knorki schrieb:
die Meinungsfreiheit geht kaputt bei uns. Was nicht verboten ist, wird nicht freigegeben, weil es den Geschmack des Freigebers nicht trifft. Du bist gegen Einwanderung? Nazi! Du bist für soziale Grundsicherung? Linksfaschist! Du bist für freie Wirtschaft? Lobbyist!..
Noch nie konnte man seine eigene Meinung der Öffentlichkeit so leicht präsentieren wie heute. Was früher nur der Stammtisch mitbekam, kann heute jeder lesen und von sich geben und das ohne Verzögerung. Man muss keine Leserbriefe mehr schreiben, man muss nicht erst eine Demo anmelden, um mit dem Megafon seine Meinung herauszubrüllen, die auch dann nur regional wahrgenommen wird. Man muss kein Politiker in einer Talkshow sein, damit Millionen Menschen erfahren, was einem gerade so Geistreiches durch den Kopf geht. Jeder Hansel kann seinen eigenen Twitch-Kanal aufmachen, sich auf TikTok präsentieren, Reactionvideos zu Talkshows machen und mit Glück damit sogar noch gutes Geld verdienen. Dafür reichen YouTube Accounts mit Überschriften wie LANZ ZERLEGT BAERBOCK KOMPLETT!!! und Videos, die zufällig knapp über 8 Minuten lang sind.
Schwurbelkanäle wie Vermietertagebuch haben 230.000 Abonnenten und Millionenaufrufe, mit seiner Polemik und aus dem Kontext-Reißen im Namen der Meinungsfreiheit verdient er mehr Geld, als so mancher Facharbeiter, während sich für Kanäle, die das mal beleuchten (also mit Fakten und Argumenten und so), keiner interessiert.
Auch nicht so Internetaffine können sich heute mitteilen, von denen man früher nie etwas gehört hätte: Ob das Oma Annegret ist, die bei Facebook vor Chemtrails warnt, ob das irgendwelche DDR-Nostalgiegruppen sind, wo man sich die "gute alte Zeit" zurückwünscht, libertäre Gruppen, die den Staat weghaben wollen, Flacherdler, Esoterikgruppen oder was auch immer.
Auf Facebook gibt es fast keine Werbung mehr mit einem Schwarzen, wo nicht irgendein rassistischer Müll wie "ab zurück in den Dschungel" im Kommentarbereich steht. Und das nicht nur von irgendwelchen Fakeaccounts ohne Profilbild, sondern von Leuten mit Familienbildern und Angabe des Arbeitgebers, die sich für nichts mehr genieren. Angeblich, weil man sich dabei nicht mehr repräsentiert fühlt. Als wären perfekte Models oder sprechende Füchse mit Bausparvertrag repräsentativ für irgendjemand.
Du setzt dich in der Öffentlichkeit für eine freie Wirtschaft ein? Das ist dein freies Recht. Jemand nennt dich deshalb Lobbyist? Das ist das freie Recht dieses Jemand. Ein Thomas Gottschalk hat das Recht seine Ansichten aus vergangenen Zeiten zu äußern, genau so haben 100.000 Shitstormteilnehmer das Recht, das scheiße zu finden. Früher gab es vielleicht mal einen kritischen Leserbrief, wo moniert wurde, dass es sich in den 90ern eigentlich nicht mehr gehört, dass Showmaster die Hand auf das Bein eines wesentlich jüngeren weiblichen Gasts legen. Den Leserbrief hat Gottschalk dann vielleicht erhalten, oder auch nicht.
Heute können ihm wesentlich mehr Menschen direkt widersprechen und alle bekommen es mit. Das mag Thomas Gottschalk nicht, aber deshalb ist sein Recht auf freie Meinungsäußerung nicht eingeschränkt.
Meinungsfreiheit ist keine Einbahnstraße und bietet keine Freiheit von Konsequenz in Form von Widerspruch, Kritik, Verschieben ins Aquarium, Ignorieren usw.
Politiker vor Allem von der AFD testen die Grenzen des Sagbaren immer weiter aus - mit Äußerungen wie 'wir werden sie jagen, in Anatolien entsorgen, Denkmal der Schande, auf den Müllhaufen der Geschichte, wir kommen auch mit 25% weniger Menschen zurecht' oder einer SA-Parole, von der man als Geschichtslehrer angeblich nichts wusste.
Nichts davon dient einem sachlichen Diskurs aber deshalb werden solche Äußerungen ja auch nicht getätigt.