So, dann geb ich auch mal meinen Senf dazu.
Ich denke, die Wahl von Trump ist eine riesengroße Chance...vor allem für den Rest der Welt, es im Zweifelsfall besser zu machen, aber bitte nicht dauernd jammern. Die USA haben "nur" 320 Millionen Einwohner. Allein Europa hat gut doppelt soviel und China + Indien stellen mittlerweile 1/3 der Weltbevölkerung da. Das Leben geht also weiter.
Ansonsten finde ich die öffentliche Debatte und einige Kommentare in den Medien in vielerlei Hinsicht ziemlich heuchlerisch. Mal ein paar Beispiele:
"America first" --> ganz ehrlich, als Staatsoberhaupt ist es die Pflicht, die Interesse seines Landes und seiner eigenen Bevölkerung an oberste Stelle zu setzen. Alles andere ist ja schon fast lächerlich. Oder würdet ihr gerne ein deutsches Staatsoberhaupt wählen, dass behauptet "Polen zuerst"? Verdammt, dass hatten wir in den 30er Jahren ja schon mal...
Auch Deutschland hat unter Merkel während der letzten Jahre innerhalb Europas bzw. der EU extrem seine eigenen (wirtschaftlichen) Interessen verfolgt, sonst hätte wir Sachen wie Eurobonds und Co. schon längst durch gewunken. Ich sage nur zwei Wörter: "Madame non".
"Beschränkung des Freihandels" / Auslagerung von Produktion nach Mexiko --> ich kann mich noch gut daran erinnern, wie vor knapp 10 Jahren eine riesengroße Entrüstungswelle durch die Bevölkerung ging, als Nokia das Werk in Bochum dicht gemacht hat, damit man in Rumänien günstiger produzieren lassen kann. Damals war das Geschrei ziemlich groß, weil man auf einmal 2.000 Verlierer der Globalisierung auf einmal medienwirksam auf dem Präsentierteller geliefert hat.
In Deutschland und woanders sind zudem die Leute zu 100.000 auf die Straßen gegangen, um gegen TTIP zu demonstrieren, was nach Ansicht der Kritiker ja sehr zugunsten der USA ausgehandelt wurde. Jetzt beerdigt Trump einige solcher Abkommen und schon kassiert er dafür wieder in zahlreichen Medien und Kommentaren die Schelte. Es gibt glaube ich etliche Artikel in den deutschen Mainstream-Medien, die sich extrem kritisch über jedes Detail von Freihandelsabkommen wie z.B. TTIP ausgelassen habe - gefühlt teilweise täglich. Ne Leute, so geht es nicht. Entweder ich bin dafür oder dagegen. Bin ich dagegen, kann ich nicht einem Mann der dagegen ist, in den Rücken fallen und selbst auf einmal Freihandel & Globalisierung toll finden. Für irgendeine Position muss ich mich dann schon entscheiden und nicht jeden Tag die Seite wechseln wie es mir gerade in den Kram passt.
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Einen wichtigen Satz aus seiner Rede unmittelbar nach seiner Vereidigung lässt aufhorchen: "Unsere Lebensweise soll ein Vorbild sein, kein Zwang"
Sofern er sich daran hält, ist das vermutlich das beste, was seit langem passiert ist. Der unbedingte Wille der USA / des Westens, Demokratie & Nation Building in alle Regionen der Welt zu exportieren bzw. den Völkern aufzuzwingen, hat in den letzten Jahrzehnten für reichlich Chaos in der Welt gesorgt. Schauen wir uns doch mal allein die Region Nordafrika / Arabien an.
Afghanistan --> ok, ging nach dem 11. September kaum anders als dort einzumarschieren. Ist seitdem aber Dauerbrenner und letztlich nur eine Folge der Politik aus den späteren 80er Jahren, wo mit viel Geld und Hilfe von der CIA die Taliban mit Waffen versorgt wurden, um die Russen aus dem Land zu jagen. Das man 15 Jahre später die eigene Munition um die Ohren gehauen bekommt, war vermutlich nicht Teil des Plans (hoffentlich). Und heute: failed state
Irak --> Einmarsch unter falschen Vorgaben (Massenvernichtungswaffen), seitdem 15 Jahre Chaos und de facto: failed state
Arabischer Frühling (Ägypten, Libyen, Jemen & Co.) --> auch hier wurde unter großen westlichen Beistand & Applaus reihenweise die Diktatoren aus dem Amt gejagt, um demokratische Strukturen zu installieren. Was hat es gebracht? In Ägypten haben wir heute wieder eine Militärdiktatur, in Libyen und dem Rest wandeln wir am oder über dem Rand eines Bürgerkrieges mit Einfluss von regionalen Warlords, Stammesführern und radikalen religiösen Kräften (u.a. der IS). Kurzum: Ein halber Kontinent ist ein einziger Flächenbrand, deren Auswirkungen wir zunehmend in Europa spüren, in den USA freilich kaum.
Nur damit mich niemand falsch versteht: Natürlich finde ich es auch nicht besonders schön, wenn einzelne Diktatoren das eigene Volk unterdrücken und menschenrechtlich an vielen Stellen fragwürdig agieren. Aber letzten Endes bieten sie oft doch ein gewisses Maß an Stabilität und als Auslandsvertreter weiß man zumindest, woran man ist und mit wem man sich im Zweifelsfall an einen Tisch setzen kann. Kann mir einer sagen, wen man heute beispielsweise in Libyien als Botschafter anrufen soll, wenn es um die Klärung von Sachverhalten geht?
Somit müssen wir uns vielleicht doch ein Stück eingestehen, dass die Weltpolitik der letzten Jahre insbesondere im nahen Osten und Nordafrika zwar unter dem Aspekt der Vertretung/Verbreitung "westlicher Werte" (und natürlich Zugang zu Ressourcen) gelaufen ist, die Ergebnisse jedoch an vielen Stellen katastrophal zu bewerten sind.
Von der ist jemand, der dieses Handeln ein Stück weit in Frage stellt, mir nicht automatisch gleich unsympathisch.
"Die NATO ist obsolet" --> Wird Europa von Russland angegriffen, stehen die USA aktuell als atomare Schutzmacht über uns. Ich glaube das steht kaum zur Debatte. Was würde aber passieren, wenn z.B. China auf die Idee kommt, die USA anzugreifen. Ist die deutsche Bundeswehr wirklich dazu in der Lage, den Amerikanern im NATO-Bündnisfall militärisch bedeutend zu helfen? Warum kreuzen nicht auch nuklear bewaffnete deutsche U-Boote vor der amerikanischen Westküste? Das ein gewisses Ungleichgewicht innerhalb der NATO herrscht, ist kein alternativer Fakt.
Ja, Trump ist in vielerlei Hinsicht ein sehr besonderer und außergewöhnlicher Präsident, ob positiv oder negativ spielt erstmal eine untergeordnete Rolle. Natürlich liefert er viel Angriffsfläche und einige seiner Positionen sind zu hinterfragen. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht in die Rolle des ewigen Jammeres verfallen. Entweder wir beweisen, dass wir es besser können und "unser Modell das Vorbild ist", oder wir halten die Klappe.