingezahlt worden wäre. Der später nachgeschobene demografische Faktor in der Rentenversicherung wurde 1998 von Bundeskanzler Schröder wieder aufgehoben.

Herr Kühn begnügt sich damit, die Altersquotienten zu vergleichen. Dabei sind die Gründe für die mangelnde Finanzierbarkeit der Sozialsysteme hinlänglich bekannt. Der Sozialstaat wurde nicht zuletzt auch durch neue Schulden finanziert. Bei Kühn kommt dieser Punkt erst gar nicht vor,

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Bei der Einnahmeentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung vergleicht Kühn das Jahr 2000 mit einer Prognose für 2050 und rechnet vor:

Die Belastung pro Erwerbsfähigem steigt um 27 Prozent. Wenn deren Produktivität in 50 Jahren um nur 27 Prozent steigt und dieses Wachstum verteilungsneutral realisiert wird, ist die Mehrbelastung ausgeglichen. Die höhere Zahl der von einem Erwerbsfähigen zu versorgenden Personen kann nur den erschrecken, der davon ausgeht, die Produktivität der Beschäftigten wachse in Zukunft nicht mehr.

Es folgen Hochrechnungen der Rürup-Kommission und der Herzog-Kommission, die für den betrachteten Zeitraum mit einer produktivitätsbedingten Einnahmesteigerung in Höhe von 140 bzw. 84 Prozent rechnen, was einer jährlichen Steigerung von 1,8 % bzw. 1,25 % entspricht. Damit wäre die Mehrbelastung ausgeglichen und ein Verteilungskampf zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern läge nur dann vor, wenn die Löhne langfristig weniger stark anstiegen als die Produktivität.

Auch dazu zwei Anmerkungen: Es wird so getan, als ob der zu erwartende Anstieg der Gesundheitskosten sozusagen nebenbei und im Handumdrehen erwirtschaftet werden könnte. Man kann es allerdings auch so sehen. Wenn über einen Zeitraum von 50 Jahren die Produktivität um ca. 100 Prozent steigen sollte, dann würde ein Viertel dieser Leistungssteigerung allein durch das Gesundheitswesen aufgebraucht werden. Das ist kein Klacks, sondern ein dicker Brocken. Ein noch größerer Brocken dürfte die Belastung der Rentenkasse sein, die in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten ist. Was bliebe dann noch von der Produktivitätssteigerung für die Erwerbstätigen selbst übrig?

Zweitens möchte ich hinterfragen, worauf sich die Prognosen für die Steigerungen der Produktivität stützen. Es hat in der Vergangenheit stets große Fortschritte gegeben, keine Frage. Aber wie geht es weiter? Die Landwirtschaft ist bereits flächendeckend automatisiert und spielt im Übrigen volkswirtschaftlich kaum noch eine Rolle. In der Industrie hat die Informationstechnik bereits für einen beispiellosen Schub gesorgt. Da ist sicherlich noch Spielraum, aber das produzierende Gewerbe wird im Jahr 2050 nicht mehr die Bedeutung haben wie noch 1970. Die Büros sind ebenfalls mit IT ausgestattet. Dort sehe ich wenige Möglichkeiten für große Produktivitätsschübe. Es bleibt der wachsende Dienstleistungssektor. Daher frage ich: Werden die Fingerfertigkeiten der Friseure in 50 Jahren so weit verbessert sein, dass der Friseurbesuch nur noch 45 statt 90 Minuten dauern wird? Wird der Altenpfleger das Waschen, Anziehen und Verpflegen der Bedürftigen in der halben Zeit schaffen? Kann die Briefzustellung noch einmal drastisch beschleunigt werden? Werden die Regale im Supermarkt schneller eingeräumt werden können als heute? Wird mich der Kundenberater meiner Bank in Zukunft in wenigen Minuten abfertigen können, wenn ich eine Baufinanzierung benötige? – Ich denke, dass man bei kundennahen Dienstleistungen keine Wunder in Bezug auf die Produktivitätssteigerungen erwarten darf. Aber das ist genau der Sektor, der immer größeren Raum einnehmen wird.


Diese Anmerkungen ließen sich weiter fortsetzen. Aber das ist mühsam.
 
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Der Ansatz, dass nicht mehr Kinder geboren werden stimmt! - Ohne Frage - aber warum?

Heute fordert die "Gesellschaft" eine Flexibilität der Bevölkerung. Wer kann denn im Alter von 20 - 30 Jahren sich heute schon ein Leben / eine Karriere aufbauen?

Hier wird dann einfach gefordert - gehe mal zum Standort x - nach einem Jahr - gehe mal zum Standort y und dann gehen mal ins Ausland zur Firma z. So sieht doch die Realität in dieser Alterstufe aus!

Wo und wann soll man denn da eine Familie gründen?

Leider leben wir in der globalisierten Welt, wo die Dame und die Herren solche "leichten" Opfer von uns verlangen können - wir sind ja nur Arbeitnehmer...

Kein Wunder, dass die Geburtenrate sinkt! Übrigen steigt die Scheidungsrate mal wieder stark an - dreimal dürft ihr raten warum.

Noch eine Anmerkung - wir haben in diesem schönen Land immer noch fast 4 Mio. Arbeitslose! Also keinen Grund, aus meiner Sicht über zu wenig Leute zu jammern!

Leider haben die Unternehmen seit ca. 10 Jahren keine Leute mehr ausgebildet - und das fällt jetzt der Wirtschaft auf die Füsse! Aber es ist ja einfacher nach offenen Grenzen zu schreien als Alternativen für die Leute bereitzustellen... Somit wird sich das Problem der Migration (mit den sozialen Aspekten) und der Überflutung der deutschen Gesellschaft mit ausländischen Einflüssen nur noch beschleunigen und verschärfen!

Ich habe nichts gegen Ausländer, aber wir müssen uns auch im Ausland den Gegebenheiten vor Ort anpassen.

Ich kann auch nicht vor Gericht im IRAN klagen dass meine Frau und ich Nackt am Stand in der Sonne liegen wollen. Solche Sachen (Bikini im eigenen Garten zum Sonnen) und muslimischer Nachbar der klagt gibt es schon in DE! Wo leben wir denn?

Dann sollen die Leute wenn es ihnen nicht passt, doch wieder in ihr Heimatland gehen, wenn sie unsere Gesellschaft so stört!
 
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@addl1970
Du sprichst in Deinem Beitrag drei Aspekte an:

a) Berufliche Mobilität und Familiengründung:
Das stimmt haargenau, besonders bei gut qualifizierten Leuten, die z. B. während eines Trainee-Programms gerne mal durch die Republik (oder über den Planeten) gejagt werden, damit sie alle Standorte eines Untenehmens kennenlernen.

b) Arbeitslosigkeit und Ausbildungssituation:
Noch haben wir kein grundsätzliches Problem an Arbeitskräften. Das gilt nur für besondere Fachkräfte. Bis sich dieser Mangel verschärft, gehen noch 10 Jahre ins Land.

c) Migration:
Durch Einwanderung verschärft sich das Demografie-Problem nicht. Es wird auch nicht grudnsätzlich dadurch zu lösen sein. Für eine Diskussion über die Verträglichkeit kultureller Unterschiede müsstest Du einen eigenen Thread eröffnen.
 
dazu möchte ich nochmals auf einen link verweisen:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=1650

(aus den nachdenkseiten)

zusätzlich ein Zitat von Herrn Bosbach:

Es wird Panik gemacht!


Nur 3 Jahre ist es her, da verkündete der Präsident des Statistischen Bundesamtes, dass im Jahre 2050 in Deutschland 75 Millionen Menschen leben, davon 29,6 Prozent über 65-Jährige. Und da er sich sehr sicher war, benutzte er noch nicht einmal den Konjunktiv.
Heute wird mit der gleichen Sicherheit verkündet, dass 2050 nur noch 69 bis 74 Millionen Menschen leben werden – immerhin eine Änderung von 1 bis 6 Millionen! Der Anteil der über 65-Jährigen wird jetzt mit 31,8 bis 33,2 Prozent angegeben, also 7 bis 12 Prozent höher als beim letzten Mal.
Eigentlich müsste man jetzt folgern, dass das mit den Langfristberechnungen nicht so sicher ist, wie immer behauptet. Ansonsten sind nach 3 von damals 47 Prognose-Jahren nicht solche Änderungen nötig. Zum Ärger des Artikelschreibers wird aber gerade das von den Journalisten nicht erkannt und von Politik und Wirtschaft gut ausgenutzt. Und der größte Teil der Öffentlichkeit glaubt die heutigen Zahlen, genauso wie die anderen von vor 3 Jahren.
Dabei war die politische Panikmache bei der Vorstellung der neuen Modellrechnung nicht zu übersehen. Bemerkungen über „die Risiken für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen durch die steigende Belastung der sozialen Sicherungs-systeme“ (aus der Rede des Vizepräsidenten des Amtes) gehören genauso wenig zum bevölkerungsstatistischen Teil, wie Gedanken der Art „müsste die Altersgrenze im Jahr 2050 bei 74 oder 75 Jahren liegen“ (gemeint ist das Renteneintrittsalter; aus der Pressemitteilung des Amtes zu den neuen Rechnungen). Stattdessen hätte es dem Amt gut zu Gesicht gestanden, sich zum Thema der eigenen Bevölkerungs-Daten zu bedienen. Dann hätte man aus den bekannten Werten der Vergangenheit berechnen können, dass in den letzten 45 Jahren die Alterung und die Verringerung des Jugendanteils fast genauso waren, wie heute für die Zukunft bis 2050 „berechnet“. Und die eigenen Daten hätten ebenfalls gezeigt, dass diese Alterung der Gesellschaft mit einer mehr als Verdreifachung des Wohlstandes verbunden waren.
Diese positive Seite zeigen die Daten des Amtes, aber dieser Blick war politisch offensichtlich nicht erwünscht!
Kurz für Interessierte: Wie kommt das Statistische Bundesamt nach nur 3 Jahren zu einer deutlich veränderten Modellrechnung? Im Prinzip ganz einfach: Die Annahmen für die Computerberechnung werden verändert.
Die Wanderungsgewinne der Zukunft werden deutlich reduziert. Von 200 Tausend im Schnitt pro Jahr auf nur noch 150 Tausend. Und das, obwohl in Zukunft Versorgermangel herrschen soll! Und das, obwohl Europa immer mehr zusammen wächst!
So erreicht man eine stärkere „Schrumpfung“ der Bevölkerung. Die Wortwahl der Amtsspitze spricht auch nicht gerade für seriöse Absichten, die eigenen Fachstatistiker sprechen neutraler von einer Verringerung.
Man erhöht die Vermutung über die steigende Lebenserwartung. War diese 2003 im Schnitt noch mit ca. 6 Jahren angesetzt, wird heute von einer um 7 bis 9 steigenden Lebenserwartung ausgegangen.
So erreicht man natürlich eine Erhöhung des Altenanteils, also die gewünschte Aussage.

Diese kurzen Bemerkungen – tiefer gehende mit vielen weiteren offensichtlichen Widersprüchen – zeigen, dass die Politik leider über demografische Seriösität gesiegt hat. Wie schon die vergangenen inhaltlichen Auseinandersetzungen - z.B. über die Berücksichtigung des Jugendquotienten, über fälschliche Konstanz von Altersgrenzen bei steigender Lebenserwartung, über Fehler bei der Angabe von Kinderlosigkeit, vor allem bei Akademikerinnen – gezeigt haben, scheint es der Amtsspitze trotz Rates aus der Fachgruppe nicht nur um Statistik zu gehen. Schade.

Gerd Bosbach ist Professor für Statistik, Mathematik und Empirik an der Fachhochschule Koblenz

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Bei der gegenwärtigen „Umbau“-Diskussion handelt es sich um den umfassendsten Angriff auf den Sozialstaat in seiner jahrzehntelang gewohnten Gestalt. Daraus erwächst eine gesellschaftspolitische Richtungsentscheidung von historischer Tragweite. Auf der politischen Agenda steht nicht etwa nur weniger, sondern ein anderer Staat. Es geht also keineswegs um die Liquidation des Sozialstaates, vielmehr um seine Reorganisation nach einem Konzept, das Leistungsreduktionen (z.B. „Nullrunden“ für Rentner/innen), eine Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen (z.B. Erhöhung des Renteneintrittsalters) bzw. eine Verkürzung der Bezugszeiten (z.B. von Arbeitslosengeld) sowie die Reindividualisierung, Ökonomisierung und Privatisierung sozialer Risiken beinhaltet.

Wahrscheinlich erlahmte die öffentliche Debatte darüber mit Bildung der Großen Koalition deshalb, weil die Zweidrittelmehrheit von CDU/CSU und SPD kaum Raum für Initiativen der Opposition ließ und sich im Parlament nicht mehr zwei fast gleich starke Machtblöcke gegenüberstanden. Auch die journalistischen Meinungsführer verkeilten sich unabhängig von ihrer „Lagerzugehörigkeit“ nicht mehr so wie früher ineinander, was auf den Parteienstreit mäßigend wirkte, die gesellschaftspolitischen Kontroversen aber weniger spannend machte. Außerparlamentarisch gab es weniger Bewegungen und Aktionen wie die sich allmählich verlaufenden Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV, denn die an der Regierung beteiligten Volksparteien banden einen Großteil des Protestpotenzials an sich oder neutralisierten es zumindest weitgehend.

Dass die Vorschusslorbeeren, mit denen man Angela Merkel bei ihrem Amtsantritt als Bundeskanzlerin und nach ihren ersten öffentlichen Auftritten vor allem auf diplomatischem Parkett bedachte, schnell welkten und die Große Koalition ihren Kredit bei einer überwiegenden Bevölkerungsmehrheit geradezu im Rekordtempo verspielt hat, dürfte mit der Art und Weise zu tun haben, wie sie den rot-grünen Reformkurs im Sozialbereich noch verschärfte und die Umverteilung von unten nach oben fortsetzte. Die schwarz-roten Reformen sind von zahlreichen Brüchen und Widersprüchen gekennzeichnet. Weder lässt sich in der Sozialpolitik bisher eine klare Linie erkennen, noch wird sie konsequent durchgehalten. Da sucht man mit den Sozialversicherungsbeiträgen die Lohnnebenkosten zu senken, kompensiert aber die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar 2007 durch eine nur unwesentlich geringere Erhöhung der Rentenversicherungs- und Krankenkassenbeiträge. Man will angeblich „versicherungsfremde“ Leistungen wie die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder stärker über Steuern finanzieren, streicht den Krankenkassen aber gleichzeitig bisher gewährte Zuschüsse aus der Tabaksteuer und erhöht ihre laufenden Kosten durch die Anhebung der Mehrwertsteuer. Vizekanzler Müntefering, im Bermudadreieck zwischen Mindestlöhnen, Kombilöhnen und Zuverdienstgrenzen beim Alg II steckend, dachte laut über deren Senkung nach, um die große Zahl der aufstockenden Geringverdiener/innen einzudämmen, obwohl die damals noch von ihm selbst geführte Mehrheitsfraktion des Bundestages die entsprechenden Freibeträge erst zum 1. Oktober 2005 angehoben hatte, um Langzeitarbeitslosen größere finanzielle Anreize zur Arbeitsaufnahme zu geben, usw.

Insgesamt erscheint die schwarz-rote Reformpolitik weniger spektakulär als die mit dem Namen von Peter Hartz verbundene Arbeitsmarktreform, wirkt subtiler als diese und hat manchmal auch stärker Stückwerkcharakter, sie ist aber keineswegs sozial gerechter. Denn die CDU/CSU/SPD-Regierung verteilt großzügige Steuergeschenke an die „oberen Zehntausend“, während sie vor allem gegenüber den Unterschichten zugeknöpft und kleinkariert agiert. Zu befürchten ist gleichzeitig, dass die „kleinen Leute“ zu den Verlierern der Großen Koalition gehören werden; Hauptleidtragende dürften Rentner/innen, (Langzeit-)Arbeitslose, Sozialhilfebezieher/innen, Studierende, Schüler/innen und die Familien von Geringverdiener(inne)n sein. Wohin ein Kurs der Spaltung in Gewinner und Verlierer/innen zusammen mit einer ausgeprägten sozialräumlichen Segregation (Gettoisierung) führen kann, haben die oft als „Jugendkrawalle“ missdeuteten Gewaltakte marginalisierter Bewohner der französischen Banlieues im Oktober/November 2005 gezeigt.

Hierzulande entstand zur selben Zeit eine Regierungskoalition gegen den Sozialstaat, der nicht nur für die Massenarbeitslosigkeit verantwortlich, sondern auch zum Sündenbock einer falschen Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik der etablierten Parteien gemacht wird. Nach neoliberaler Lesart erhöht die Freiheit von Wirtschaftssubjekten, die unternehmerisch tätig sind, automatisch den gesellschaftlichen Wohlstand. Für leistungsunfähige bzw. -unwillige Mitglieder der Gesellschaft bringt sie eine größere Marktabhängigkeit und geringere Existenzsicherheit mit sich. Weniger Sozialstaat bedeutet allerdings mitnichten mehr Freiheit, sondern größere Ungleichheit, mehr soziale Ungerechtigkeit und wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung.

Legitimiert durch den in Fach- und Medienöffentlichkeit ständig wiederholten Hinweis auf Sachzwänge haushaltspolitischer Art bzw. tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsprozesse (Globalisierung sowie „Vergreisung“ und „Schrumpfung“ der Bevölkerung durch die demografische Entwicklung) einerseits sowie eine sukzessive Umdeutung des Gerechtigkeitsbegriffs (von der Bedarfs- zur „Leistungsgerechtigkeit“, der Verteilungs- zur „Teilhabegerechtigkeit“ und der sozialen zur „Generationengerechtigkeit“) andererseits, wird der Wohlfahrtsstaat mittels verharmlosend und beschönigend „Reformen“ genannter Maßnahmen der Großen wie der schwarz-gelben und der rot-grünen Koalition vor ihr nicht nur systematisch demontiert, sondern auch in mehrfacher Hinsicht transformiert:

1. Aus dem Wohlfahrtsstaat wird ein „nationaler Wettbewerbsstaat“ (Joachim Hirsch), der die Aufgabe hat, durch seine Politik die Konkurrenzfähigkeit des „eigenen“ Wirtschaftsstandortes auf dem Weltmarkt, Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Sozialstaatlichkeit, die eigentlich Verfassungsrang hat, besitzt für Neoliberale keinen Eigenwert mehr, sondern muss sich nach der Standortlogik wirtschaftlichen und Machtinteressen unterwerfen. Dies zeigt sich etwa bei Debatten über die Lockerung des Kündigungsschutzes oder die Aufweichung des Flächentarifvertrages. Da fast alle Gesellschaftsbereiche im Zuge einer Ökonomisierung, Privatisierung und Liberalisierung nach dem Vorbild des Marktes umstrukturiert werden, hält die Konkurrenz auch Einzug im Sozialstaat.

2. Aus dem Sozialstaat wird ein Minimalstaat. Der „schlanke Staat“, wie er dem Neoliberalismus vorschwebt, ist im Hinblick auf die Sozialpolitik eher magersüchtig, aber keineswegs frei von bürokratischen Auswüchsen – ganz im Gegenteil! Leistungskürzungen und die Verschärfung von Anspruchsvoraussetzungen gehen mit Strukturveränderungen einher, die nicht nur mehr Markt, sondern teilweise auch mehr staatliche Administration bedeuten. Beispielsweise werden für Zertifizierungsagenturen, Evaluationsbürokratien und Leistungskontrollen aller Art womöglich mehr Sach- und Personalmittel benötigt als vorher.

3. Der neoliberale Residualstaat ist eher Kriminal- als Sozialstaat, weil ihn die drastische Reduktion der Wohlfahrt zur Repression gegenüber jenen Personengruppen zwingt, die als Modernisierungs- bzw. Globalisierungsverlierer/innen zu Opfern seiner rückwärts gerichteten „Reformpolitik“ werden. Je weniger großzügig die Sozialleistungen einer reichen Gesellschaft ausfallen, umso schlagkräftiger muss ihr Sicherheits- bzw. Gewaltapparat sein. Was sie an der Wohlfahrt spart, geht für Maßnahmen gegen den Drogenmissbrauch, Kriminalität und Gewalt drauf.

4. An die Stelle des aktiven Sozialstaates, wie man ihn bei uns bisher kannte, tritt – sehr stark vom Kommunitarismus, einer US-amerikanischen Denkrichtung, beeinflusst – ein „aktivierender“, Hilfebedürftige nicht mehr ohne entsprechende Gegenleistung alimentierender Sozialstaat. Der „welfare state“ wandelt sich zum „workfare state“, wenn man den Arbeitszwang ins Zentrum der Beschäftigungs- und Sozialpolitik rückt. Ausgerechnet in einer schweren Beschäftigungskrise, wo Millionen Arbeitsplätze – nicht: Arbeitswillige – fehlen, wird so getan, als seien die von Erwerbslosigkeit unmittelbar Betroffenen an ihrem Schicksal selbst schuld. Trotz des wohlklingenden Mottos „Fördern und fordern!“, das Leistungszusagen von Gegenleistungen der Begünstigten abhängig macht, bemüht man sich gar nicht mehr ernsthaft darum, die Chancen von sozial Benachteiligten zu verbessern, wie die Tatsache zeigt, dass im Weiterbildungsbereich immer stärker kurze Trainingsmaßnahmen dominieren.

5. Der deutsche Sozial(versicherungs)staat, seit seiner Begründung durch Otto von Bismarck im Kern darauf gerichtet, die männlichen Industriearbeiter mit ihren Familien vor Standardrisiken wie dem Tod des Ernährers, der Invalidität und der Armut im Alter zu schützen, wird zu einem Fürsorge-, Almosen- und Suppenküchenstaat gemacht, der nicht mehr den Lebensstandard seiner Klientel erhält, sondern ihr nur noch eine Basisversorgung angedeihen lässt. Hartz IV war mit seiner Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, als „Zusammenlegung mit der Sozialhilfe“ sehr unzureichend charakterisiert, ein wichtiger Zwischenschritt auf diesem Weg und eine historische Zäsur in der Entwicklung des Arbeits- und Sozialrechts. Man spricht von „Eigenverantwortung“, „Selbstvorsorge“ und „Privatinitiative“, meint aber die öffentliche Verantwortungslosigkeit sowie eine Mehrbelastung von Arbeitnehmer(inne)n und Rentner(inne)n.

6. Gleichzeitig wird das Gemeinwesen in einen Wohlfahrtsmarkt und einen Wohltätigkeitsstaat gespalten. Auf dem Wohlfahrtsmarkt kaufen sich jene Bürger/innen, die es sich finanziell leisten können, das für sie erschwingliche Maß an sozialer Sicherheit (z.B. Altersvorsorge durch Versicherungspolicen der Assekuranz). Ergänzend stellt der postmoderne Fürsorgestaat als „Grundsicherung“ bezeichnete Minimalleistungen bereit, die Menschen vor dem Verhungern und Erfrieren bewahren, sie jedoch der Privatwohltätigkeit überantworten. Folgerichtig haben karitatives Engagement, ehrenamtliche Tätigkeit im Sozial- und Gesundheitsbereich, persönliche Spendenfreudigkeit und die Gründung gemeinnütziger Stiftungen (wieder) Hochkonjunktur.

7. Die sozialpolitische Postmoderne trägt beinahe mittelalterliche Züge und lässt einen Rückfall in den Feudalismus befürchten. Durch die schrittweise Reindividualisierung, Reprivatisierung und Rückverlagerung sozialer Risiken auf die Familien, wie sie CDU-Generalsekretär Pofalla im August 2006 mit seiner Idee untermauerte, im Falle der Arbeitslosigkeit nicht nur – wie im Zweiten SGB-II-Änderungsgesetz geschehen – die Eltern für ihre erwachsenen Kinder, sondern auch die volljährigen Kinder für ihre Eltern zahlen zu lassen, lässt man Errungenschaften des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses hinter sich.

Stattdessen müsste der Sozialstaat an die jüngsten Entwicklungen in der Arbeitswelt (Tendenz zur Prekarität von Beschäftigungsverhältnissen) und im familiären Zusammenleben der Menschen (verstärkter Hang zur Individualität) angepasst werden. Nötig wäre eine Kurskorrektur, die wieder für mehr Gerechtigkeit sorgen und eine gleichmäßigere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zum Ziel haben müsste. Wenn die Regierung Merkel/Müntefering scheitert und die Massenarbeitslosigkeit nicht dauerhaft sinkt, wird der Ruf nach dem „starken Mann“ lauter als bisher erschallen, vor allem mit der Begründung, dass die erste Frau im Kanzleramt der Probleme nicht Herr geworden sei, aber vermutlich auch mit der Konnotation, dass nunmehr die Zügel straffer angezogen und autoritäre Herrschaftsmethoden praktiziert werden müssten, um die Lage in den Griff zu bekommen. Mit der schwarz-gelben, der rot-grünen und der schwarz-roten Koalition sind fast alle Farbkombinationen im Regierungsalltag „erprobt“ worden, was die Gefahr erhöht, dass sich rechtsextreme bzw. -populistische Tendenzen verstärken. Demagogen könnten auch hierzulande vermehrt als „Retter des Sozialstaates“ in Erscheinung treten und Gewinner wie Verlierer/innen seines Um- bzw. Abbaus gleichermaßen bei ihnen Zuflucht suchen.
 
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Zu den veränderten Prognosen bezüglich der Lebenserwartung verweise ich auf eine Meldung bei 3sat, wonach äußere Lebensumstände das Lebensalter mit beeinflussen. Die Stärke dieses Einflusses wurde möglicherweise unterschätzt und später korrigiert.

Wie das Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock mitteilte, wurde der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Ost und West von 1989 bis 2002 deutlich kleiner. Bei Frauen im Osten sei sie von 76,3 auf 81,2 Jahre gestiegen, bei Männern dagegen von 69,2 auf 74,7 Jahre.

http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/nano/bstuecke/81313/index.html


Zur Anpassung der Zuwanderungsquote ist anzumerken, dass in Deutschland im Januar 2005 das Zuwanderungsgesetz in Kraft trat. In diesem Zusammenhang dürften die Zuwanderungsgewinne reduziert worden sein.

http://www.arbeitsagentur.de/zentra...ttlung/Publikation/pdf/Zuwanderungsgesetz.pdf
 
Michaela Kreyenfeld vom Max-Planck-Institut für Demographie in Rostock; sie stellt fest, dass es in Deutschland keine verlässlichen Zahlen über Kinderlosigkeit gebe und dass für eine verlässliche Prognose nicht die Geburtenziffer an erster Stelle stehe. Der Grund für die Unzuverlässigkeit sei z.B. die Tatsache, dass im Mikrozensus nur die Kinder pro Haushalt gezählt würden, die Kinderzahlen stimmten deshalb nur so lange, bis die erwachsenen Kinder das Haus verließen, dann „gelten plötzlich schlagartig mehr Frauen ab 40 als kinderlos – ein unsinniges Ergebnis“.

http://www.faz.net/...
 
Warum wird nur ständig diese Bevölkerungspyramide hervorgekramt? Dient das der Desinformation? Da wir heute keine hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit mehr haben und die Menschen deutlich länger leben als noch vor 100 Jahren, ist die Pyramide heute kein geeignetes Modell mehr zur Beschreibung der demografischen Lage.

Ideal wäre vielleicht eine Bevölkerungssäule, die sich im oberen Teil ein wenig verjüngt. Beispielhaft könnte man sich das so vorstellen: Jedes Lebensjahr in der Bevölkerung wird durch eine Million Menschen repräsentiert: Es gäbe dann 10 Mio. Kinder im Alter von 0-10 Jahren, ebenso 10 Mio. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 10-20 Jahren. Am oberen Ende der Skala stehen zwar nicht mehr 10 Mio. Menschen im Alter von 71-80 Jahren. Aber dafür gibt es einige, die noch älter sind.

Auf dieser Basis mache ich nun die Rechnung für den Altersquotienten auf. Die Erwerbsfähigen rekrutieren sich aus den 20- bis 65-Jährigen. Das wären 45 Mio. Menschen. Sie hätten die Jüngeren und die Älteren in der Gesellschaft zu versorgen, die noch einmal 35-40 Mio. Menschen ausmachen. Eine solche, sich gleichbleibend entwickelnde Bevölkerungsstruktur wäre gesund.

Aber das entspricht nicht der Realität in diesem Land. Im Jahr 2050 wird die Generation, die den 2. Weltkrieg erlebt hat, Geschichte sein. Wir reden dann über sehr alte Leute aus der Nachkriegsgeneration und über betagte Menschen des Jahrgangs 1964, die dann 86 Jahre alt sein werden.
Diese Generation der alten Rentner hat sich, wie wir alle wissen, nicht ausreichend an der Reproduktion beteiligt. Und ihre Enkel ebenso wenig. Dadurch weicht die oben beschriebene Säulenform auf. Der Bauch, der durch die heute 40-Jährigen gebildet wird, weicht einer schmalen Taille. Deshalb verschlechtert sich auch der Altersquotient. Und daraus lässt sich der Handlungsbedarf in der Rentenpolitik ableiten.

Da hilft auch der Verweis auf die Zuwanderung nicht. Wenn z. B. die 500.000 Frauen des Jahrgangs 1964 weniger als 400.000 Mädchen zur Welt gebracht haben und diese Mädchen wiederum nur eine Geburtenrate unterhalb von 2,1 zustande bringen, dann verschiebt sich die Altersstruktur in Richtung Pilzform. Deshalb brauchen wir hier nicht über die Zwiebelform zu reden.

Zur Zahlweise:
Was im Mikrozensus gezählt wird, spielt nicht wirklich eine Rolle. Erstens sind die geborenen Kinder erfasst, dafür gibt es die Einwohnermeldeämter und die entsrpechenden Statistiken in den Krankenhäusern. Und die Haushaltsgröße wird natürlich miterfasst, weshalb auch der Trend zu 1-Personen-Haushalten bekannt ist. Und dass Frauen ab 40 noch Kinder bekommen, ist zwar wahr, aber sie machen nciht die große Lawine aus, mit der wir eine Geburtenquote von auch nur annähernd 2,1 erreichen würden.
 
Woher nimmst du nur diese hellseherischen Fähigigkeiten, und diese maßlose Ignoranz?

Erstens: Einmal mehr wird behauptet im Jahre 2000 kämen auf 4,13 Beitragszahler auf einen Rentner und im Jahre 2040 (!) nur noch 1,9 Beitragszahler pro Rentner.

Nach den Zahlen des Verbandes Deutscher Rentenversicherer gab es im Jahre 2003 etwa 26,5 Mio Beitragszahler, denen etwa 19 Mio Rentner gegenüber standen. Nach Adam Riese macht das 1,4 Beitragszahler zu 1 Rentner (die 4 Mio zusätzlichen Witwen- und Waisenrenten sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt). Wie ich vermute, stützt du dich angeblich auf die Rürup-Kommission. Wie aber die Rürup-Kommission auf 4:1 kommen, ist absolut schleierhaft. Man kann es rechnen wie man will: Bei 19 Millionen Rentnern müssten es (4 x 19, also) 76 Millionen Beitragszahler sein. Das heißt: Selbst wenn alle Einwohner der Bundesrepublik vom Neugeborenen bis zum 65jährigen sozialversicherungspflichtig arbeiten würden, kommt man nicht auf 76 Millionen. Ohne die 19 Millionen Rentner müsste die BRD dann nämlich 95 statt 82 Millionen Einwohner haben. Um dem Werbeträger des Finanzdienstleisters MLP und Vorsitzenden des Sachverständigenrates Rürup aber nicht unrecht zu tun, müsste man noch hinzufügen, dass bei dir an keiner Stelle von einem Verhältnis von 4:1 zwischen Beitragszahlern und Rentnern im Jahre 2000 die Rede ist, vielmehr ist damit nur der Altersquotient beschrieben und selbst Rürup weist darauf hin, dass die Zahl der potentiell Erwerbstätigen zwischen 15 und 65 nicht mit den tatsächlich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen verwechselt werden darf. Aber das stört didich scheinbar wenig. Hauptsache man kann mit den Zahlen Ängste schüren.

Zweitens: Unter der Überschrift „Demografischer Wandel II“ geht um den “späteren Berufseinstieg” und “kürzere Lebensarbeitszeiten”. Beides haben mit Demografie soviel zu tun wie die Höhe des Meeresspiegels mit der Meteorologie. Zwar beeinflusst ohne Zweifel die jährliche Regenfallmenge und das Abschmelzen der Gletscher die Meereshöhe, doch für späteren Berufseinstieg und kürzere Lebensarbeitszeiten sind längere Ausbildungszeiten und insbesondere die Lage auf dem Arbeitsmarkt die entscheidenden Faktoren. Wenn heute über 500.000 Jugendliche unter 25 ohne sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind und nur noch ca. 20 % der über 60jährigen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz haben, dann hat das nichts (!) mit Demografie zu tun, sondern mit einer verfehlten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Dass die Rente mit 67 dieses Problem nicht löst, erschließt sich leicht.
Die Rente mit 67 ist also einmal mehr ein aussichts- und hilfloses Kurieren an den Symptomen, statt an den Ursachen anzusetzen und eine Politik zu machen, die mehr Menschen wieder in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bringt und das Erwerbspersonenpotential wieder besser ausschöpft.
 
Der einzge, der sich ausdrücklich auf Rürup bzw.Herzog bezogen hat, war Herr Kühn, auf den ich in #27 verwiesen und den ich stellenweise in #29 zu widerlegen versucht habe.

Der Verweis auf den späteren Berufseinstieg und auf kürzere Lebensarbeitszeiten zeigt, dass die heute Erwerbstätigen weniger lange in die Rentenversicherung einzahlen als der frühere Durchschnittsrentner. Daraus resultiert ein Problem für das Umlageverfahren, weil das System weniger gut durch Einzahlungen durchblutet wird als in der Vergangenheit. - Ein Bezug zur Demografie ist dennoch gegeben. Denn vor 100 Jahren wären viele derjenigen, die heute mit 70 oder 80 Jahren Rente beziehen, in dem Alter gar keine Rentner mehr gewesen. Wir haben heute kürzere Berufsbiografien, aber eine gestiegene Lebenserwartung bei den Rentnern. Das führt zu Verwerfungen, weshalb der Beitrag zur Rentenversicherung auch gestiegen ist und der Bund in den vergangenen Jahren kräftig dazugezahlt hat. Die FAZ meldete am 13. Januar 2005:

Im vergangenen Jahr habe der Bundeszuschuß des Finanzministers zur Rente bei rund 78 Milliarden Euro gelegen, das seien 17,6 Prozent der gesamten Steuereinnahmen. Damit zahlte ein Durchschnittsverdiener nach den Berechnungen des Steuerzahlerbundes rund 4,9 Prozent seines Bruttoeinkommens an Steuern für die Rente. Daraus ergibt sich - da der größte Teil des Steueraufkommens von den ohnehin beitragspflichtigen Erwerbstätigen aufgebracht wird - eine Gesamtbelastung von 24,4 Prozent des Bruttoeinkommens für die Rente.
 
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In dem die Versicherungen von einem Generationumlagesystem auf ein Kontensystem umgestellt werden, in Österreich, ist die Demografiedebatte vom Sozialstaatlichen weg vom Tisch.
Wie in Skandinavien auch.
Die haben schon vor Jahrzehnten massiv umgebaut.

Weniger Leute ist besser, nicht schlechter.
Es muss nur alles darauf eingerichtet sein.

Die Demografiebirne entspannt sich bis 2035 ganz von alleine, weil dann alle alten Leute gestorben sind die den jetzigen und künftigen oberen Überhang ausmachen.

Das Ende des Wachstums ist erreicht. HOFFENTLICH.
 
@franeklevy

Wahrscheinlich erlahmte die öffentliche Debatte darüber mit Bildung der Großen Koalition deshalb, weil die Zweidrittelmehrheit von CDU/CSU und SPD kaum Raum für Initiativen der Opposition ließ und sich im Parlament nicht mehr zwei fast gleich starke Machtblöcke gegenüberstanden.

Das Parlament und die Öffentlichkeit sind zwei Paar Schuhe. Wie man an diesem Thread sieht, konnte ich ganz problemlos diese Debatte eröffnen. Dazu brauchte ich keinen Parlamentarier.

Außerparlamentarisch gab es weniger Bewegungen und Aktionen wie die sich allmählich verlaufenden Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV, denn die an der Regierung beteiligten Volksparteien banden einen Großteil des Protestpotenzials an sich oder neutralisierten es zumindest weitgehend.

Eine große Koalition macht durch ihre bloße Existenz noch niemanden mundtot. Die Demonstranten entscheiden in eigener Verantwortung, ob sie zur weiterhin gegen Hartz IV protestieren oder nicht. Sie haben das Recht zu demonstrieren und das Recht, darauf zu verzichten.

Dass … die Große Koalition ihren Kredit bei einer überwiegenden Bevölkerungsmehrheit geradezu im Rekordtempo verspielt hat, dürfte mit der Art und Weise zu tun haben, wie sie den rot-grünen Reformkurs im Sozialbereich noch verschärfte und die Umverteilung von unten nach oben fortsetzte.

Das ist Spekulation. War es nicht so, dass Reformen vor den Wahlen angekündigt wurden?

Die schwarz-roten Reformen sind von zahlreichen Brüchen und Widersprüchen gekennzeichnet. … Insgesamt erscheint die schwarz-rote Reformpolitik weniger spektakulär als die mit dem Namen von Peter Hartz verbundene Arbeitsmarktreform, wirkt subtiler als diese und hat manchmal auch stärker Stückwerkcharakter, sie ist aber keineswegs sozial gerechter.

Nehmen wir beispielshaft die von Dir angesprochenen Veränderungen bei den Krankenkassen. Zum Umbau bzw. zur Modernisierung des Systems gehört die Überlegung, die Kosten für beitragsfrei mitversicherte Kinder künftig nicht mehr so stark über die Sozialversicherungen zu decken. Das ist an sich eine nachvollziehbare Maßnahme. Wenn der Staat nun einspringen und die Finanzierung teilweise übernehmen will, benötigt er dazu Geld, das er sich irgendwo besorgen muss. Es ist schließlich unser aller Staat, den wir als Bürger auch zu finanzieren haben. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer kann helfen, die Kosten für die beitragsfrei mitversicherten Kinder auf mehr Schultern (als nur auf die Beitragszahler der Sozialversicherungen ) zu verteilen. Wenn die Krankenkassen zukünftig einen Zuschuss vom Bund bekommen, benötigen sie die Einnahmen aus der Tabaksteuer nicht mehr, weshalb sie gestrichen wurden. Das erhöht zugleich die Transparenz, weil es keinen Sachzusammenhang zwischen der Mitversicherung der Kinder und dem Aufkommen der Tabaksteuer gibt.

Denn die CDU/CSU/SPD-Regierung verteilt großzügige Steuergeschenke an die „oberen Zehntausend“, während sie vor allem gegenüber den Unterschichten zugeknöpft und kleinkariert agiert.

Wenn der Staat, der nun einmal hoch verschuldet ist, Geld sparen will, dann geht das in großem Stil nur über den Sozialhaushalt, weil er den größten Anteil am Bundeshaushalt hat. Und wenn man das Beispiel der MwSt.-Erhöhung als Maßstab nimmt, die als größte Steuererhöhung aller Zeiten gebrandmarkt wurde, dann sollte man auch überlegen, durch wen dieses Steueraufkommen zustande kommt. – Der Geringverdiener zahlt keine Mehrwertsteuer auf seine Miete und nur 7 % auf die meisten Lebensmittel. Und dann sollte sein Einkommen per Definition schon zum größten Teil aufgebraucht sein. Wer dagegen gut verdient, konsumiert deutlich mehr und ist von der Steuererhöhung prozentual sehr viel stärker betroffen.

Weniger Sozialstaat bedeutet allerdings mitnichten mehr Freiheit, sondern größere Ungleichheit, mehr soziale Ungerechtigkeit und wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung.

Das gilt es erst noch herauszufinden. Die Frage ist ja z. B. , ob man eher die gesetzlichen oder die privaten Krankenkassen abschaffen sollte. Hellseherisch betätigen möchte ich mich da nicht.

Legitimiert durch den in Fach- und Medienöffentlichkeit ständig wiederholten Hinweis auf Sachzwänge haushaltspolitischer Art bzw. tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsprozesse … wird der Wohlfahrtsstaat … nicht nur systematisch demontiert, sondern auch in mehrfacher Hinsicht transformiert:

Was wiederum nicht heißen muss, dass diese Sachzwänge bzw. Wandlungsprozesse aus der Luft gegriffen sind.
 
Also Keshkau, (übrigens ein cooler Name, ich schätze von Cashcow abgeleitet, also das, was der Bürger für die Wirtschaft darstellt.)

Wir haben die Gründe, die Folgen und auch mögliche Lösungsansätze für den
demographischen Wandel zur Genüge erörtert.

Der Wandlung der Alterstrukur ist zwangsläufig eine Folge des Lebenswandels in den
Industrienationen, selbst wenn wir es als Problem anerkennen, verstehe ich nicht so ganz,
warum dich das Thema so besorgt. Ich zumindest empfinde Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armutsdebatte und unser veraltetes Bildungssystem viel besorgniserregender.

Die Tendenz, daß immer mehr Kinder unter der relativen Armutsgrenze in Deutschland
leben verstärkt sich von Jahr zu Jahr, es ist ein Hohn, wenn sich Politiker mit dem demographischen Wandel beschäftigen, während für die angeblich "wenigen" jungen Menschen:

im Kindesalter,
1.) keine Betreuungsplätze
2.) keine Kindergartenplätze im ausreichenden Maße vorhanden sind,

in der Pubertät sie
3.) ein zu früh selektierendes und qualitativ schlechtes sowie Intergration-feindliches Schulsystem nicht auf´s Leben vorbereitet und die soziale Herkunft sich dank eines
solchen System im hohen Maße auf den späteren Bildungsgrad auswirkt

und im Erwachsenenalter entweder
4.) keine Ausbildungsplätze für Schulabgänger oder
5.) keine Arbeitsstellen für Hochschulabsolventen zur Verfügung stehen
und diese auf unbezahlten Praktika als Generation Praktikum als gut ausgebildete
und kostenlose Arbeitskraft versauern.

Was sollten wir also, gäbe es den demographischen Wandel nicht in dieser Form wie jetzt,
mit all den vielen jungen Leuten ohne Perspektive tun? Ghettos wie in den USA der 80er würden entstehen, Unruhen und Ausschreitungen wären die Folge.

Das stimmt die Relation und Gewichtung der Probleme null und
ich möchte franeklevy bzw. Herrn Bosbach nur zustimmen:
"Es wird Panik gemacht!"

Vor diesem Hintergrund juckt mich die Nicht-Finanzierbarkeit des Rentensystems herzlich wenig. Langsam verstehe ich also nicht, worauf Du grundsätzlich hinaus willst. :)
 
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