GevatterTod schrieb:
Den Punkt habe ich viele Seiten weiter vorne konkreter und ausführlicher erläutert. Da dies vergebliche Liebesmüh war, habe ich mir hier nicht die Mühe gemacht, meine Gedanken detaillierter zu erläutern. Für dich hole ich das aber gerne nach:
1. Stichwort "mehr Bildung":
- Ich denke, dass wir mehr Schulen brauchen, zumindest wenn ich mich in meinem Umfeld umschaue.
- Ich bin ein Verfechter von Ganztagsschulen und einem Schulmodell, in dem die Kinder nicht aufgrund ihrer Leistungen in der dritten und vierten Klasse auf verschiedene Bildungswege verteilt werden.
- Damit Ganztagsschulen nicht langsam auf das Niveau der schlechtesten Schüler herunter gezogen werden und Ganztagsschulen auch ein Ort individueller und sozialer Betreuung sein können, brauchen wir deutlich mehr Lehrer und Sozialpädagogen.
- Prinzipiell bin ich dafür, Religionsunterricht ganz aus Schulen zu verbannen, aber in der gegenwärtigen Situation wäre es in meinen Augen sehr sinnvoll, wenn Christen als auch Muslime die hier gelebten und akzeptierten Grundsätze ihres Glaubens vermittelt werden würde. Weiterhin wäre den Jugendlichen die Funktionsweise unserer Gesellschaft zu vermitteln, und das nicht aus 20 Jahre alten Textbüchern, sondern praxisnah.
2. Stichwort "mehr Aufklärung":
- Warum ist PEGIDA nur in Sachsen so erfolgreich, während im Ruhrgebiet bestenfalls einige hundert Demonstranten mobilisiert werden können? Weil die Sachsen kaum Einwanderung haben, vor allem keine muslimische, während das Ruhrgebiet seit 50, 60 Jahren ganz normal mit den einstigen Gastarbeitern zusammen lebt! Die kennen die "Multi-Kulti"-Gesellschaft nur aus dem Fernsehen, und dort sehen sie nur die Problemzonen dieser Gesellschaft.
- Was ist also konkret zu tun? Ganz wichtig scheint mir zu sein, dass die Politik lokal wieder stärker auf die Menschen zugeht.
- Weiterhin muss m.E. der Islam stärker institutionalisiert werden. Es muss einen Dachverband für ALLE Muslime geben, der nach Außen die Muslime repräsentiert, nach Innen reguliert (wie es die katholische Kirche bspw. am Beispiel des rechtsextremen Pfarrers aus Duisburg getan) und sich noch stärker für die Verständigung zwischen den Religionen einsetzt. Ganz konkret kann das ein regelmäßiger (nicht nur jährlicher) bundesweiter "Tag der offenen Tür" in deutschen Moscheen sein, damit die Menschen die muslimischen Gemeinden kennenlernen.
[Ich habe mal die Sachen, die ich ebenso wie du sehe, aus deinem Beitrag gelöscht: schnelle Arbeitsmarktintegration für Migranten, mehr Sprachunterricht etc.]
Ich antworte mal nur dir, weil die restlichen Beiträge hier ja deutlich unter dem Niveau der Kritik sind.
Es ist ja augenscheinlich, auch gerade in diesem Thread, wie man ja an den zwei fleißigen Apologeten des Abendlandes sieht, dass mehr Bildung nötig ist. Aber die Frage ist ja auch, was für Bildung. Diese beiden Apologeten, die hier eilfertig auf jedes Argument immer mit dem passenden Ressentiment kontern können ("kriminelle Ausländer, sapperlot!"), mangelt es ja nicht an der basalen Fähigkeit, zu schreiben oder zu rechnen. Nur wenn man die Beiträge ein wenig analysiert, merkt man schnell, dass das gar keine so 'eigene Meinung' ist, sondern einfach nur nachgeplappert wird, was man durch den medialen Äther ungefiltert aufgenommen hat und die eigenen Erlebnisse nur nach dieser schematischen Erkenntnisfolie ausgewertet werden (wie beim Beispiel mit den
"Türken-Bengeln" weiter oben). D.h. diese Kommentatoren sind völlig erfahrungsunfähig. Es genügt also nicht, einfach
n neue Schulen zu bauen, sondern man muss sich die Frage stellen, was Bildung überhaupt ist. Das wäre
Erziehung zur Mündigkeit. Also überhaupt erstmal Reflexionsfähigkeit, mit der gerade eine gewisse Resistenzkraft gegen sowas wie Faschismus oder Autoritarismus oder Relativismus einhergeht. Einfach nur mehr Bildung durch mehr Bildungsinstitutionen ist schlecht abstrakt, weil der Inhalt, der in diesen Bildungsinstitutionen vermittelt wird, nicht gerade hilfreich ist. Da bringen dann auch mehr 'Sozialpädagogen' nichts. Was sollen die denn anderes vermitteln, als das, was ihnen im Studium vermittelt wird: Leere Moral, Kommunikationstechniken /Konfliktmanagement, usw. usf. Aber das ist ja selbst völlig inhaltsleer.
Die Sozialpädagogische Intervention der Nachwendezeit hat es geschafft, ganze Ostdeutsche Landstriche zu re-nazifizieren. Die akzeptierende Jugendarbeit, die Unsummen in pädagogische Infrastruktur gesteckt hat, hat es Nazis ermöglicht, sich zu organisieren und 'nationalbefreite Zonen' aufzubauen. In Jugendclubs waren Nazis diesem Programm nach willkommen, weil sie dann eben weg von der Strasse sind. Sie durften ihren nazistischen Müll publizieren, weil es eben "ihre Meinung" sei. Da ist noch der autoritärste Lehrer alter Schule besser, weil man sich gegen diesen - der einem ja vermittelt Statthalter ewiger Wahrheit zu sein - absetzen kann. Man will nicht wie er sein, weil er ja 'grausam' zu einem ist. D.h. man muss aber auch klüger und reflektierter als er sein. Natürlich will ich auch nicht zum pädagogischen Konzept der Weimarer Republik zurück, sondern wollte nur darstellen, dass man eben nicht zur Reflexionsfähigkeit erzogen wird, sondern zu einem Relativismus.
Und dieser Relativismus - das bezieht sich auf deinen zweiten Stichpunkt - macht einen eben aufklärungsresistent - es gibt sehr harte
Grenzen der Aufklärung. D.h. mehr Aufklärung funktioniert nicht, weil sie auf keinen fruchtbaren Boden fällt.
Ich gebe dir teilweise Recht mit deiner Behauptung, dass habe auch gerade etwas mit der Abwesenheit von Migranten zu tun. Würde das aber noch anders herleiten. Ob nun Migranten vorhanden sind oder nicht, das ist ja egal. *egida-Anhänger sähen eh immer nur "Türken-Bengel" in ihnen, anstatt deutsche Staatsbürger die eine andere Hautfarbe haben - dafür sorgt die Erfahrungsunfähigkeit. Das funktioniert nicht so, wie die Sozialpädagogik sich das vorstellt. Im Ruhrgebiet gibt es ja auch enorme Probleme mit organisierten Nazis, d.h. da funktioniert Multi-Kulti mitnichten. Es ist ja nicht so wie du behauptest, dass man, wenn man unter Migranten oder Asylanten lebt, dann auf einmal merkt "das sind ja auch nur Menschen mit den gleichen Bedürfnissen, Wünschen und Gefühlen wie ich", sondern man sortiert das seiner schemantischen Erkenntnisfolie so ein, dass man zu den o.g. "Türken-Bengeln" kommt. Hinzu kommen soziale Konflikte und ein konservativer Islam, die eben kein Multi-Kulti-Wonderland sind (
hier fünf Minuten einer Predigt, die vor ein paar Tagen in Berlin gehalten wurde. Das ist pure Barbarei, die sich erst in Multi-Kulti-Ghettos entfalten kann).
Ich würde das eher mit dem politischen Klima Sachsen erklären, warum dort *egida-Demos so erfolgreich sind, anderswo nicht. Dabei kann Pegida insbesondere in Sachsen auf ein Bündnis mit der regionalen Politik setzen, denn da hier ohnehin kaum eine vor den Kopf zu stoßende migrantische Bevölkerung lebt, ist dieses fremdenfeindliche Ticket auch für die regionalen Politiker einfach zu haben. Es muss also in einer erweiterten Analyse von P*egida der Zusammenhang zwischen der konservativen politischen Kultur Sachsens, rassistischen Angriffen, AfD- und NPD-Wahlerfolgen betrachtet werden, ohne zugleich ein bequemes Feindbild aufzubauen, dass in P*egida nur ordinäre Stiefelnazis erkennen will.
Fast jede Moschee hat bereits einen Tag der offenen Tür, das hat aber bisher weder etwas an den Vorurteilen der *egida-Rassisten geändert, noch daran, die widerlichen Inhalte, die dort gepredigt werden, als solche zu denunzieren. Und ein Dachverband für Muslime gibt es ja auch bereits. Das ist ja gerade Teil des Problems, ebenso wie die 'Islamkonferenz' - zu denen nur konservative Organisationen eingeladen wurden, aber nicht säkulare. Hinter solchen Vereinen und Organisationen steht das Interesse, einen religiös begründeten Alleinvertretungsanspruch für die entsprechenden Bevölkerungsteile zu behaupten, sie also auf ihre Religion zu reduzieren, anstatt daraus zu befreien. Es wird gerade von diesen islamischen Interessengemeinschaften das Bild eines deterministischen Zusammenhangs von Individuum und Religion gezeichnet. Das muss durchbrochen werden, anstatt in einen leeren "Dialog" zu treten.
Also mit "auf Menschen zugehen" ist es einfach nicht getan, da diese ja schon in völlig verhärteten Verhältnissen leben. Das ist idealistisch und ändert nichts an den materialistischen Lebenszuständen. Das ist formalistisch und deswegen schlecht-abstrakt. Die Vermittlung von Reflexionsfähigkeit und zivilisatorischen Mindeststandards, das wäre schon handfester. So, wie es im oben verlinken Aufsatz zu einer Erziehung zur Mündigkeit argumentiert wird.