Lübke schrieb:
in meiner region ist schwerpunktmäßig handwerk ansässig und hier ist qualifikation relativ egal. fähigkeit ist es, was die arbeitgeber suchen. lieber eine abgebrochene hauptschule und dafür fähig vernünftig und selbständig zu arbeiten als ein einser abi oder ein studium und dafür theoretiker, der praktisch aber nix auf kette bekommt. von letzteren haben wir genug, erstere werden händeringend gesucht.
Das ist denke ich eine Reaktion auf die gesellschaftliche Entwicklung. Derzeit ist Handwerk gut machbar, weil zu viele zu früh in immer höhere Bildungsgefilde stürmen wollen. Der Gesamteindruck täuscht da aber imho. Insgesamt ist das Handwerk auf jeden Fall schlechter aufgestellt (wenn man über große zeitliche Abstände vergleicht, nicht nur 10 Jahre o.Ä.) als früher.
In den 50ern etwa (oder wenn wir noch weiter zurückgehen) war die Wirtschaftskraft im Handwerkssektor deutlich größer.
Auch in Zukunft wird das Handwerk weiter an Bedeutung verlieren, da mit zunehmenden Fortschritt immer mehr und mehr automatisiert wird.
Was allerdings höchstwahrscheinlich bleibt ist die Wertschätzung für hochqualitative handwerkliche Arbeit. Wer es sich also leisten kann, der wird bestimmt deutlich lieber handgemachten Marmor als Industriemarmor kaufen, oder den Garten vom Gärtner als vom Gartenroboter ausgestalten lassen usw. usf.
Sprich in den typischen, eher repetitiven Handwerksberufen wird es (langfristig) weiter bröckeln, als Meister vom Fach mit Fokus auf Qualität wird "Handgemachtes" aber sicherlich an Wert gewinnen. Schon alleine deshalb, weil durch die Automation ja auch der Wohlstand steigt und damit mehr Geld für Derartiges übrig bleibt.
Lübke schrieb:
aus meiner perspektive haben wir zu viele menschen mit hohen schulabschlüssen die teilweise mit 25 oder gar 30 noch keinen tag im leben gearbeitet haben weil sie erst abi, dann bachelor, dann master und dann dr machen mussten und zu wenige menschen die arbeiten können und wollen.
Also z.B. im MINT-Sektor ist es selbst beim Master schon unüblich, noch nie was außerhalb der Uni gemacht zu haben. FH & Co. machen ja ohnehin häufig Industriepraktika, viele Studenten jobben (und im MINT-Bereich geht ja selten fachfremd als Kellner jobben, sondern meistens - gerade als Master - schon in Bereichen, in die man später auch gehen will) und nicht wenige (gerade bei MINT) haben auch schon mal bei einem Startup o.Ä. gearbeitet.
Spätestens mit Doktortitel ist das ja aber Quark: als Doktor ist man in den meisten Fällen ja an der Uni angestellt, arbeitet also und ist dort auch übrigens mindestens für Lehr- und Wissenschaftsbetrieb mitverantwortlich, hat also durchaus auch Verantwortung.
Gerade im MINT-Bereich sind darüberhinaus auch Wirtschaftskooperation für Drittmittelprojekte üblich.
florian. schrieb:
wieso sollte es in Zukunft nur noch hochqualifizierte Arbeitskräfte geben?
Einige Berufsbilder werden wegfallen, neue werden entstehen.
Bei der vierten industriellen Revolution geht aber
jede Studie bisher davon aus, dass erstmalig mehr wegfallen als neu entstehen.
Aus dem ganz einfachen Grund weil früher immer Industriezweige, Dienstleistungsgewerbe usw. entstanden, in denen massiv neu beschäftigt werden konnte und auch musste, weil neue Märkte erschlossen wurden.
Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Wir haben bereits einen globalen Markt. Es geht jetzt nur noch um Effizienz und die wird primär durch Substitution menschlicher Arbeit durch Automation gesteigert. Mehr Wohlstand wird durch neue Möglichkeiten, höhere Stückzahlen, geringere Produktionsstückkosten usw. generiert.
Da aber gerade das durch weitere Automation ermöglicht wird, ist es nicht mehr nötig, massiv neue Arbeitskräfte in anderen Feldern zu beschäftigen.
Was man in absehbarer Zukunft nur noch braucht (je nach Studie 20, 30, 40 Jahre), sind "Supervisor" für die Automation. D.h. eben
wenige hochqualifizierte Arbeitskräfte im quartären Sektor, also auch hochspezialisiert. Planung, Management, Ingenieure, Forschung & Entwicklung, Marketing usw.
Nichts, wo sich massenhaft "normale" Arbeitnehmer unterbringen ließen oder überhaupt benötigt würden.
florian. schrieb:
Wenn der eigene Beruf Obsolet wird, muss man sich nun mal fortbilden.
Das heißt ja nicht, dass es zukünftig nur noch Ärzte geben wird.
Das können die "einfachen" Arbeitskräfte dann ja eben nicht mehr, das ist ja gerade der Witz.
Die Anforderungen an Spezialisierung und Bildungsniveau steigen
stetig, dass heißt mit fortlaufender Zeit werden immer mehr aus diesem Raster fallen, deren Befähigung schlicht nicht ausreicht um
je wieder ein produktives Mitglied der Gesellschaft zu werden.
florian. schrieb:
In rund ~20 Jahren gehen die Babyboom Jahrgänge in Rente.
Wir haben dann doppelt so viele Pflegebedürftige wie heute.
Wir brauchen also auch doppelt so viele Pflegekräfte.
alleine da kann man schon 2 Millionen Arbeitskräfte Unterbringen.
Zum Einen gibt es schon jetzt beispielsweise in Japan erste Pilotprojekte wo Altenpflege hoch automatisiert, mit Robotern & Co. bei enormer Einsparung von Personal erfolgreich erprobt wird.
Zum Anderen ist das ja nichts anderes als ein kurzanhaltender, demografischer Trend.
Das bringt der Gesellschafft nicht viel / lange etwas und dem Individuum gar nichts. Selbst wenn in Deutschland durch ethische Bedenken in diesem speziellen Sektor nicht großflächig auf Automation gesetzt wird, so ist trotzdem min. jeder zweite in dem Feld arbeitslos, der jetzt in jungen Jahren auf dieses Pferd setzt. Schlicht und einfach dadurch, dass die Babyboomer längst tot sind bis die neuen, jungen Arbeitskräfte ihr Rentenalter erreichen. Und da die Generationen danach
deutlich kleiner sind, werden dann auch wieder viel weniger Pflegekräfte benötigt.