Oettinger nach Trauerrede politisch noch tragbar?

Puuh, jetzt hol ich nach Lesen des gesamten Threads erstmal tief Luft. Hätte gestern mal reinschauen sollen;)
Die Vielzahl an Postings unterschiedlichster Auffassungen zeigt ja eindeutig, dass man das Thema nicht einfach totschweigen sollte/kann. Es ist immer gut, darüber zu diskutieren, auch wenn es sich auf politischer Ebene eher um einen Machtkampf handelt, der uns kleinen Wählern nur mal wieder verdeutlicht, wie schmutzig dieses Geschäft eigentlich abläuft.

Ach, da hätte ich noch eine kleine Geschichte zum Filbinger, die zeigt, wie sehr dieser Mann gegen das NS-Regime arbeitete:

Man schreibe das Jahr 45, gut eine Woche nach Kriegsende in einem englischen Kriegsgefangenenlager. Ein Militärgericht unter Vorsitz Filbingers verurteilt einen 19-jährigen Matrosen zum Tode durch Erschiessen (Grund ist mir unbekannt; vermutlich Fahnenflucht?!). Da natürlich keine Waffen zugegen sind, bittet man die Briten, ihnen welche zu leihen. Und diese dummen Menschen geben ihnen dann auch noch 12 Gewehre, mit denen das Urteil vollstreckt wird:mad:
Ist das nicht abartig?

Bei dieser Geschichte stell ich mir immer vor, der 19-jährige zu sein, der dachte, den Krieg überlebt zu haben, bis er plötzlich in die Gewehrläufe seiner "Kameraden" blickte, nur weil so ein verdammter Hardcore-Nazi meinte, weiterhin seine Pflicht fürs Große (zerfallene) Reich erfüllen zu müssen.

Und wenn so einer dann als Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime bezeichnet wird, könnt´ ich :kotz:
 
Stefus1 schrieb:
Und wenn so einer dann als Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime bezeichnet wird, könnt´ ich :kotz:

An welcher Stelle der Rede wurde er zum Widerstandskämpfer erklärt?
 
Oettinger schrieb:
Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes.

Dafür gibt es keinen Beleg. Auch sonst meint Oettinger Filbinger habe gar nicht anders handeln können. Weiterhin wären die von ihm verhängten Todesurteil nicht vollstreckt wurden und deswegen scheinbar nicht so relevant. Und das sind Sachen die seit nun schon 1978 diskutiert werden. Oettinger hätte es sich schlicht sparen sollen, Filbinger hat diese Aktion jedenfalls nicht geholfen.

Nun, außerdem hast du ja mit den Widerstandskämpfern hier angefangen, während zuvor über die Formulierung "Gegner des Regimes" diskutiert wurde. ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
HappyMutant schrieb:
Nun, außerdem hast du ja mit den Widerstandskämpfern hier angefangen, während zuvor über die Formulierung "Gegner des Regimes" diskutiert wurde. ;)

Nenene, das Wort Widerstandsgruppe war schon vorher gefallen! ;)

Aber mal ehrlich, zu der damaligen Zeit war es vollkommen "normal" das man Fahnenflüchtige erschoß, erhängte oder in Strafbataillonen zu Todeskommandos versetzte. Wird bei den alliierten auch nicht viel anders gehandhabt worden sein. Welchen Strick will man ihm daraus drehen? :freak:
In dem man ihn nach heutigen moralmaßstäben beurteilt, na ganz klasse.
 
Das, was du als "normal" bezeichnest, bewertet das Bundessozialgericht als "rechtsstaatswidrige Entartung" der Todesurteilspraxis.
Auch mit deiner Vermutung, daß die Alliierten sich genauso blutrünstig verhalten hätten, bist du schwer auf dem Holzweg.


Die rechtsstaatswidrige Entartung der Todesurteilspraxis wird im Vergleich zu den anderen kriegführenden Nationen deutlich: Amerikaner, Engländer und Franzosen haben im ganzen Zweiten Weltkrieg zusammen etwa 300 Todesurteile vollstreckt. Die Vereinigten Staaten verhängten während des Zweiten Weltkriegs insgesamt 763 Todesurteile, wovon 146 vollstreckt worden sind; vollstreckt wurde nur eines wegen Fahnenflucht, die anderen wegen Vergewaltigung und Mordes; Großbritannien vollstreckte im gesamten Zweiten Weltkrieg 40 Todesurteile an den Angehörigen seiner Streitkräfte, davon 36 wegen Mordes und 3 wegen Meuterei (vgl Messerschmidt/Wüllner aaO S 29; Messerschmidt in: Festschrift für Martin Hirsch S 111, 112). Hingegen hatte die deutsche Militärjustiz schon bis September 1940 519 Todesurteile vollstreckt (Messerschmidt/ Wüllner aaO S 70); am Ende des Krieges waren es vermutlich mehr als 20.000 (vgl auch Wüllner aaO S 192 ff; 200f; 231 ff).
 
Zuletzt bearbeitet:
Stop, zunächst einmal gibt es einen riesigen Unterschied zwischen tatsächlicher Fahnenflucht und denen die "angeblich" Fahnenflucht begangen haben sollen. Unter diesen 20.000 Opfern wird es eine Masse an Soldaten gegeben haben die zwar wegen Fahnenflucht etc. angeklagt wurden, dass ganze aber bei genauer Betrachtung niemals Fahnenflucht war, sondern grausame Militärdiktatur.
Auch wenn bei den Alliierten (ohne Sowjetunion) "angeblich" "nur" 3.000 Todesurteile vollstreckt worden sein sollen (glaube ich nicht), sagt das noch lange nichts über die Anzahl der Fahnenflüchtigen aus, die in Strafbataillonen umgekommen sind.
Fakt ist nun einmal, dass auf Fahnenflucht die Todesstrafe stand, und das nicht bloß im Deutschen Reich!
 
Ihr schriebt zu viel *g*

Gehts um den "Fahnenflüchtigen" der zum Tod verurteilt wurde, obwohl die Kapitulation schon unterzeichnet war?
 
Nur zur Klarstellung: Diese 20.000 Deutschen wurden nicht angeklagt, sondern hingerichtet.

Von den Wehrmachtsgerichten wurden ca. 30.000 zum Tode verurteilt (hochgerechnet, einschließlich standrechtlicher Erschießungen sowie der Urteile gegen Zivilisten und Kriegsgefangene sogar 50.000). Dieses sagen Forschungsergebnisse über die Tätigkeiten von deutschen Wehrmachtsgerichten während des Zweiten Weltkriegs (Messerschmidt/ Wüllner, S 63 - 168 und Messerschmidt in: Festschrift für M. Hirsch, 1981, S 111, 124 ff, 136 ff; Hennicke, Zeitschrift für Militärgeschichte 1965, 715, 717, 720; vgl auch Wüllner, Die NS-Militärjustiz und das Elend der Geschichtsschreibung, 1991, S 227; 446 ff; 503; 843; 852).

Die "todeswürdigen Verbrechen" bestanden sicherlich nicht nur in der Fahnenflucht:
Zitat aus dem schon von mir erwähnten Urteil des BSG:
Insgesamt erklärt sich die Gesamtbilanz "nur vor dem Hintergrund einer zur Normalität gewordenen Perversion des Rechtsdenkens". "Erscheinungen der Angst, der Erschöpfung, der Nichtanpassung an die geforderte Volksgemeinschaftsdisziplin mit äußerster Härte zu bekämpfen", hielt diese Justiz "für selbstverständliche Pflicht" (Messerschmidt, Festschrift Martin Hirsch, S 117). Zweifel an der nationalsozialistischen Weltanschauung, am Erfolg des völkischen Lebenskampfes, an Wehrmachtsberichten sowie die Weitergabe von Mitteilungen über Zersetzungserscheinungen in der Heimat oder über Kampfmüdigkeit und Überläufer waren todeswürdig (Nachweise bei Messerschmidt aaO, S 128).

PS: Nach den Forschungsergebnissen haben die Westalliierten nicht 3.000 sondern 300 eigene Militärangehörige hingerichtet.
 
MacII schrieb:
PS: Nach den Forschungsergebnissen haben die Westalliierten nicht 3.000 sondern 300 eigene Militärangehörige hingerichtet.

Klar, und nochmal 50 Jahre später haben die nie einen hingerichtet, sondern Fahnenflüchtige mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. :rolleyes:

zittrig schrieb:
den "Fahnenflüchtigen" der zum Tod verurteilt wurde, obwohl die Kapitulation schon unterzeichnet war?
Strafrechtlichrelevant ist einzig der Tatzeitpunkt und nicht der Urteilszeitpunkt.
 
Tiu schrieb:
Strafrechtlichrelevant ist einzig der Tatzeitpunkt und nicht der Urteilszeitpunkt.

Ohje, nach dieser Logik müßten wir einen Fahnenflüchtigen von 1944 auch heute noch erschießen.:p
 
Heute ist das Reichsrecht ja nicht mehr gültig, kurz nach Kriegsende hingegen schon ...
 
MacII schrieb:
Ohje, nach dieser Logik müßten wir einen Fahnenflüchtigen von 1944 auch heute noch erschießen.:p

OMG, wenn jemand 1938 einen ermordet hat, so käme er auch heute noch vor Gericht, aber sicherlich nichtmehr nach der Rechtssprechung von 1938. :rolleyes:

Wenn der olle Richter jemanden nach Kriegsende zum Tode verurteilt hat und das in einem Kriegsgefangenen Lager, dann kann er das auch nur mit Genehmigung der dort ansäßigen alliierten Macht getan haben, und dann eigentlich auch "nur" nach deren Gesetzgebung, da es auf ihrem Hoheitsgebiet geschehen ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ihr mit eurer heutigen Moral maßt euch an das Verhalten eines Menschen vor 60 Jahren zu verurteilen.

rumpel01 schrieb:
Diese Einstellung empfinde ich als hochgradig problematisch.

Diese Einstellung ist alles andere als problematisch. Es geht ganz einfach darum, dass man heute ein Ereignis der Historie nur dann wirklich beurteilen kann, wenn man auch die Moral und Wertevorstellungen der damaligen Zeit als Maßstab anlegt.
Das lernt ein jeder, der ein bisschen mehr Geschichtsunterricht bekommt.

Bezogen auf die Position und die Handlung Filbingers bedeutet dies, dass er Urteile gefällt hat die der damaligen Werte und Moralvorstellung entsprachen. Er hat sich dabei an Werte gehalten die weitaus älter waren als ein Adolf Hitler.
Wie kann man ihm dieses Verhalten vorwerfen?

Vielleicht denken die Menschen in 60 Jahren, dass es bestialisch ist einen Dieb einzusperren. Müssen sich dann alle Richter die heute eine Haftstrafe gegen einen Dieb verhängen rechtfertigen? Müssen diese Richter dann mit Demut die heute gefällten Urteile bereuen?

Horst Filbinger hat, so schrecklich das auch für uns heute klingen mag, nichts unrechtes getan. Er hat Menschen zum Tode verurteilt (setzen wir voraus, dass er bei der Entscheidungsfindung unbeeinflusst war) die nach damaligen Gesichtspunkten den Tod verdient hatten. Dies war dabei keine Besonderheit des NS Regimes sondern weltweit eine recht anerkannte Rechtssprechung.

rumpel01 schrieb:
Als Richter ist man nicht nur dem Gesetz verpflichtet, sondern auch seinem eigenen juristischen Sachverstand.

Ach ja ... was ist denn wohl der "juristische Sachverstand". Es geht dabei um die Beurteilung einer Tat anhand der Gesetze. Bestenfalls können dann noch die damals geltenden Werte und Moralvorstellungen mit in die Betrachtungsweise einbezogen werden. Dazu siehe oben.
Wie soll ein Richter in der Vergangenheit ein Urteil gefällt haben was sich nach unseren heutigen Vorstellungen von Recht richtet?! (Zeitreisen?!)

th3o schrieb:
Naja, die RAF war keine faschistoide Bande und deswegen hinkt der vergleich mit Oettinger gewaltig.

Auf der einen Seite wird gefordert geltende Rechtssprechung zu umgehen um einen Menschen der entgegen den zum Tatzeitpunkt geltenden Werte und Moralvorstellungen und entgegen dem damals geltenden Recht gemordet hat vorzeitig aus der Haft zu entlassen.
Auf der anderen Seite wird gefordert, dass ein Mensch von seinem Amt zurück tritt. Und dies nur weil dieser Mensch einen anderen verteidigt hat, der damals nach geltender Rechtssprechung und geltenden Werte und Moralvorstellungen Urteile gefällt hat die den Tod für die Täter bedeuteten. Wohlgemerkt ein Mensch der spätestens durch seine Bemühungen für die Demokratie gezeigt hat, dass er kein Nationalist ist.
Wie bitte passt dies in ein und das selbe Gesamtbild von Recht und Ordnung?!

HappyMutant schrieb:
Dafür gibt es keinen Beleg.

Es gibt zwei Namen von Soldaten bei denen Filbinger unter Gefährdung seiner eigenen Unversehrtheit Todesurteile abgewendet hat. Dieser Beleg ist ebenso gut oder schlecht wie die Vermutung, dass Filbinger die Freiheit hatte zu entscheiden wen er zum Tode verurteilt oder wen nicht.
Das du allerdings auf die von mir angeführten Namen und Ereignisse nicht eingegangen bist bestärkt mich in der Meinung, dass du ziemlich voreingenommen scheinst.

MacII schrieb:
Das, was du als "normal" bezeichnest, bewertet das Bundessozialgericht als "rechtsstaatswidrige Entartung" der Todesurteilspraxis.

Bleibt zu prüfen ob die Todesurteile die Filbinger verhängte Teil dieser "rechtsstaatswidrigen Entartung" waren.
Interessant ist ja die Wortwahl "Entartung". Dies bedeutet, dass der Fakt, dass Todesurteile verhängt wurden nicht zwangsläufig "rechtsstaatswidrig" war. Es geht lediglich um die Feststellung, dass wohl anscheinend zu viele Todesurteile gesprochen wurden. Man kann nun davon ausgehen, dass einige/viele Todesurteile nicht angemessen waren.
Doch fallen die Todesurteile Filbingers darunter?

Mac's Quelle schrieb:
Hingegen hatte die deutsche Militärjustiz schon bis September 1940 519 Todesurteile vollstreckt (Messerschmidt/ Wüllner aaO S 70); am Ende des Krieges waren es vermutlich mehr als 20.000 (vgl auch Wüllner aaO S 192 ff; 200f; 231 ff).

Interessant ist dabei, dass nicht auf die Frage eingegangen wird wie viele dieser Urteile gegen Fahnenflüchtige verhängt wurden... Denn darunter fallen sicher tausende von Todesurteilen die wegen weitaus geringerer Verbrechen gefällt wurden. Eben die Fälle in denen sich Filbinger anscheinend für die Beklagten stark gemacht hat und Todesurteile abgewendet hat.
 
Der Daedalus schrieb:
Ihr mit eurer heutigen Moral maßt euch an das Verhalten eines Menschen vor 60 Jahren zu verurteilen.

Du weißt ja, jeder heut lebende Mensch wäre damals im Untergrund aktiv gewesen, allen voran natürlich unsere Politiker:evillol: Ein Nazi,? Nein ich doch net:rolleyes:



Der Daedalus schrieb:
Bezogen auf die Position und die Handlung Filbingers bedeutet dies, dass er Urteile gefällt hat die der damaligen Werte und Moralvorstellung entsprachen. Er hat sich dabei an Werte gehalten die weitaus älter waren als ein Adolf Hitler.
Wie kann man ihm dieses Verhalten vorwerfen?

Da hast Du sicherlich vollkommen Recht. Allerdings ging es nicht darum, sondern um die Aussagen Oettingers und die waren eindeutig unangebracht.

Der Daedalus schrieb:
Horst Filbinger hat, so schrecklich das auch für uns heute klingen mag, nichts unrechtes getan. Er hat Menschen zum Tode verurteilt (setzen wir voraus, dass er bei der Entscheidungsfindung unbeeinflusst war) die nach damaligen Gesichtspunkten den Tod verdient hatten. Dies war dabei keine Besonderheit des NS Regimes sondern weltweit eine recht anerkannte Rechtssprechung.

Wobei diese aber mit Sicherheit in einem solchen Regime schärfer ausgelegt wurde wie bspw. von den Engländern o. auch Amerikanern, was ja die obigen Zahlen belegen.
Da spielt vermutlich auch das Wort "Abschreckung" eine große Rolle. Wie sonst die Truppen davon abhalten, Fahnenflucht zu begehen?
 
Der Daedalus schrieb:
Ihr mit eurer heutigen Moral maßt euch an das Verhalten eines Menschen vor 60 Jahren zu verurteilen.

Und du maßt dir an, daß du entscheiden kannst was damals moralisch richtig war und was wir heute davon zu halten haben. Moralvorstellungen entwickeln sich, auch gerade aufgrund solcher Geschehnisse. Sie im Nachhinein zu beurteilen halte ich durchaus für legitim. Und den Tod eines Menschen mit einer Haftstrafe für Diebe zu vergleichen ist ein recht hinkender Vergleich. Ob ich jemandem zeitweise seine Rechte einschränke oder sein Leben beende ist ein ziemlicher Unterschied.

Warum ich auf deine entlastend gemeinte Beispiele nicht eingegangen bin? Weil ich sie nicht im Detail kannte, ich mußte mir erstmal eine halbwegs unabhängige Quelle anlachen. Weiterhin hast du es auch nicht nötig, darauf einzugehen, das er in diversen Nazi-Organisationen war und was das aussagt. Zudem hat er offenbar Unterschiede gemacht wem er hilft und wem nicht, oder sehe ich das falsch? Ja, er hat sicherlich keinen "ins Messer laufen lassen". Aber er hat seine Pflicht erfüllt und ob er wirklich bei der Abwendung von zwei Todesurteilen sein Leben riskiert hat finde ich nirgends, außer in Oettingers Rede. Und wer offenbar auch nach dem Zusammenbruch des Regimes noch Urteile spricht wegen unerlaubtem Entfernen von der Truppe, ist das ein Gegner des Regimes, welches er aufrecht erhält? Das ist so fraglich und bleibt es. Und darum ging es hier ja.

Voreingenommenheit unterliegen wir alle. Du bist nicht neutral, ich bin es nicht. Jeder urteilt nach seinem Wertesystem. Und so sehr man sicherlich einiges relativieren kann, ist der Hauptstreitpunkt, das Filbinger damals ein Gegner des NS-Regimes war, nicht klärbar und nicht belegbar. Insofern müssen wir uns alle auf eine gewisse Weise mit "Vorurteilen" aushelfen.
 
HappyMutant schrieb:
Und den Tod eines Menschen mit einer Haftstrafe für Diebe zu vergleichen ist ein recht hinkender Vergleich. Ob ich jemandem zeitweise seine Rechte einschränke oder sein Leben beende ist ein ziemlicher Unterschied.

Also Daedalus hat hier keinen "direkten" Vergleich von zwei vollkommen verschiedenen Dingen gezogen, sondern anhand eines profanen beispiels die Sache durchaus verdeutlicht um was es geht, nämlich um die Beurteilbarkeit des Heute mit einer wie auch immer gearteten Zukunft.

Welches Zeitalter hat von seinen nachfolgenden Zeitaltern keine moralischen Prügel bezogen? Denkt hier irgendeiner wirklich, dass man uns in 50, 100 oder 500 Jahren nicht genauso moralisch herablassend beurteilen wird?
 
HappyMutant schrieb:
Und du maßt dir an, daß du entscheiden kannst was damals moralisch richtig war und was wir heute davon zu halten haben.

Sowas nennt man dann Geschichte ...
Es ist geschichtlich durchaus nachprüfbar, was damals geltende Moral war. Es war unter anderem geltende Moral, dass Fahnenflüchtige mit dem Tode bestraft werden können. Dieses ist durch eine große Anzahl von Gesetzen in verschiedensten Nationen belegt.

HappyMutant schrieb:
Moralvorstellungen entwickeln sich, auch gerade aufgrund solcher Geschehnisse. Sie im Nachhinein zu beurteilen halte ich durchaus für legitim.

Was willst du Beurteilen?
- Wenn du einen Zustand als "aus heutiger Sicht nicht mehr erstrebenswert" beurteilen willst, dann ist das unter Zugrundelegung heutiger Moralvorstellungen durchaus legitim.
- Wenn du die Handlung einer Person als falsch beurteilen willst, dann ist das unter Zugrundelegung heutiger Moralvorstellungen definitiv und zweifelsfrei illegitim. Diese Person hatte gar nicht die Chance die Entwicklung durchzumachen, die wir heute erfahren. Moralvorstellungen entwickeln sich, dass hast du sehr schön gesagt. Und genau aus diesem Grund darf die Handlung einer Person nur unter der Zugrundelegung der zum Zeitpunkt der Handlung geltenden Moralvorstellung beurteilt werden.

Sorry wenn ich in dem Punkt so hartnäckig bin, aber das ist für mich sowas von selbstverständlich, dass ich es nicht akzeptieren kann, da da jemand anders denkt.
Denn jede andere Denkweise ist den Menschen gegenüber im höchsten Maße ungerecht.

HappyMutant schrieb:
Und den Tod eines Menschen mit einer Haftstrafe für Diebe zu vergleichen ist ein recht hinkender Vergleich.

Keinesfalls.
Aus der Sichtweise der heutigen Moralvorstellungen mag er dir als hinkend vorkommen. In 60 Jahren kann er durchaus angebracht sein. Vor 60 Jahren hätte man das selbige vielleicht über Vergleiche mit Fahnenflucht gesagt ...

Ob ich jemandem zeitweise seine Rechte einschränke oder sein Leben beende ist ein ziemlicher Unterschied.

Du verstehst nicht was ich sagen wollte, oder? Es geht um die Beurteilung einer Strafe unter Zugrundelegung des zu der Zeit aktuellen Rechtssystems.

HappyMutant schrieb:
Weiterhin hast du es auch nicht nötig, darauf einzugehen, das er in diversen Nazi-Organisationen war und was das aussagt. Zudem hat er offenbar Unterschiede gemacht wem er hilft und wem nicht, oder sehe ich das falsch? Ja, er hat sicherlich keinen "ins Messer laufen lassen".

Ich halte es nicht für nötig weil quasi jeder damals in irgendwelchen "Nazi-Organisationen" war. Selbst Menschen die wir heute als Widerstandskämpfer verehren waren Mitglied in NSDAP und Co.
Vielleicht hat er einfach erkannt, dass die Todesstrafe für einen Fahnenflüchtigen angemessen ist (also der damaligen gängigen Militärrechtssprechung entsprechend) aber für minderschwere Vergehen nicht.
Oder vielleicht hat er einfach nur in den Fällen eingegriffen, in denen es ihm möglich war. Es soll damals auch vorgekommen sein, dass die Unterschrift eines Richters im Grunde nur ein förmlicher Akt war bei dem der Richter keine Entscheidungsgewalt hatte.

HappyMutant schrieb:
Voreingenommenheit unterliegen wir alle. Du bist nicht neutral, ich bin es nicht. Jeder urteilt nach seinem Wertesystem.

Da ich versuche die Taten Filbingers im geschichtlichen Kontext zu sehen halte ich mich sehr wohl für "neutraler" als du.
Zumindest schwinge ich nicht die Moralkeule da wo ich NIEMALS beurteilen kann wie ich in genau der Situation in der Filbinger sich befand mit den Erkenntnissen die er hatte gehandelt hätte.

Stefus1 schrieb:
Allerdings ging es nicht darum, sondern um die Aussagen Oettingers und die waren eindeutig unangebracht.

Eben dieser Aussage kann ich nicht folgen. Für mich reicht die Aussage, dass Filbinger 2 Menschen das Leben rettete obwohl er als "Systemtreuer" diese Menschen in den Tod hätte schicken müssen. Er hat sich somit gegen das System gestellt welches den Tod genau dieser beiden Menschen gefordert hat.

http://www.presseportal.de/story.htx?nr=970175


Und nur weil alle unsere tollen Politiker fordern, dass Oettinger sich entschuldigt wird seine Aussage nicht zwangsläufig falsch.

Vielleicht sollten wir uns mal endlich fragen warum wir noch immer so eine kranke Einstellung gegenüber unserer Geschichte haben ...

Ein Staufenberg, der im Grunde für den Krieg und für die Judenvernichtung war und der aktiv an der Machtergreifung und Machtsicherung Hitlers beteiligt war wird zum Helden stilisiert.
Aber ein popeliger kleiner Richter der nichts anderes gemacht hat als Recht zu sprechen und sich zudem noch für das Leben von Todeskandidaten eingesetzt hat darf nicht einmal als Gegner des Naziregimes bezeichnet werden.

Sorry bei diesem verwirrten und verzerrten Geschichtsbild fehlt mir wirklich völlig das Verständnis.
 
Der Daedalus schrieb:
Es ist geschichtlich durchaus nachprüfbar, was damals geltende Moral war. Es war unter anderem geltende Moral, dass Fahnenflüchtige mit dem Tode bestraft werden können.

Das war nicht Moral, das war (Militär-)Gesetz, einer feiner Unterschied. Ich bezweifel ernsthaft das Erschießen von Fahnenflüchtigen von der Mehrheit als moralisch in Ordnung gesehen wurde. Möglicherweise im Militär, aber da gibt es heute noch solche und solche.

Der Daedalus schrieb:
Aus der Sichtweise der heutigen Moralvorstellungen mag er dir als hinkend vorkommen. In 60 Jahren kann er durchaus angebracht sein. Vor 60 Jahren hätte man das selbige vielleicht über Vergleiche mit Fahnenflucht gesagt ...

Das ist ebenso Spekulation. Und es gibt genug Menschen die diese Zeit mitmachten und denen du heute indirekt Opportunismus vorwirfst, die damals nicht so dachten und heute nicht so denken. Ja, Filbinger tat das und deiner Meinung nach auch zu Recht. Und es gibt genug Menschen die sich davon distanzieren konnten was sie damals taten, ohne darauf zu bestehen, daß es damals legal und erwünscht und befohlen war. Filbinger konnte es nicht und Oettinger kann es scheinbar auch nicht.

Der Daedalus schrieb:
Du verstehst nicht was ich sagen wollte, oder? Es geht um die Beurteilung einer Strafe unter Zugrundelegung des zu der Zeit aktuellen Rechtssystems.

Nein es geht um Moral. Ich sagte bereits das er für diese Urteile nicht belangt werden konnte. Juristisch ist alles in Ordnung. Aber er hätte sich ihr stellen sollen. Aber nein: Was damals Recht war ist heutzutage kein Grund es zu bereuen.

Der Daedalus schrieb:
Ich halte es nicht für nötig weil quasi jeder damals in irgendwelchen "Nazi-Organisationen" war. Selbst Menschen die wir heute als Widerstandskämpfer verehren waren Mitglied in NSDAP und Co.

Das habe ich auch nie angezweifelt. Diese haben aber an einem bestimmten Punkt ihren Widerstand zum Ausdruck gebracht, Filbinger tat dies nicht. Und auch wenn du hier immer nur den militärischen Widerstand erwähnst, so sei auf die vielen Widerständler hingewiesen, die dies nicht waren. Die von Anfang an als Kommunisten z.b. auch verfolgt wurden, weil sie offen dazu standen.

Der Daedalus schrieb:
Vielleicht hat er einfach erkannt, dass die Todesstrafe für einen Fahnenflüchtigen angemessen ist.

Ob das eine Sache von Verdienen oder blinder Gehorsam ist, wäre noch zu klären. In der kruden Militärtradition war es vielleicht "verdient". Aber das er als angeblich gläubiger Christ zu der Überzeugung gekommen ist, daß so ein Tod verdient ist, wäre wohl vermessen. Da klappt ja noch die andere Hälfte von Oettingers Rede zusammen.

Der Daedalus schrieb:
Zumindest schwinge ich nicht die Moralkeule da wo ich NIEMALS beurteilen kann wie ich in genau der Situation in der Filbinger sich befand mit den Erkenntnissen die er hatte gehandelt hätte.

Du schwingst sie in die andere Richtung. Wirfst anderen eine Art Hypermoral vor, weil sie Todesurteile für moralisch bedenklich halten und eine Relativierung davon nicht akzeptieren. Es geht hier darum wie sein Verhalten historisch und moralisch einzuordnen sind. Ja und wie seine Rechtfertigung aussah.

Der Daedalus schrieb:
Und nur weil alle unsere tollen Politiker fordern, dass Oettinger sich entschuldigt wird seine Aussage nicht zwangsläufig falsch.

Klar alles Schweine außer Mutti.. äh Oettinger. Der gute Herr Oettinger hat eine tote Debatte über einen toten Politiker wieder in die Öffentlichkeit gezerrt. Wieviel Opportunismus ist das? Und richtig ist die Behauptung nicht. Es gibt keine Zeichen das er Regimegegner war. Entweder war seine Moral und seine Haltung im Zeitgeist, so daß er Todesurteile befürwortete oder er lehnte sie ab. Entweder er tat etwas aus Überzeugung dagegen oder eben nicht. Aber hier ist es mal so mal so, mal hat es einer verdient, mal nicht, immer war Filbinger im Recht. Wären die anderen beiden auch hops gegangen, er wäre trotzdem aus deiner Argumentation heraus moralisch integer gewesen.

Der Daedalus schrieb:
Vielleicht sollten wir uns mal endlich fragen warum wir noch immer so eine kranke Einstellung gegenüber unserer Geschichte haben ...

Kranke Einstellung gegenüber der Geschichte, weil man Todesurteile für falsch und eine moralische Erneuerung für richtig und wichtig hält? Revisionismus ist ebenso krank.

Der Daedalus schrieb:
Ein Staufenberg, der im Grunde für den Krieg und für die Judenvernichtung war und der aktiv an der Machtergreifung und Machtsicherung Hitlers beteiligt war wird zum Helden stilisiert.

Okay, "im Grunde" heißt? Und es gibt kritische Auseinandersetzungen zu dem Thema noch und nöcher. In diesem Kontext unerwähnt weil es um Filbinger geht und nicht um andere Dinge. Ein Fehlverhalten löscht das andere nicht aus.

Das Militär, was übrigens mit solchen Argumenten wie deinen, auch gerne mal von der Verantwortung reingewaschen werden soll, war sicherlich kein Hort des Widerstandes und die Gründe für Putschversuche sicherlich vielfältig und nicht viele aus reiner Menschenliebe. Da ging es natürlich vorallem auch um Ehre, Ruhm und militärischen Realismus. Nun, ich denke die Entwicklung in den letzten Jahren, das Stauffenberg und Co. immer mehr glorifiziert werden, ist eine falsche. Aber das können wir sicherlich ein anderes mal klären.

Der Daedalus schrieb:
Aber ein popeliger kleiner Richter der nichts anderes gemacht hat als Recht zu sprechen und sich zudem noch für das Leben von Todeskandidaten eingesetzt hat darf nicht einmal als Gegner des Naziregimes bezeichnet werden.

Warum muß er das? Hätte man ihn nicht als Politiker würdigen können? Nein, man muß ihn nachträglich reinwaschen, mußte nochmal einen Finger in die Wunde legen, ja, denn für heuchlerische Gerechtigkeit ist es nie zu spät Herr Oettinger. Oder was? Können wir jetzt jeden, der sich wie ein Mensch verhalten hat, gleich als Regimegegner würdigen? Wären die "Todeskandidaten" zum Tode verurteilt worden? Wieviel Risiko hat Filbinger gehabt (laut Oettinger gar Lebensgefahr). Hier wie da: Spekulation.

Der Daedalus schrieb:
Sorry bei diesem verwirrten und verzerrten Geschichtsbild fehlt mir wirklich völlig das Verständnis.

Danke, gleichfalls.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Der Daedalus:
Das Verhalten Filbingers im Fall des Pfarrers Möbius steht in einigem Kontrast zu dem Verhalten, welches er insbesondere gegenüber kleinen Wehrmachtsangehörigen bis in seine Kriegsgefangenschaft bei den Briten hinein praktiziert hat. Im Geiste seiner Zeit scheint er ein großer Anhänger des Kadavergehorsams gewesen zu sein - zumindest bei Mannschaftsdienstgraden.
Auch ein Einser-Jurist muss sich spätestens im Januar 1945 Gedanken darüber gemacht haben, ob er einem Unrechts-Regime dient oder nicht. Dafür, dass eigentlich klar war, wes Geistes Kind die Nazis waren und dass der Krieg verloren war, war Filbingers Eifer gegenüber Deserteuren größer als notwendig. Er hätte es in seinen Strafanträgen z.B. bei 10 + x Jahren Zuchthaus belassen können, wie es Kollegen teils getan haben, die sich 1945 teils mehrfach geweigert haben, den Wünschen der Generalität nach einem Todesurteil zu folgen. Dieser "Dienst nach Vorschrift" hatte normalerweise nicht einmal die Entfernung aus dem Dienst zur Folge.
Der popelige kleine Richter Filbinger hat sich gegen Anfang seiner Karriere übrigens auch in einer Studentenzeitschrift für die Rassenideologie der Nazis stark gemacht. Der Herr war Karrierist und hat gegen Ende des 3. Reiches genügend viel Dienst nach Vorschrift gemacht. Ohne Anführungsstriche. Jemand, über den man in der Bundesrepublik ohne wenn und aber sagen durfte, dass er im 3. Reich ein "furchtbarer Jurist" war. Und der sich nicht so recht zur Umdeutung in einen "Widerstandskämpfer" eignet.

Oettinger halte ich ebenfalls für einen Karrieristen. Er hat nur das Glück, in einem Staat mit vergleichsweise gesicherten Grundrechten zu leben. Da geht es sich nicht so schnell über echte Leichen und die dokumentierten Ausfälle aus der Vorbild-Rolle stutzen den Herrn höchstens auf menschliches Normalmaß (man beachte das Jahr 1991).
 
Der Daedalus schrieb:
Ein Staufenberg, der im Grunde für den Krieg und für die Judenvernichtung war und der aktiv an der Machtergreifung und Machtsicherung Hitlers beteiligt war wird zum Helden stilisiert.
Aber ein popeliger kleiner Richter der nichts anderes gemacht hat als Recht zu sprechen und sich zudem noch für das Leben von Todeskandidaten eingesetzt hat darf nicht einmal als Gegner des Naziregimes bezeichnet werden.

Staufenberg war an der Machtergreifung Hitlers nicht beteiligt, er stammt aus einer katholischen Adelsfamilie, die wie damals üblich alle Militärkarrieren machten. Auch der Antisemitismus war innerhalb dieser katholischen Kreise gang und gäbe, aber Judenvernichtung war auch für Stauffenberg zuviel.
Im Gegensatz zu Filbiger war aber Stauffenberg AKTIV am Widerstand beteiligt und deshalb auch hingerichtet worden. Diese Belege fehlen jedoch bei Filbinger. Ich finde deinen Vergleich total absurd.
 
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