Ich find die Argumentationen hier im Thread ja wahnsinnig interessant -- "interessant" im Sinne von, "damit hatte ich ja jetzt eigentlich nicht so gerechnet". 🤔
Vorab: egal ob "gut" oder "nicht so gut", neue Wege können und sollen beschritten werden; ohne Experimente gibt's Stillstand und wer nicht probiert, wird auch nicht erfahren, was funktioniert und was nicht. Das gilt für Endanwender und (an dieser Stelle) Distributoren gleichermaßen.
JEDER Versuch, etwas "anders" zu machen, ist daher uneingeschränkt zu begrüßen.
Aber im selben Atemzug muß man sich damit natürlich auch damit auseinandersetzen, vorher wie nachher, und das Ganze bewerten. Unreflektiert alles Neue übernehmen geht genausowenig wie unreflektiert alles Alte zu übernehmen.
Orientieren wir uns ein bißchen an OSI aus der Netzwerktechnik - schließlich sollte(!) Linux als Ableitung von UNIX und POSIX hierarchisch sein (auch wenn sie das seit Jahrzehnten unterwandern).
Da haben wir zunächst L6, Presentation. Hier: Wie stellen wir das, was wir haben, für den Anwender dar?
Gerne vergessen wird hier, daß das, was wir zeigen, nicht das ist, was vorliegt. HTML-Dateien können 100% ASCII-Textdateien sein. Was wir sehen sind Bilder und Umlaute und Schriftzeichen, die NICHT in ASCII existieren.
Für Linux, wenn es um Endanwender geht, ist es sicherlich gut und richtig, wenn der gewählte Dateibrowser eben nicht das vorhandene Dateisystem eins-zu-eins abbildet, sondern wie es ua. Windows und OSX tun, dem Anwender ein für ihn(!) möglichst einfaches Interface zu schaffen. Weder muß der Anwender von den ganzen Innereien erschlagen werden noch muß er die ganzen Innereien zu Gesicht bekommen; deswegen gibt es bei Windows die .lnk-Verknüpfungen auf die auszuführende Datei (und nur die) auf dem Desktop oder im Startmenü und deswegen hat OSX seine definierte .app-Ordnerstruktur, welches den ganzen Ramsch im Ordner einfach ausblendet und stattdessen den Ordner selber als ausführbares Objekt präsentiert.
Das geht bei Dateiobjekten los, über Geräteknoten, Sockets, Pipes, sonstwas weiter bis zu den Verzeichnissen selber. NICHTS davon muß dem Benutzer präsentiert werden, es nützt ihm ni inchts wenn er ein anklickbares "ls" auf dem Desktop hat und ein anklickbares libc.so.7 nützt ihm noch viel weniger.
Dann kommen wir allerdings weiter runter in der Hierarchie zu dem, was tatsächlich vorhanden ist.
Es sollte an dieser Stelle erwähnt werden, daß der FHS insbesondere definiert wurde für die Interopabilität zwischen unixoiden Betriebssystemen -- nicht nur Linux-basierte Betriebsumgebungen.
Die halten sich aber inzwischen an gar nichts. Linux beruft sich nicht mehr auf einen hierarchischen Start (Struktur unter / initial, unter /usr für über NFS gemeinsam nutzbare binaries, /usr/local für systemspezifische Dinge) -- initial gibt es initramfs, sharable gibts gar nichts mehr (und /usr ist nutzlos) und alles was nach /usr/local gehören würde gibt es nun in /usr. Und wenn lib in denselben Pfad geschrieben wird wie lib64... wie hält man da 32bit und 64bit libraries auseinander? Gar nicht? Das sind dann nicht mal Windowsverhältnisse - die trennen das nämlich.
Dann ist mir schon öfter über den Weg gelaufen (keine Ahnung ob sich das gebessert hat) daß logische Grenzen einfach ignoriert werden und Anwendungen in /usr/local fleißig in /usr rumgebastelt haben, wo sie überhaupt nichts zu suchen haben und daß / für buchstäblich jeden Mist mißbraucht wird, welches im FHS readonly mountbar sein sollte (wie übrigens /usr auch, als shareable). Im Gegenzug sind, wie ich leider hier im Forum ständig lesen muß, eigene (lokale) Installationen faktisch nonexistent, weil "Paketmanager oder die Software existiert nicht".
Kurz, für Linux existiert der FHS faktisch nicht mehr, auch wenn die Struktur und die Bezeichner auf dem Papier noch vorhanden sind, und ein ganz paar andere Dinge auch nicht. Linuxbasierte OE, zumindest für den Anwender, benötigen auch keine gcc-Suite.... selbst das Terminal als X-Anwendung ist fragwürdig und ähnlich WinME kann man eigentlich sogar Crtl-Alt-Fx deaktivieren.
Von daher halte ich es zwar persönlich für den falschen Ansatz, aber andererseits ist es nur gut und richtig, einen Dateisystemstandard, an den sich eh keiner hält, über Bord zu werfen und neu anzufangen.
Aber dann muß man es imo auch gleich richtig angehen und muß sich fragen (A) was existieren muß (und ggfs wo) und (B) unabhängig davon was ich dem Benutzer wie präsentieren muß.
/boot und die ESP muß ich zB nicht in der logischen Verzeichnisstruktur haben - sie müssen irgendwie da sein, damit der Rechner startet, aber der ahnungslose Anwender weiß weder was das ist noch soll er was damit machen können.
Das wirklich EINZIGE Problem daran.... ist dieses: GNU/Linux verrät sich damit selber. Das Ziel war nie, einen auf Apple zu machen, sich am blödest denkbaren Anwender zu orientieren und diesem auch das letzte Quentchen Kompetenz abzusprechen. Linux wollte - bisher - transparent und quelloffen sein, und dafür hat man vom Anwender eine gewisse Bereitschaft eingefordert.
Andererseits scheint es jener eingeforderten Kompetenz mehr und mehr zu mangeln und eine Betriebsumgebung, mit der keiner arbeiten kann, ist nutzlos.
Plus die erwähnte willkommene Experimentierfreude. Wenn die Anwender das nicht selber packen, dann müssen das eben andere... notfalls auf Kosten dieser.