Wer erzieht die Erzieher?
Wenn ich mir den Alltag der meisten Erzieher (die ich kenne) so ansehe, dann fällt mir dafür nur eine einzige Antwort ein - Momentan sind es die Eltern der Schutzbefohlenen, denn nichts anderes übt so großen und gleichzeitig so unvorhersehbaren Druck auf Erzieher aus (mit den institutionellen Vorgaben kann man gut rechnen - Eltern sind größtenteils unberechenbar).
Bei Lehrern ist es letztlich das gleiche. Gib den Eltern eine private Kontaktmöglichkeit, und du kannst selbst von Sa auf So nicht ungestört schlafen. Ich kann nicht genau sagen, wie oft mir von Lehrern im Studium empfohlen wurde, niemals eine Privatnummer an Eltern zu geben - die bekommt das Schulsekretariat mit der dringenden Bitte, sie unter KEINEN Umständen herauszugeben - nötiger Selbstschutz, leider, denn es scheitert nicht an der Hilfsbereitschaft der Lehrer (meistens) sondern daran, dass es immer Eltern giibt, die diese Möglichkeit dann missbrauchen und den Lehrer Sonntagmorgens um 8:00 lautstark zu den Noten ihrer "Wunderkinder" bearbeiten, oder sie eben beschimpfen, weil in den Hausaufgaben "schwule Textaufgaben" dabei waren, oder weil im Schulbuch nicht nur Frauen bei der Hausarbeit abgebildet sind. Da kann man sich dann aussuchen, ob man seinen Unterricht auf diesen Gegenwind ausrichtet, oder ob man sich irgendwann mit dem Direktor über damit zusammenhängende Imageschäden untehalten will.
Tatsächlich gibt es immer wieder Initiativen, bei denen es z.B. um die Vorurteilsfreie Behandlung von Sexualitäten in der Schule geht.
Da es leider relativ schwer ist, hier zu einer klaren Position zu gelangen, werden dann vielleicht Vertreter einzelner Gruppierungen eingeladen. Wenn der Pfarrer im Sexualunterricht eine homo-, islamo- oder einfach real-o-phobe Messe hält, beschweren sich nur wenige aber sobald entsprechende Eltern mitbekommen, dass ein Vertreter eines "Schwulenvereins" oder wohlmöglich ein stadtbekannter BDSMler eingeladen wurde, gehts ganz schön ab, obwohl deren Programme meist schon aus Selbstschutz extrem selbstkritisch daherkommen.
Das gleiche bei der Religion. Wenn es um fremde Religionspraxen geht, sehen die deutschen Eltern meist ganz klar, dass das in der Schule laut Statuten eigentlich nichts zu suchen haben darf. Allerdings sprechen die gleichen Eltern gerne von "empfindlichen Einschnitten in die Kultur", wenn jemand versucht, das Neutralistätsgebot auch auf christliche Symbole anzuwenden.
Scheinbar gehen viele Eltern erst von einer erfolgreichen Wertevermittlung aus, wenn z.B. der Unterricht es den Kindern zumindest nicht unmöglich gemacht hat, die gleichen Vorurteile wie die Eltern aufzubauen. Zum Teil wird die selbe Desinformation gefordert, auf der die eigene Meinung (die natürlich die einzig wahre ist) aufbaut - und das ganz offen und ungeniert, wähnt man sich damit doch im Recht.
Homosexualität im Unterricht? Vielleicht im Biologieraum, wo man die Schwulen wenigstens isolieren kann - wer weiß, vielleicht ist das ja DOCH ansteckend. Wenn einen der Staat mit seiner Weicheipolitik gegenüber derlei Perversionen schon die eigene Erziehung sabotiert, will man sich eben wenigstens drüber beschweren. Und sorgt damit ganz nebenbei auch dafür, dass Lehrer solche heissen Eisen lieber nur nach Vorschrift behandeln (deswegen ist die Behandlung abweichender Sexualitätsformen ja mittlerweile auch Bestandteil dieser Vorschriften, der lauteste Gegner war hier NICHT die Kirche, es war der Elternbund).
Wer erzieht die Erzieher? Offensichtlich die Eltern der Schutzbefohlenen. Und scheinbar wollen viele dieser Eltern keine Vorurteilsfreie oder auch nur -sensible Erziehung für ihre Kinder. Und auf der gesetzlichen Basis ist das ihr gutes Recht, es steht einer vorurteilssensiblen Unterrichtspraxis nur leider arg im Weg. Die Lösung für dieses "Problem" muss allerdings in den Köpfen der Eltern stattfinden, wenn sie nicht einfach diktiert werden soll.
Das bringt mich zu einer Frage, die dadurch mMn in den Fokus rückt:
Von wem kommt der Bildungsauftrag letztlich? Wer ist der eigentliche Auftraggeber der Schulen? Die Eltern oder der Staat? Und wie sieht es mit dem Umstand aus, dass sich Schulen mittlerweile ebenfalls in einem Konkurenzkampf befinden, ihr "Profil" in einer Weise entwickeln, die Eltern das Gefühl gibt "hier ist mein Kind gut aufgehoben?
Der offizielle Auftraggeber ist natürlich der Staat (in DE also die Länder als Dienstherr öffentlicher Schulen mit ihrer sogenannten Bildungshoheit), aber das was momentan an Schulen tatsächlich passiert (Profilarbeit - also Werbung) ist "Kundenorientierung", was letztlich bedeutet, dass nicht mehr einfach das umgesetzt wird, was nach der Gesetzgebung eigentlich umgesetzt werden müsste, sondern das zusätzlich ein irrsinniges Gewicht auf die Marktplatzierung der Schule gelegt wird. Und das sorgt wie in allen Bereichen mit Kundenorientierung dafür: es wird nicht gemacht, was für gut oder wichtig befunden wurde, sondern einfach das, was der Kunde wünscht, damit er das Produkt dann eben auch kauft. Wertneutrale Sozialerziehung kann da genaugenommen nur "untergejubelt" werden, sozusagen als Nebenwirkung dieses "Pimp my Child" Programms der Elternwahl (die soll dann aber bitte auch auf dem Beipackzettel draufstehen - im Schulprogramm).
Was, wenn der Kunde sich aber wünscht, dass die Vorurteile seines Kindes seinen eigenen nicht so unähnlich sind, dass das Kind den einzig wahren Glauben entwickelt u.Ä. (oder man scheinbar Angst hat, dass der einzig wahre Glauben neben den existierenden Alternativen dann doch nicht mehr so attraktiv ist)?
Wenn ich jetzt noch ein bisschen weitermache bin ich mitten in der sogenannten Ökonomisierungsdebatte, die in den Erziehungswissenschaften seit nunmehr 15 Jahren Thema war und ist. Bei Privatisierungen im Bildungsbereich, bei der Frage ob Bildung Kapitalaufbau ist, oder ausschließlich auf diesen ausgerichtet werden sollte.
Und bei der Frage, welche Probleme sich ergeben, wenn man versucht humanistische Ideale in einem solchen System weiterzugeben - zumindest Geld macht dafür freiwillig keiner locker, der durch dieses System gegangen ist.
Aber es gibt da auch hoffnung, denn sexuelle Abweichler bilden immerhin einen Markt, und die Ökonomisierung wäre nicht komplettt, wenn sie den ignorieren würde.
Wenn ich mir die Feuerbach-These vor diesem Hintergrund ansehe, dann muss ich sie leider für gescheitert erklären. Die darin prophezeihte Trennung ist versucht worden, und ist einfach an der harten Realität der Lehrer-Eltern-Beziehungen im Schulalltag gescheitert. Feuerbach hätte recht, wenn es bei Erziehung ausschließlich um die Belang der Zöglinge oder der Gesellschaft/des Staates ginge, da aber die Eltern hier sehr viel und sehr individuell mitreden, ist das eben essig.
Feuerbachs These passt eben besser zu einer Diktatur, als zu einer demokratischen Gesellschaft (tatsächlich ist das fett formatierte im Zitat bei @Abe81 Diktatur pur). Das merkt man spätestens, wenn man mal moderne erziehungswissenschaftliche Theorien mit dem tatsächlichen Schul- und Erziehungsalltag vergleicht. Es gibt sie, die Klasse der Erzieher-Erzieher,aber zwischen dem, was die vermitteln, und dem, was der Schulalltag tatsächlich abfordert liegen leider ein paar jahrzehnte Theorie-Entwicklung, die im Schulalltag aber nur nach und nach ankommt.
Und mit jedem weiteren Tag Theorieentwicklung wächst die Kluft um ein paar Wochen. Was Vorurteile angeht, sind es teilweise schon Jahrhunderte.
Für den einen ist vorurteilfreie oder -sensible Erziehung ein Ziel und gut, vielleicht hält er sie sogar für die einzige Möglichkeit in einer globalisierten Welt zu überleben (bei Krappmann als Individuum, bei Zachary als Unternehmen oder Staat), aber für einigermaßen Viele steht sie eben primär für einen Werteverfall, von dem man schon fast erwartet, dass er das Ende jeglicher Zivilisation einläuten wird. Dabei sind der Werteverfall und der damit zusammen gedachte Zivilisations-Exitus ständige Begleiter unserer Kulturgeschichte. Geendet hat die Zivilisation bisher jedenfalls nicht, sie hat die Säkularisierung überlebt, das Ende der gottgewollten Feudalordnung, die tatsächliche Berührung und den verstärkten kulturellen Austausch mit dem Orient oder mit Asien.
Das Ding ist ziemlich zäh und es passt sich an, statt einfach zu sterben, nur weil ein paar falsche bzw. unmenschliche Werte oder Vorurteile aufgegeben wurden oder einfach als Reaktion auf "Überfremdung" (was auch immer dieses Wörtchen bedeutet), die ganze Kulturgeschichte ist Überfremdung, ich sehe das eher als Einflüsse oder Entwicklungimpulse im Prozess "Zivilisation". Angst habe ich davor jedenfalls keine, denn ich weiß, dass es weitergehen wird, und dass sich schon ganze Generationen die Zähne daran ausgebissen haben, kulturelle Vermischungen und damit Zivilisationsentwicklung zu unterbinden.
Das einzige, das in einem Prozess dringend zu unterbinden ist, ist der Stillstand.