Noxiel schrieb:
Wobei sich im Falle der Grünen auch schön der Anspruch gezeigt hat, weg aus der Zone ewiger Opposition und hin zur aktiven Mitgestaltung zu kommen.
Es stimmt natürlich, dass die Rolle der Opposition vermeintlich bequem ist. Das ist wie mit dem unbeliebten Kollegen im Büro, der selber Arbeitsvermeidung betreibt, aber immer ganz mit vorne ist, wenn es darum geht, die Arbeit anderer zu kritisieren.
Das ist allerdings eine Rolle, die sich über die Jahrzehnte so entwickelt hat. Ich halte es für tragisch, dass es kaum mehr eine vernünftige Opposition gibt. Und ich meine damit eine solche, die Alternativen anbietet und nicht nur dann im Fernsehen auftritt, wenn es darum geht, die Arbeit der Regierung pauschal schlecht zu finden.
Noxiel schrieb:
Die Gräben zwischen Fundis und Realos waren bei den Grünen immer schon besonders tief und ich bin froh darum, dass sich die Realos letztlich durchgesetzt haben.
Ich finde es gut, dass der Realo-Flügel die Grünen erst für viele überhaupt wählbar macht. Schlecht finde ich allerdings, wenn die kontroverse Debatte verloren geht, weil sich Fundis nicht mehr mit ihrer Partei identifizieren können. Denn kontroverse und vor allem öffentlich Diskussionen sind eine der wesentlichen Gründungsvorgaben der Partei gewesen. Leider wurde auch diese Maxime der Realpolitik geopfert. Viele Parteienforscher führen das darauf zurück, dass die Presse mit kontroversen Diskussionen nicht umgehen konnte und eine vermeintlich fehlende Parteilinie die Wähler abschrecken würde. Wie traurig, aber Du hast die Streitkultur der Grünen offenbar auch falsch verstanden:
Noxiel schrieb:
Während also einige von der Aufgabe alter Ideale und der Unterordnung in den machtpolitischen Dunstkreis beklagen, sehe ich diese Entwicklung durchaus positiv. Von der Abkehr allzu starrer und extremer Maximalpositionen, zu einer wählbaren Partei, zwar noch mit Ausreißern als Zugeständnis an die äußeren Flügel, aber einer durchaus konsensfähigen Mehrheitsmeinung.
Wie war das kürzlich in einem Artikel der "ZEIT"? Der Unterschied zwischen einem autoritären Staat und unserer heutigen Demokratie ist, dass man in beiden weiß, welche Meinung man haben sollte, in unserer Demokratie man diese jedoch auch noch gut finden muss? Nein, ich kann nichts Gutes daran finden, wenn sich eine weitere Partei im Einheitsbrei deutscher Politik suhlt.
Noxiel schrieb:
Es ist auch schlicht Zeitgeist, dass man mit der klassischen Aufteilung des politischen Spektrums nicht mehr weit kommt. Die Parteien sind letztlich nur ein Querschnitt durch die Bevölkerung und dort finden sich keine klar abgegrenzten, regierungs- und mehrheitsfähigen Positionen.
Und das ist genau der Irrtum, der zu einer Politik führt, bei der man z.B. in Baden-Württemberg nicht einmal mehr merkt, ob man eine CDU/FDP- oder eine B90/G/SPD-Regierung hat. Jeder sucht nur noch mehrheitsfähige Positionen. Aussagen, zu denen man "ja genau" sagen kann und sich sicher ist, dass alle anderen Bürger um einen herum das genau so sagen würden. Es ist wahr, die klassischen Konfliktlinien sind nicht mehr die heutigen. Aber seien wir doch mal realistisch, es gibt ausreichend Konfliktlinien in Deutschland, um die herum sich Repräsentation bilden könnte. Soll sich doch z.B. mal eine "Migrantenpartei" gründen, die sich selbst um die Belange der Integration kümmert. Oder auch Rentnerparteien, wie sie früher noch häufiger in Erscheinung getreten sind. An Rentnern sollte es ja nicht mangeln.
Noxiel schrieb:
Ich sage Ja, zur Eingangsfrage des TE.
Das bleibt Dir natürlich belassen. Ich halte die Angleichung der Parteienlandschaft an eine Ebene der Realpolitik nicht für etwas, das man mit "Vernunft" beschreiben kann. Denn diese lebt in einer pluralen Gesellschaft auch von pluralen Schlüssen, die in einem deliberativen Prozess zu allgemein verbindlichen Entscheidungen führen. Ich halte es heute wie damals in den griechischen Stadtstaaten für unrealistisch, dass man sich nicht mehr auf dem Platz zur Deliberation trifft, weil ja sowieso alle der gleichen Meinung sind.
Aber ich gebe zu, dass sich die Gesellschaft in Deutschland in diese Richtung entwickelt hat. Oberflächlich sind alle einer Meinung, im Innern sind viele unzufrieden, manche davon gehen auf die Straße und faseln in diffuser Unzufriedenheit etwas von "wir sind das Volk". Und die kontroversen Debatten führen Menschen, die davon leben und von denen man Polarisierendes erwartet: Thilo Sarrazin, Akif Pirinçci, H. Broder und wie sie alle heißen.
Um mit einem weiteren, sinngemäßen Gedächtnis-Zitat zu schließen (ich glaube das war aus der Welt-App): Alle können reden, keiner will mehr kämpfen. Nur diejenigen, die dafür bezahlt werden. In so einer Demokratie will ich nicht leben.