Als die Erde ein Schneeball war
Vor 600 Millionen Jahren gab es sogar in den Tropen riesige Gletscher. Ein neues Modell, das ihre Entstehung simuliert, lässt nur einen Schluss zu: Die gesamte Erde muss damals zugefroren sein.
Auch heute noch finden sich in Äquatornähe Gletscher, zum Beispiel in den Anden oder auf dem Kilimandscharo. Doch diese Eisdecken sind kümmerlich im Vergleich zu ihren Vorläufern, die vor 600 Millionen Jahren in diesen Breiten vorkamen. Damals schoben riesige Gletscher Gesteinsmassen bis auf Meereshöhe herab.
Die Ablagerungen gelten als Indiz für eine in den letzten Jahren heiß diskutierte Theorie, nach der die Erde zu dieser Zeit völlig von Eis bedeckt war. Dieses "Snowball Earth"-Szenario wird nun von neuen Berechnungen gestützt: Geologen der Penn State University haben die Entstehung tropischer Gletscher in einem Computermodell simuliert - mit dem Ergebnis, dass sie sich nur in Zeiten bilden konnten, zu denen die Ozeane komplett zugefroren waren.
In dem Klimamodell, das die Wissenschaftler um David Pollard nun auf einem Treffen der American Geophysical Union in Boston vorstellten, tragen verschiedenen Mechanismen zur fortschreitenden Vereisung des Erdballs bei: Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre geht immer weiter zurück, zudem wird das Sonnenlicht von den wachsenden Eismassen reflektiert, so dass sich die Erde noch stärker abkühlt.
Dieser Prozess vollzieht sich relativ langsam, bis die Eiskappen 30 Grad nördlicher und südlicher Breite, also die heutige nordafrikanische Küste und die Spitze Südafrikas, erreicht haben. Breitet sich das Eis über diese Grenzen aus, bricht das Klima völlig zusammen: "Danach gibt es keinen stabilen Punkt mehr", erklärt Pollard. "Das System kollabiert schnell zu einem 'Snowball Earth'-Szenario, bei dem alle Ozeane von Eis bedeckt sind."
Um zu überprüfen, ob tropische Gletscher auch bei eisfreien Ozeanen entstehen konnten, stellten Pollard und seine Kollegen ihr Klimamodell auf den kältesten Zustand vor dem Kollaps ein. Für die Simulation nutzten sie eine Rekonstruktion der Landmassenverteilung vor 750 und 540 Millionen Jahren. Weil die Lage der damaligen Gebirgsketten unbekannt ist, setzten die Forscher die Bergzüge - in Anlehnung an die Position der Anden - an den Rand tropischer Gebiete.
In dieser Situation kurz vor einer Supereiszeit, so ergab die Simulation, bildeten sich zwar Gletscher in tropischen Gebirgen. Sie reichten aber nicht bis auf Meereshöhe hinab: "Die tropischen Temperaturen waren immer noch zu hoch, so dass das Eis schmolz, bevor es von den Bergen herabfließen konnte", erklärt Pollard.
Also müssen die Ozeane völlig vereist gewesen sein, folgern die Forscher. Zwar ging der für die Bildung von Gletschern nötige Niederschlag nach dem Klimakollaps drastisch zurück. In einigen Gebieten fiel dem Modell zufolge jedoch genügend Schnee, der sich über Jahrtausende in tropischen Gebirgen zu ausreichend großen Eisschichten auftürmte.
Vermutlich brauchte die Erde ohnehin mehrere Millionen Jahre, um sich wieder von dem gigantischen Kältepanzer zu befreien. Nach Meinung vieler Wissenschaftler geschah dies durch einen vulkanisch bedingten Treibhauseffekt, bei dem der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre auf das 300fache der heutigen Konzentration anstieg.
Unklar ist allerdings noch, wie das Leben auf der Erde solche Supereiszeiten überstehen konnte. Einige Forscher zweifeln deshalb an der "Snowball Earth"-Theorie. Andere Experten nehmen an, dass Meeresorganismen in der Nähe von vulkanischen Quellen bestehen konnten. Möglicherweise überlebten auch Einzeller in äquatornahen Ozeanen, wo die Eisdecke vermutlich mit einer Dicke von einigen Metern vergleichsweise dünn war.
Martin Paetsch