kim88 schrieb:
Deswegen sind wir auch nicht in Kapitalismus sondern in der sozialen Marktwirtschaft.
Ist das so?
Schaut man genauer hin, ist mit "Marktwirtschaft" im Grunde
Wettbewerb gemeint. Wenn Christian Lindner vom "Markt" spricht, meint er Wettbewerb.
Nun ist allerdings ein Wettbewerb nicht viel wert, wenn er nicht
fair vonstattengeht. Das wusste schon Adam Smith. Smith hat nicht nur "Wohlstand der Nationen" geschrieben, sondern auch eine "Theorie der ethischen Gefühle". Darin schreibt Smith - der übrigens kein Ökonom sondern Moralphilosoph war- dass die angeborene Moralfähigkeit des Menschen die Grundlage gelingenden Warenaustauschs ist.
Mit dieser Frage beschäftigte sich in den 1930er Jahren auch die Denker der Freiburger Schule. Das waren im Grunde genommen die Verfassungsväter des bundesrepublikanischen Liberalismus, die Erfinder der Sozialen Marktwirtschaft. Und die erkannten an der Sozialen Marktwirtschaft einen Haken: Wenn ich meine Gewinne mehre, dann denke ich zweckrational und ich strebe nach dem optimalen Vorteil. Das ist für die wirtschaftliche progressive Entwicklung sehr gut, das hat unser Wirtschaftssystem entsprechend vorangebracht.
Aber, damit das funktioniert, muss ich Werte wie Fairness, Vertrauen und Wahrhaftigkeit voraussetzen. Diese Werte sind konstitutiv für einen fairen Wettbewerb.
Diese Werte werden aber durch den Markt nicht erzeugt! Das heißt, die Marktwirtschaft ist an Bedingungen geknüpft, die sie nicht selbst erzeugen kann. Wirtschaften setzt moralische Werte voraus, die nicht aus der Wirtschaft selbst erzeugt werden können.
Wer daran zweifelt, kann sich das ganz einfach klar machen: Niemand wird deshalb besser bezahlt, weil er ein guter Mensch ist. Das Wirtschaftssystem, mit Niklas Luhmann gesagt, ist nicht moralisch kodiert. (Niklas Luhmann, der bedeutendste Soziologe des 20. Jh., meinte sogar mal, Moral habe im Wirtschaftssystem ungefähr so viel verloren wie Doping im Sport. Damit hat er nicht gemeint, dass wir nicht moralisch sein sollen, sondern innerhalb des Systems ist Moral keine Größe, mit der man arbeiten kann.)
Ein Beispiel: Neulich lief bei BBC eine Dokumentation über die Kakaobohnenernte in Afrika. Wenn man mit Kakaobohnen handelt, verdient man viel Geld. Aber die Kinder in Ghana leben in Halbsklaverei und ernten die Kakaobohnen unter entsetzlichen Umständen; sie kommen mit dem Unkrautvernichtungsmittel in Kontakt, tragen viel zu schwere Lasten - fürchterliche Zustände. Dann kommt ein Broker ins Bild und erklärt lächelnd, er verdiene 80 Dollar die Minute mit Kakaobohnen. Dann wurde der Broker vom BBC Journalisten gefragt, ob er das wüsste, mit den Kindern in Ghana und ob ihm das nichts ausmachen würde. Und da wurde der Broker betroffen und sagte: Ja, das würde ihn schon betroffen machen, so menschlich gesehen, aber wirtschaftlich könnte er sich solche Sentimentalitäten nicht leisten.
Und der Broker hat sogar recht. Wenn er jetzt entscheidet, ein moralischer Mensch zu werden, also Moral in das System hineinzutragen und sagt "Ich mach das nicht mehr", dann wird sich jemand anderes freuen, dass er die 80 Dollar mit Kakaobohnen verdienen kann.
Kurz gesagt: Ohne eine Ordnungspolitik, die für
Fairness, Vertrauen und Wahrhaftigkeit sorgt, ist ein Wettbewerb kein Wettbewerb und führt überdies am Ende zu Oligopolen. Auch das wusste Adam Smith bereits, als er sagte: "Ein Unternehmer liebt nicht den freien Markt, allenfalls seine starke Stellung darin". Und Smith sagte, dass die mächtigen Konzernherren seiner Zeit niemals zu einem Essen zusammenkommen, ohne gleichzeitig auszuhecken, wie sie sich Vorteile gegenüber Konkurrenten verschaffen können, und Kartellbildung zu betreiben.
Und wenn man sich nun unsere sog. soziale Marktwirtschaft mal näher anschaut, erkennt man, dass unser Wohlstand das Resultat ist einer Technisierung und Zerlegung der Produktion von Gütern in einzelne, standardisierte, spezialisierte Teilprozesse. Und die werden, das nennt man Global Supply Chain Management, auf der Erdoberfläche immer jeweils dahin geschoben, wo es betriebswirtschaftlich am günstigsten ist, weil die Löhne gering sind, weil Gewerkschafter im Knast sitzen, Gesundheits- und Umweltschutz keine Rolle spielt oder einfach, weil keine Steuern gezahlt werden.
Kurz: Unser Wohlstand basiert auf
Externalisierung von (Umwelt-)Kosten, nämlich räumliche Externalisierung und zeitliche Externalisierung (auf nachfolgende Generationen) - und von der sog. Marktwirtschaft bleibt nicht mehr viel übrig.